Lust auf Krimi

Frankfurt · Auf der Frankfurter Buchmesse sprachen wir mit der erfolgreichsten deutschen Autorin der Gegenwart über ihren neuesten Kriminalroman „Die Betrogene“.

Lust auf Krimi
Foto: Blanvalet

Welche Art Krimi mögen Sie?
Charlotte Link: Ich lese sehr gerne Krimis aus dem angelsächsischen Sprachraum, einige meiner Lieblingsautoren sind Mo Hayder, Simon Beckett, Ruth Rendell und von den Amerikanern Karin Slaughter.

Ist diese Literatur ähnlich zu dem, was Sie schreiben?
Charlotte Link: Andersherum trifft eher zu. Ich schreibe etwas, das ich auch gerne lesen würde. Mein Schreiben hat sich daraus entwickelt, dass ich gerne gelesen habe und irgendwann Lust bekam, es selbst zu versuchen.

Gibt es eine Geschichte in Ihrem Leben, die Sie gerne aufschreiben würden?
Charlotte Link: Ich habe kein spezielles Thema, allerdings hat mir das Buch über meine Schwester gezeigt, dass sich manchmal ein Thema ganz spontan aufdrängen kann, worüber ich dann schreiben möchte. Das kann aus jeder Richtung kommen und auch immer mal wieder vorkommen. In meinem Kopf gibt es aber durchaus mehrere Krimi-Ideen. Ob diese Ideen brauchbar sind, stellt sich allerdings immer erst heraus, wenn man sich konkret mit ihnen auseinandersetzt.

Haben Sie selbst einmal eine von den Geschichten, die Sie in Ihren Kriminalromanen geschrieben haben, erlebt oder erzählt bekommen?
Charlotte Link: Nein, genau solche Geschichten nicht. Ich bin sicher von dem inspiriert, was ich lese oder höre. Allerdings versuche ich dann nicht, so etwas nachzuschreiben. Meine erste Inspiration hat meistens noch gar nichts mit dem Krimi zu tun, sondern erst einmal mit irgendeiner Konstellation im Leben eines Menschen - und da bin ich stark von meinem Umfeld inspiriert. Da geht es um ganz normale Dinge, die wir alle kennen, etwa Eifersucht, verletzte Gefühle, Neid oder Ähnliches. Im nächsten Schritt überlege ich, was zusammenkommen muss, damit daraus ein Drama bzw. ein Verbrechen wird. Ich spinne das weiter, was wir als Ursprung bei jedem von uns finden und deswegen entspringen meine Ideen immer aus dem, was ich höre oder lese oder vielleicht auch in einen Menschen hinein interpretiere.

Sie sind keine ausgebildete Psychologin. Analysieren Sie trotzdem bewusst auch im wahren Leben die Menschen, mit denen Sie zu tun haben oder erwacht die Psychologin in Ihnen nur auf dem Papier?
Charlotte Link: Ja, auch im Alltag! Ich bin wahnsinnig an Menschen interessiert. Ich möchte wissen, wie Menschen sind - wie sie wirklich sind. Jeder zeigt ja nur ein bestimmtes Bild von sich, doch zu erforschen, wie ein Mensch wirklich ist, macht mir großen Spaß.

Merken das die Menschen in Ihrem Umfeld?
Charlotte Link: Ich glaube nicht, aber wenn man darauf achtet, dann merkt man, dass ich sehr viel frage und mir sehr viel merke. Manch einen Bekannten habe ich jahrelang nicht gesehen und spreche ihn dann auf irgendein Detail an, was ich mir einfach gemerkt habe, weil ich wirklich am Wesen des Menschen interessiert bin. Davon sind die meisten immer absolut fasziniert. Auch wenn es sich um ein ganz unspektakuläres Detail handelt, merke ich es mir, weil es zur Person gehört. Allerdings weiß ich nicht, ob die Leute merken, dass sie vielleicht gerade für ein Buch gescannt werden. (lacht)

Warum haben Sie nicht Psychologie anstelle von Jura studiert?
Charlotte Link: Wenn ich damals auf die Idee gekommen wäre, hätte ich das gemacht. Damals war ich, vielleicht weil ich aus einer Juristenfamilie komme, absolut Jura-fixiert, aber die Geschichten hinter den Fällen sind auch aus psychologischer Sicht interessant. Deshalb finde ich auch Jura sehr spannend.

Schauplatz Ihres neuesten Krimis "Die Betrogene" ist - wie in vielen von Ihren Werken - England. Woran liegt es, dass Sie nicht von den Inseln wegkommen?
Charlotte Link: Ich entscheide immer danach, wo mich die Inspiration hinführt. Das nächste Buch wird in Frankreich spielen, weil mir die Idee dazu in Frankreich gekommen ist. Übrigens spielen tatsächlich zwei Drittel meiner Bücher in England, diese Statistik habe ich neulich erst erstellt. Aber das heißt nicht, dass die nächsten Bücher auch dort spielen. Es hat sehr häufig damit zu tun, wo ich mich gerade befinde und um welches Thema es geht.

Also haben Sie auch das Thema Ihres aktuellen Buches in England gefunden?
Charlotte Link: Das Thema "Gerechtigkeit und Rache" zieht sich durch viele meiner Bücher, aber auf die Geschichte um Kate Linville bin ich in England gestoßen. Die Geschichte ist nicht so passiert, aber ich habe die Idee dazu entwickelt, als ich gerade in England am Strand spazieren gegangen bin. Deshalb wäre es für mich schwierig, das zu transportieren, obwohl die Geschichte auch in Deutschland funktionieren würde. Weil ich oft in England bin, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass ich dort Inspiration finde.

Wie oft sind Sie denn in England?
Charlotte Link: Ich versuche, jedes Jahr mehrmals dorthin zu fahren.

Aber natürlich sind Sie auch häufig in Deutschland. Kommen Ihnen hier keine Ideen für Ihre Bücher?
Charlotte Link: Hier kommen mir auch Ideen, aber die meisten sind dann trotzdem von einer englischen Landschaft inspiriert. Sehr häufig hat der erste Gedanke etwas mit dem Handlungsort der Geschichte zu tun. Wenn ich beispielsweise bestimmte Bilder einer englischen Landschaft mit mir herumtrage, lasse ich mich von denen inspirieren, auch wenn ich dann gerade in Wiesbaden sitze.

Wie entstand die Geschichte um Kate Linville genau?
Charlotte Link: Kate ist eine Figur, die ich schon in meinem Buch "Der Beobachter" in einer Nebenrolle eingeführt habe. Damals ist sie auch schon bei Scotland Yard und kriegt ihre Karriere nicht in Schwung, sie ist einsam und alleine und hadert mit ihrem Leben. Als ich vor zwei Jahren in England war, kam mir plötzlich Kate und ihr unglaublich interessantes Wesen wieder in den Sinn. Daraus entsprang die Idee, dass ich eine Geschichte zu Kate Linville entwickeln will - ganz unspektakulär also. (lacht)

Verschwimmt Ihre Realität mit den Realitäten Ihrer Bücher?
Charlotte Link: Wenn man ein Buch schreibt, lebt man zum Teil darin. Wenn PR-Termine anstehen, dann lege ich meine Arbeit komplett zur Seite, weil meine Bücher eine starke Sogwirkung haben und ich oft und gerne über meine Figuren nachdenke.

Sie haben viele Figuren geschaffen. Gibt es bestimmte, die Ihnen häufiger im Kopf herumschwirren?
Charlotte Link: Kate war eine Figur, die ich interessant fand. Ich wollte über einen Menschen schreiben, der völlig gegenläufig zur Vorstellung einer Romanheldin, also stark und ruhmreich, ist. Mich faszinierte von Anfang an, dass Kate eine Anti-Heldin ist.

Welches Feedback haben Sie zum neuen Buch bisher bekommen?
Charlotte Link: Das Buch ist glücklicherweise ein großer Erfolg geworden und die Rückmeldungen sind positiv. Für mich ist erfreulich, dass man gerade die Hauptfigur so gut annimmt. Ich habe vermutet, dass man sich mit jemandem wie Kate nicht gerade identifizieren kann. Viele sagen mir aber, dass sie ganz viel von sich selbst in Kate finden: die Selbstzweifel, die Unsicherheit und auch die Einsamkeit. Das ist nichts Schönes, aber offenbar die Realität.

Alle Charaktere im Buch sind ja eher negativ behaftet …
Charlotte Link: Ich finde, die Familie des anderen Handlungsstranges, also Stella und Jones, sind eher normale Menschen mit einem relativ intakten Lebensgefüge. Natürlich geraten sie durch die Ereignisse in eine lebensbedrohliche Situation, aber generell würde ich sie nicht als stark negativ belastete Menschen bezeichnen.

Aber Jones sucht gerade nach einer Auszeit, weil er kurz vor dem Burnout steht …
Charlotte Link: Ja, gut geht es ihm nicht, aber die Familie bewegt sich meines Erachtens auf einem relativ normalen Level. Dass man Stress hat und eine Auszeit braucht, ist ja normal und kommt häufig vor.

Hat sich nach der "literarischen Ausnahme" - also dem Erscheinen des autobiografischen Buches über Ihre Schwester - etwas an Ihrem Schreibstil verändert?
Charlotte Link: Mein aktueller Krimi würde vielleicht, wenn es eine Veränderung gibt, noch keine Hinweise darauf geben. "Die Betrogene" habe ich kurz nach dem Tod meiner Schwester begonnen, doch dann erlitt ich einen Zusammenbruch und konnte nach zwei Dritteln nicht weiterschreiben. Zu dem Zeitpunkt ging einfach nichts in meinem Leben weiter. Ich habe versucht, über die Trauer hinwegzugehen und zu arbeiten, habe dabei aber nur die Zeit verzögert und nach einem Jahr dann den Zusammenbruch erlitten. Deshalb musste ich die Arbeit abbrechen und die Autobiografie schreiben. Danach konnte ich "Die Betrogene" fertig schreiben. Insofern würde ich dieses Werk noch in die alte Zeit einordnen. Für mich fühlt es sich nach dem Tod meiner Schwester allerdings so an, als hätte sich mein ganzes Leben verändert, jedoch bedeutet das nicht zwangsläufig, dass man das im Buch merkt.

Ihre Geschichten sind realitätsnah. Können Sie sich vorstellen, auch mal eine Fantasie-Geschichte zu verfassen?
Charlotte Link: Mir würde das nicht liegen. Ich möchte mich mit echten Menschen beschäftigen und mit dem, was wirklich passieren könnte. Ich weiß, dass man mit Figuren wie Harry Potter auch ein Stück Realität überträgt und das Ganze in veränderter Form darstellt, aber das ist nicht meine Art.

Also bleibt es bei den Kriminalromanen und den realen Geschichten?
Charlotte Link: Man kann das nie sagen, aber momentan sieht es für mich so aus. Vor über 30 Jahren habe ich mit historischen Romanen begonnen und damals hätte ich geantwortet, dass ich immer historische Romane schreibe. Irgendwann hat mich das nicht mehr interessiert, also kann ich nicht sagen, was mich mal interessieren wird oder ob mich der Krimi irgendwann nicht mehr interessieren wird.

Ein großer Trend in Deutschland ist es, sonntags den Tatort zu gucken. Schauen Sie diesen selbst auch und wie schätzen Sie die Qualität der Kriminalfälle ein?
Charlotte Link: Ja, ich schaue ihn und mag manche sehr gerne und manche gar nicht. Ich schaue fast jeden Sonntag, wenn ich zuhause bin. Die Krimis sind realistisch und greifen aktuelle Themen auf, allerdings ist die Qualität abhängig vom Team. Ich mag zum Beispiel die Art des Kölner Teams sehr gerne. Es ist nicht auf komisch gemacht und die Fälle sind gut. Das Leipziger Team um Simone Thomalla und ihren Ex-Mann mochte ich auch sehr und fand es schade, dass die beiden abgesetzt wurden.

Wird von Ihren Büchern aktuell eines verfilmt?
Charlotte Link: Es sind gerade zwei verfilmt worden: "Der Beobachter" und "Die letzte Spur", ersterer wird im Dezember in der ARD gezeigt. Ich habe ihn schon gesehen und fand ihn sehr authentisch, weil er in England spielt und zwei Drittel der Schauspieler Engländer sind.

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