Ein Ei, das keinem andern gleicht

Trier · In den 1930er Jahren stellten Forscher der Aerodynamischen Versuchsanstalt (AVA) im niedersächsischen Göttingen ein Auto vor, das als eine der konsequentesten Umsetzungen der Aero dynamik im Fahrzeugbau gilt: den sogenannten Schlörwagen.

 Den Schlörwagen – auch Göttinger Ei genannt – hat die Aerodynamische Versuchsanstalt entwickelt. Foto: DLR

Den Schlörwagen – auch Göttinger Ei genannt – hat die Aerodynamische Versuchsanstalt entwickelt. Foto: DLR

Trier. Der Schlörwagen war ein Experimentalauto, das 1939 für Aufsehen sorgte. Seine Windschlüpfrigkeit, gemessen als Luftwiderstandsbeiwert (cw-Wert) , war mit 0,186 sensationell niedrig. Heutige PKW reichen mit 0,24 bis 0,30 nicht an die günstige Form des Schlörwagens heran. Lediglich moderne Experimentalautos weisen niedrigere cw-Werte auf. Im Gegensatz zu ihnen sollte der Schlörwagen allerdings der Prototyp für ein alltagstaugliches Familienauto sein.
Der Göttinger Strömungs forscher Sigfried Loose vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Nachfolger der AVA, hat ein Modell des Schlörwagens im Maßstab 1:5 noch einmal in einen Windkanal gestellt und es mit modernen Methoden untersucht. Dabei inter essierte den Wissenschaftler weniger die Bestätigung des cw-Werts, als vielmehr die Frage, warum er so niedrig war. Die Aufnahmen vom Modell im Wind kanal bestätigten die Untersuchungen in den 1930er Jahren: Die Strömung schmiegt sich eng an das Modell an. Es kommt zu keinerlei Strömungsabrissen oder Verwirbelungen, die ein Fahrzeug bremsen würden. "Als geradezu ideal erwies sich das lang hin unter gezogene Heck: Hier zeigte sich keinerlei Luftrückströmung, die bei den meisten Autos für erhöhten Luft widerstand sorgt", sagt der Aero dynamikforscher.
Der Wagen verdankt seinen Namen dem Ingenieur Karl Schlör von Westhofen-Dirmstein (1911 - 1997). Das Auto sollte nicht in erster Linie hohe Geschwindigkeiten erzielen, sondern bei herkömmlichem Fahrtempo einen besonders niedrigen Verbrauch haben und einer ganzen Familie Platz bieten - ein Konzept, das in der Zeit von Klimawandel und Energiekrise äußerst modern anmutet.
Das Design des Schlörwagens baute auf der systematischen Untersuchung verschiedener Profile von Flugzeugtragflächen auf. Schlör wählte für die Grundform des Wagens zwei davon mit besonders niedrigem Luftwiderstand aus. Die Form des Fahrzeugs ähnelte der eines halben Tropfens, was ihm den Spitz namen Göttinger Ei einbrachte.
Mercedes 170 H als Basis


Um die aerodynamisch günstige Form so wenig wie möglich zu stören, drehten sich die Vorderräder innerhalb der 2,10 Meter breiten Karosserie. Der Unter boden des Autos war geschlossen und die Seitenfenster bündig mit der Außenhaut. Trotz einer Aluminiumkarosserie war der Wagen etwa 250 Kilogramm schwerer als das Serienmodell, ein Mercedes 170 H.
Die Höchstgeschwindigkeit dieser Limousine betrug circa 105 km/h, bei der Stromlinienversion waren es beachtliche 134 bis 136 km/h. Der Schlörwagen verbrauchte auf 100 Kilometer acht Liter Benzin, das Serien modell hingegen zehn bis zwölf Liter.
Trotz all seiner Vorteile ging der Schlörwagen nie in Serie. Und das nicht ohne Grund: Die Aerodynamik ging auf Kosten der Fahrsicherheit. "Fahrdynamisch war der Schlörwagen eine Katas trophe. Er war nicht nur sehr schwer fahrbar, stärkerer Seitenwind hätte das Fahrzeug von der Straße gefegt", mutmaßt Loose.
Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich die Spur des Prototyps verloren. Ob er von den Alliierten beschlagnahmt und nach England gebracht wurde, auf einem Schrottplatz landete oder vielleicht noch heute in einem Schuppen bei Göttingen steht, ist ein Geheimnis geblieben.

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