Literatur- und Bombensplitter

Im Jahre 1955 reisen Bert Brecht und seine Frau Helene Weigel nach Moskau, um dort den Stalin-Preis „Für Frieden und Verständigung zwischen den Völkern“ in Empfang zu nehmen. Die Bundesrepublik ist empört – eine Dekade nach dem heißen tobt der Kalte Krieg auf dem Höhepunkt zwischen den Großmächten USA und UdSSR, und die Front verläuft mitten durch Deutschland.

Alarmiert durch diese Reaktion, veröffentlicht Brecht ein Jahr später seine „Kriegsfibel“, eine Materialsammlung von Fotografien im Krieg zerstörter Städte, zu denen der Autor Gedichte schreibt, die er „Fotoepigramme“ nennt. Die Bilder zeigen sowohl die am Krieg Schuldigen und Hintermänner als auch die ihn austragenden Soldaten und die leidende Zivilbevölkerung. Unter den Fotos ist auch das der Bitburger Hauptstraße – zu sehen ist eine apokalyptische Trümmerlandschaft. Dazu schreibt Brecht den Vierzeiler „Das sind die Städte, wo wir unser Heil! / Den Weltzerstörern einst entgegenröhrten. / Und unsre Städte sind auch nur ein Teil / Von all den Städten, welche wir zerstörten.“ Die Vierzeiler erklären nicht, sie kommentieren. Sie mildern kein Elend, sie verweisen auf dessen Ursache und Kontext. Damit zeugen sie von zeitlosen Einsichten in die Maschinerie des Krieges. Die Herausgeberin Ruth Berlau schreibt, das Buch „soll die Kunst lehren, Bilder zu lesen“, die in besonderer Weise geeignet seien, die Vergangenheit als „konkrete Wahrheit“ begreifbar zu machen.

Doch die Bundesrepublik, vom Wiederaufbaufieber erfasst, will Mitte der 50er Jahre nicht an die Vergangenheit erinnert werden; die Verkaufszahlen der „Kriegsfibel“ sind enttäuschend. Bis Sommer 1956 werden gerade 3400 Exemplare in der DDR und 200 in der Bundesrepublik verkauft. „Vor allem muß die Kriegsfibel in die Bibliotheken, Kulturhäuser, Schulen usw. (...) Ich wäre gern bereit, an diese Stellen selbst zu schreiben, denn diese tolle Verdrängung aller Fakten und Wertungen über die Hitlerzeit und den Krieg muß bei uns aufhören“, beschwor Brecht in einem Brief 1956 das „Amt für Literatur“ in der DDR, das die Publikation immer wieder hinauszögert, weil der „Parteivorstand der SED“ bemängelt, in dem Buch würden die „Träger des neuen Faschismus“ in Amerika und Westdeutschland nicht erfasst. Auch eine Vertonung der Gedichte durch Hanns Eisler vermag die Popularität des Buches nicht zu steigern. Die „Kriegsfibel“ bleibt ein ambitioniertes, doch weitgehend un- beachtetes literarisches Dokument. Ein Satz von Ruth Berlau aus dem Vorwort könnte als Motto über der Ausstellung „Trümmerzeit“ im Bitburger Kreismuseum stehen: „Nicht der entrinnt der Vergangenheit, der sie vergißt“, schreibt Brechts Mitarbeiterin (und zeitweilige Geliebte) da. Sondern derjenige, der sich ihr stellt: Dazu bietet das Kreismuseum derzeit Gelegenheit. Eines der Zentralexponate der Schau – neben einer amerikanischen 500-Pfund-Bombe, die im letzten Kriegswinter über der Stadt niederging und nicht explodierte – ist das Foto mit den dazugehörigen Brecht-Zeilen. Zum Anlass nahmen die Ausstellungsmacher den 60. Jahrestag der Befreiung durch die Amerikaner, die am 28. Februar 1945 in Bitburg eintrafen.

„Embedded Reporter“ schon im zweiten Weltkrieg

Zwar nicht in Bitburg, aber nur wenige Kilometer entfernt in der nördlichen Eifel bei Aachen war ein besonders prominenter Mann unter den Rettern aus den USA: der Schriftsteller Ernest Hemingway. Er begleitete die 4. Amerikanische Infanteriedivision als Kriegsberichterstatter für die amerikanische Zeitschrift „Collier‘s“ bei der Überschreitung des Westwalls. Hier wurde der spätere Nobelpreisträger Augenzeuge der Schlacht im Hürtgenwald und erlebte den Zusammenbruch seines befreundeten Regimentskommandeurs Oberst Charles T. Lahm. Diese Erfahrungen änderten seine Meinung vom Krieg, den er bis zu diesem Zeitpunkt verherrlicht hatte, vollkommen: „In Hürtgen gefroren die Toten, und es war so kalt, daß sie mit roten Gesichtern gefroren“, schreibt Hemingway in seinem Roman „Über den Fluss und in die Wälder“, den er 1950 veröffentlichte. Obwohl die Amerikaner letztendlich siegten, haben sie in der „Hölle im Hürtgenwald“ die schlimmste Niederlage während des gesamten Krieges im Westen erlitten.

General James Gawin, Kommandeur der 82. US-Fallschirmjägerdivision, urteilte nach dem Kampf: „Es war die verlustreichste, unproduktivste und am schlechtesten geführte Schlacht, die unsere Armee geschlagen hat.“ Sie dauerte von September 1944 bis Februar 1945; 68 000 Soldaten – 55 000 Amerikaner und 13 000 Deutsche – fielen ihr zum Opfer. Hemingways veränderte Einstellung zum Kriegsgeschehen findet ihren Niederschlag in dem Roman, für den er erste Notizen in seiner Eifeler Unterkunft, dem „Frames“-Haus in Buchet – er nennt es „Schloß Hemingstein“ – machte. Hatte er wenige Monate zuvor in Paris noch „einen besonders frechen SS-Kraut umgelegt. Ich schoß ihm dreimal schnell in den Bauch und in den Schädel, so daß ihm das Gehirn aus dem Mund kam, oder aus der Nase, glaube ich“, wie er – fast könnte man meinen: stolz – in einem Brief an seinen Verleger Charles Scribner berichtet, so schreibt er in seinem Buch von einer Wehrmacht, die „mit ihren Mörsern alles zu Klump hämmerte“ und von hochnäsigen US-Generälen, die die eigenen Leute „stur wie Maultiere“ in die Hölle führten, wo es nur „Pferdescheiße satt“ zu essen gab, „bis man schwer verwundet oder getötet oder verrückt“ wurde.

Kaum eine Episode des Krieges ist in Amerika bekannter als diese Schlacht – was nicht zuletzt auch daran liegen mag, dass der Stoff fünf Mal verfilmt wurde. An den amerikanischen Autor erinnert heute der Ernest-Hemingway-Wanderweg, der von Buchet aus über Halenfeld und Niederlascheid führt. Die Ausstellung im Bitburger Kreismuseum ist bis 31. Mai zu sehen. Öffnungszeiten: tägl. außer dienstags von 14 bis 17 Uhr; Führungen und Gruppenbesuche nach Vereinbarung (Tel. 06561 683888.)

Rainer Nolden

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