„Sylter Royal“ - Edles Essen aus dem Watt

List (dpa) · Eigentlich schmecken sie nicht viel anders als gesalzene Salatgurken. Hübsch drapiert im Restaurant gelten Austern als Erkennungszeichen der Schickeria. Der Anbau des Luxusprodukts in der einzigen Austernzucht Deutschlands auf Sylt ist ein Knochenjob.

Vom schlichten Schalentier zum echten Edelessen: Diese Verwandlung geschieht in Deutschlands einziger Austernzucht auf Sylt pro Jahr mit einer Million Muscheln. Bevor sie als Gaumenkitzel zu den Gourmettempeln geschickt werden, müssen die Austern drei Jahre im Watt reifen - und obendrein jeden Herbst ins Winterlager. Das ist ein weltweit einmaliger Aufwand und bedeutet richtig harte Arbeit.

Zuständig für die Zucht ist Christoffer Bohlig, Betriebsleiter der „Dittmeyer's Austern-Compagnie“. Er steht am Firmensitz in List ganz im Norden Sylts an einem der 16 Wasserbecken. Dorthin muss jedes Jahr der gesamte Bestand, bevor Frost im Watt droht. Etwa zwei Millionen Austern leben auf der rund 30 Hektar großen Anbaufläche. Seit 1986 besteht die Austernfarm in der Blidselbucht zwischen List und Kampen.

Die jungen Muscheln kommen aus Irland, erzählt Bohlig, als er einen Traktor startet und über den Strand ins Watt fährt. Es ist diesig. Nach etwa 500 Metern tauchen im Watt Metallstangen auf, die über dem Boden riesige Waben formen. Auf ihnen liegen die Austern in wäschekorbgroßen Netzen.

„Jede Auster geht gut 30 Mal durch unsere Hände“, sagt Bohlig. Die Zucht brauche Pflege. Normalerweise wachsen Austern aneinander fest, um Halt zu haben. Als Klumpen wären sie aber unverkäuflich. Also müssen die Säcke regelmäßig geschüttelt werden - wie ein Kopfkissen.

„Und wir müssen immer wieder nach Größen neu sortieren“, sagt der 33-Jährige. Pflege und Ernte sind nur bei Niedrigwasser möglich. Das fertige Produkt, verpackt in Holzkisten, heißt „Sylter Royal“. Es handelt sich um Pazifische Felsenaustern, die in Deutschland nicht heimisch ist. Das kritisieren Umweltschützer. Sie fürchten etwa, dass die Miesmuschel verdrängt wird - und mit ihr andere Arten.

Peter und Markus, zwei von vier Austernfischern bei Dittmeyer's, erledigen an diesem Tag einen Knochenjob: Sie stapfen in Wathosen durchs knietiefe Wasser, lösen festgezurrte Austernsäcke und wuchten sie auf die Gabel des Traktors. Das Winterquartier wartet.

Die Männer keuchen. Die fünf Grad kalte, diesige Luft benetzt ihre Gesichter. „Arbeit ist die beste Heizung“, scherzt Markus. 50 Austern kosten bei Dittmeyer's 65 Euro. Umsatz und Gewinn will Chefin Bine Pöhner nicht verraten. „Unser Marktanteil in Deutschland liegt bei einem Viertel“, sagt sie. Die Konkurrenz liefere aus Frankreich, Irland, den Niederlanden, den USA und sogar Australien.

Zurück an Land kommen die Muscheln den Winter über in die Becken, die sonst als Warenlager dienen. „Dort wachsen sie aber nicht“, sagt Betriebsleiter Bohlig. Genug Nährstoffe biete nur die Natur im Watt. „20 Liter pro Stunde filtert eine ausgewachsene Auster.“

Der Schickimicki-Status der Auster als Essen der Oberschicht ist übrigens ein Phänomen. Anders als etwa Lachs oder Gambas hat es die Auster bisher nicht in die Mittelschicht geschafft - obwohl es ihr Preis durchaus zuließe. „Bei Austern gibt es nach wie vor eine klare Klassenschranke“, sagt Professorin Claudia Neu, Soziologin und Ernährungsexpertin an der Hochschule Niederrhein.

Sie ist überzeugt, dass die Auster - ähnlich wie Gänseleber oder Weinbergschnecken - auch in Zukunft ein Essen der oberen Zehntausend bleibt. Obwohl Preis und Verfügbarkeit die Auster zum Massenprodukt machen könnten, sprächen Geschmack und Konsistenz dagegen. Die wabbelige Auster erinnert an salzige Salatgurke mit einer Spur Nuss.

Diplomatischer heißt es bei Dittmeyer's im Internet, der Gaumen müsse sich an die „facettenreichen Geschmackserfahrungen“ gewöhnen. Die Auster wolle „beim Verzehr entdeckt werden“.

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