Knolle und Bratwurst: Bodenständiges aus Thüringen

Weimar (dpa/tmn) · In die Rostbratwurst gehört Kümmel. Oder Muskat. Oder Majoran. Jeder Metzger in Thüringen hat sein eigenes Rezept - so wie jeder Koch sein eigenes für die so typischen Kartoffelklöße hat. Bodenständigkeit wird in der Landesküche groß geschrieben.

Zwei Gerichte haben Thüringen kulinarisch in der Welt bekanntgemacht: Klöße und Rostbratwurst. Deftige Kost ist typisch für die Speisekarte des zwischen Harz, Eichsfeld, Rhön und Thüringer Wald gelegenen Landes, das im Süden an Bayern grenzt. Wälder und Wiesen prägen die Ursprünge der regionalen Küche. „Die Menschen nutzen, was Land und Boden zu bieten haben. Viele Nutztiere, Produkte des Ackerbaus sowie viele Waldkräuter und Pilze“, erklärt Sten Fischer, Spitzenkoch im Restaurant „Alt-Weimar“ in Weimar. Die harte körperliche Arbeit in Wald und Hof erforderte zudem energiereiche Kost aus Kartoffeln, Rot- und Weißkraut sowie Fleisch.

Das stammte hauptsächlich vom Schwein. Das Borstenvieh füllten die Thüringer schon im 15. Jahrhundert in einen Darm - die Rostbratwurst, die bekannteste Spezialität des Landes, entstand. Für die Original Thüringer Rostbratwurst - einer von der EU geschützten geografischen Bezeichnung - müssen die Zutaten zu 51 Prozent aus dem Land kommen, sagt Thomas Mäuer vom Verein Freunde der Thüringer Bratwurst.

Jeder Metzger verfeinert das Brät nach eigener Rezeptur. Gewürzt wird regional unterschiedlich. In Ostthüringen kommt Kümmel in die wenig fetthaltige Füllung, in Südthüringen Knoblauch und Muskat, in der Gegend um Erfurt und Gotha Zitrone. Nordthüringer Metzger aromatisieren mit kräftig-minzigem Majoran, der auf den Böden des Harzvorlandes gedeiht. Küchenchefs zählen das Gewürz aus der Mitte Deutschlands zum besten der Welt.

Traditionell kommt die Fast-Food-Kost vom Holzkohle-Rost. Das Brennmaterial gewannen Köhler einst in den dichten Wäldern des Landes. Bis heute ist das Knistern der Glut ebenso wie Geselligkeit und Wurst-Duft Teil der „Rostkultur“, die Mäurer und Gleichgesinnte in Holzhausen in der Nähe von Arnstadt im 1. Deutschen Bratwurstmuseum pflegen. Ob die Bratwurst mit oder ohne Senf gegessen wird, ist ihnen wurscht. Aber: „Der Thüringer an sich genießt seine Wurst so.“ Höchstens ein frisches Brötchen darf sein.

Die Kartoffelklöße zeugen ebenfalls von kulinarischer Bodenständigkeit. Die Knolle kam um 1739 ins Land. Sie wurde zur Wildfütterung und als Zierpflanze angebaut, später diente sie der Stärkegewinnung. Den übrig bleibenden Schab, also die geriebenen Kartoffeln, verarbeiten die Menschen wahrscheinlich seit Anfang des 19. Jahrhunderts zu Klößen. Die nahrhafte Resteverwertung in Arme-Leute-Gegenden, im Vogtland und Thüringer Wald nennt Thorsten Langbein vom Kloßproduzenten Ablig, einem bei Weimar ansässigen Familienbetrieb, als Ursprünge.

Der aufwendige Herstellungsprozess hat sich im Grunde erhalten. Die rohe Masse wird ausgeschleudert, mit gekochten Kartoffeln gemischt, gefüllt mit gerösteten Semmelwürfeln und geformt: „Je größer die Hände, desto größer der Kloß.“ Der Schab kommt inzwischen meistens aus der Packung oder landet direkt als tiefgekühlter Klops im Kochwasser. Als Beilage zu Sauerbraten, Rindsroulade, Gans und Ente gereicht, saugt der Kloß die Soße auf. Moderne Gastronomen variieren den Klassiker, indem sie Blattspinat, geräucherten Lachs oder Rot- und Leberwurst hineinlegen.

Deftiges gibt es auch in flüssiger Form. Korn und Bier dienten dazu, die Hausmannskost herunterzuspülen. Während in Nordhausen nach traditioneller Rezeptur Schnaps gebrannt wird, wird in Köstritz Schwarzbier gebraut. Die Rezeptur eines Ostthüringer Mutzbratens vereint mehrere landestypische Ausgangsprodukte: in Bier mariniertes Schwein, am Spieß gebraten über offenem Feuer, serviert mit Senf und Schwarzbrot.

Die Dominanz der einfachen Zutaten setzt sich in der süßen Ecke fort. Mit „Blechkuchen statt Sahnetorten“ umschreibt Mandy Neumann von Thüringen Tourismus das historisch überlieferte Angebot der Bäckereien. Der Teig wird dicht belegt mit Früchten aus dem eigenen Garten, obenauf kommt eine Lage Streusel. Schön saftig, „feucht“, soll der Kuchen sein, der zu Kaffee und Tee gereicht wird.

Die Stückchen wirken auf den ersten Blick bescheiden. Doch das täusche, sagt Neumann: „Statt eines großen gibt es viele kleine Stücke, da kann man die verschiedenen Varianten probieren.“ So war es früher üblich, den Gästen eine möglichst große Auswahl an Kuchen vorzusetzen. Wer weniger als zehn auf den Tisch brachte, galt angeblich als geizig. Sehr üppig nimmt sich der Weihnachtsstollen mit seinen vielfältigen Zutaten aus. Das in Erfurt Schittchen genannte Gebäck versüßt seit rund 500 Jahren die Festtage der Thüringer.

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