Umwelt Wo die wilden Waschbären wohnen

Bitburg/Daun/Prüm/Wittlich · In einigen Regionen haben sie sich zur Plage entwickelt. Und auch in der Eifel macht sich der Waschbär breit. Jäger versuchen, die Population im Auge zu behalten. Seine Verbreitung aufhalten können sie nicht.

Wo die wilden Waschbären wohnen
Foto: dpa/Patrick Pleul

Als die Wittlicherin den kleinen Spion entdeckt, plauscht sie mit ihren Freunden. Der Spitzel trägt eine schwarze Maske und steht nur ein paar Meter entfernt. Er rührt sich nicht, spitzt die Ohren – als versuche er, jedes Wort zu verstehen, das die Gruppe vor der Tür der Frau wechselt. Also gehen die Freunde rein ins Haus, das im Wohngebiet „Rotenberg“ steht. Wenige Minuten später steht der Schnüffler im Flur. Er ist etwa 25 Zentimeter hoch und hat graues Fell. Der Waschbär scheint nicht daran zu denken, den Lauschangriff abzubrechen. Also scheucht die Frau ihn hinaus. Mit großen Schritten geht sie auf ihn zu, wedelt mit den Armen. Das Tier trippelt davon und verschwindet in den Büschen.

Von diesem Vorfall erfährt der Leiter des Eifeltierheims Altrich, Rainer Kordel, am Telefon. Die Wittlicherin hatte bei ihm angerufen. Ganz nervös sei sie gewesen, erzählt er: „Die hat so schnell geredet. Ich hatte Probleme, sie zu verstehen.“ Kordel musste sie ans Veterinäramt verweisen. Mit Waschbären hatte er nie zu tun. Klar: So oft werden die Tiere in unseren Breiten ja auch nicht gesichtet. Noch nicht.

Ein Fremdling? Waschbären stammen ursprünglich nicht aus Deutschland, nicht mal aus Europa. Sie sind eingewandert aus Nordamerika. Vor dem zweiten Weltkrieg türmten sie aus Pelzfarmen, bevor jemand ihnen im wahrsten Sinne des Wortes das Fell über die Ohren ziehen konnte.

Die Invasion begann aber erst 1934. Damals wurden zwei Tiere am nordhessischen Edersee ausgesetzt – übrigens mit der Erlaubnis des damaligen Reichsjägermeisters und späteren Nazi-Marschalls Hermann Göring. Dass man in einigen Orten der Bundesrepublik inzwischen von einer Plage spricht, ist also auch die Schuld der Nationalsozialisten.

Denn Männchen und Weibchen vermehrten sich, ihre Kinder vermehrten sich und deren Kindeskinder. Und so eroberten die Allesfresser mit der Zorromaske Stück für Stück das Land. Aber warum ist das überhaupt ein Problem?

Eine Gefahr? „Der Waschbär kann einen erheblichen – negativen – Einfluss auf die Population heimischer Arten haben“, sagt Günther Klein vom Landesjagdverband Rheinland-Pfalz. Der Räuber schere sich nämlich nicht besonders um deutsche Artenschutzlisten. Stattdessen fresse er alles, was ihm vor’s schwarze Näschen kommt. Dazu zählten bedrohte Sumpfschildkröten, Fledermäuse und die Eier gefährdeter Vögel.

Hier gehen die Meinungen von Experten aber auseinander. So schreibt etwa die Wissenschaftlerin Berit Annika Michler in ihrer Dissertation, der Speiseplan der Tiere sei so divers, dass sie kaum einer einzelnen Art wirklich schaden könnten. Sie hat das Fressverhalten der Population in einem Nationalpark beobachtet.

Wo sich allerdings alle Experten einig sind: Waschbären sind nicht gerade scheu, was den Umgang mit Menschen angeht.  Sie können sich an Lebensräume anpassen – auch an menschengemachte. So wagen sie sich zuweilen in Stadtgebiete vor, durchwühlen Mülltonnen und nisten sich auf Dachböden ein. Im nordhessischen Kassel ist das längst an der Tagesordnung. Blüht jetzt auch den Wittlichern, ja, der ganzen Eifel, eine Invasion?

Ein Eroberer? Seit 2004 ist der Waschbär im Eifelkreis Bitburg-Prüm bekannt. 2015 schätzten Experten der Forschungsanstalt für Waldökologie ihre Zahl auf rund 1000 Exemplare. Wie sich ihre Population seitdem entwickelt habe – dazu gebe es keine verlässlichen Werte, sagt Klein vom Landesjagdverband. Kein Wunder: Die Tiere sind nachtaktiv. Sie zu zählen ist daher fast unmöglich. Eine Annäherung kann das Jagdregister liefern. Nur ein toter Waschbär ist offenbar ein zählbarer Waschbär.

Die amerikanischen Einwanderer werden aber nicht etwa vom Hochsitz aus geschossen. Es passiere eher selten, dass sie einem Jäger vor die Flinte laufen, sagt Klein. Stattdessen würden sie mit Ködern  in Fallen gelockt. Dort warten sie dann – zumeist schlafend – auf den Jäger.

Auf diese Art wurden 2012 im Eifelkreis 109 der Allesfresser erlegt. Das sei nicht nur rund um Bitburg und Prüm der Höchststand, sondern auch landesweit. „Eine größere Jagdstrecke gibt es nirgendwo in Rheinland-Pfalz“, sagt Günther Klein. Und die Anzahl der gefangenen und getöteten Waschbären bleibt im Eifelkreis hoch. Alarmierend hoch, findet Klein. Bevor sich die Allesfresser in Sachsen-Anhalt zur Plage entwickelten, hätte die Statistik genauso ausgesehen. „Erst gibt es einen langsamen Anstieg und dann macht die Population einen Riesensprung“, fürchtet der Waidmann.“

Ähnlich könnte es in der Vulkaneifel, im Kreis Bernkastel-Wittlich und im Kreis Trier-Saarburg laufen, meint Klein. Und das, obwohl die Zahlen ganz und gar nicht danach aussehen. Bedrohliche Tendenzen lassen sich in den Statistiken nämlich nicht ableiten. Zwischen drei und 15 Waschbären werden dort jährlich erlegt. Das könnte aber auch daran liegen, dass Jäger weniger Fallen aufstellten, meint Klein.

Ein Gegenmittel? Sie „intensiv zu jagen“ sei aber unbedingt nötig, um die Vermehrung der Tiere zu verlangsamen, sagt Klein. Das sieht nicht jeder so. Mancher Umweltschützer, wie Laura Kettering vom Nabu Rheinland-Pfalz behauptet etwa, dass die Tiere sich, wenn sie gejagt werden, schneller vermehrten.

Ein Teufelskreis also? Es läuft jedenfalls alles darauf hinaus, dass der Waschbär gekommen ist, um zu bleiben. Bei einer Sache sind sich Jäger und Forscher nämlich einig: Seine Verbreitung wird sich auch in unserer Region langfristig nicht aufhalten lassen.

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