Auf den Dächern der Stadt - Leben auf minimalem Raum

Berlin (dpa) · Wie viel Platz braucht ein Mensch zum Leben? 6,4 Quadratmeter, würde die tinyhouse-Bewegung antworten. Mit Wohnungsmangel in Großstädten kommen Ideen für Leben auf minimalem Raum - auch mit Weitblick.

 Die Berliner Architekten Andreas Rauch und Simon Becker entwickeln Mini-Wohnungen, die auf Hausdächern platziert werden sollen. Foto: Paul Zinken

Die Berliner Architekten Andreas Rauch und Simon Becker entwickeln Mini-Wohnungen, die auf Hausdächern platziert werden sollen. Foto: Paul Zinken

Oben der Himmel, unten Berlin. Hier könnte es stehen, das Mini-Haus. Auf dem Dach eines großen Altbaus, hoch über dem Trubel. Beim Einschlafen sieht man über dem Bett die Sterne.

So ein Haus auf dem Haus haben die jungen Berliner Architekten Simon Becker und Andreas Rauch entwickelt. Ihre Idee: Neuen Wohnraum schaffen auf den Dächern der Städte, in der Wohnungen seit Jahren knapper werden. Und ein Trend zum Minimalismus, zum Wohnen mit wenig Platz, wie ihn in den USA die tinyhouse-Bewegung lebt.

Tatsächlich rückt auch Deutschland in den Großstädten seit einiger Zeit zusammen. Zwar gönnten sich die Menschen bundesweit zuletzt mehr Wohnraum, inzwischen mehr als 45 Quadratmeter pro Kopf. Doch in Städten wie Köln und Frankfurt, wo die Immobilienmärkte heiß gelaufen sind, beginnt sich das nach Erkenntnissen des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung langsam umzudrehen.

In Berlin treibt eine Gruppe das Leben auf engem Raum auf die Spitze. Ihr Mini-Apartment „tiny100“ ist nur 6,4 Quadratmeter groß. Trotzdem passen Bett, Küche, Dusche und Sofa rein. Verschachtelt, gestapelt, doch möglich. „Wir haben ausgelotet, auf welchem Raum man noch leben kann“, sagt Industriedesigner Raphael Behr. Sitzt man am Schreibtisch, baumeln die Füße in die Küchenzeile.

Irgendwann, wenn eine Immobilie gefunden ist, will die Gruppe um den Architekten Van Bo Le-Mentzel mehrere dieser Mini-Wohnungen für 100 Euro im Monat vermieten, an Leute, die sich wohnen sonst oft nicht leisten können. In einem Gemeinschaftsraum sollen die Mieter zusammenkommen mit wohlhabenderen Bewohnern größerer Wohnungen im gleichen Haus.

Ob aus Not oder Lebensgefühl: „Klein und heimelig“ sei immer mehr gefragt, sagt auch Architekt Becker. Gleichzeitig wollten junge Leute unbedingt in die Stadt. „Und wo ist noch Platz in der Stadt? Auf dem Dach.“ So entstand die Idee von „cabin spacey“ : Kleine Wohncontainer mit Weitblick ganz oben.

Tatsächlich sind die Dachflächen deutscher Großstädte eine riesige, wenig genutzte Ressource. 50 000 Wohnungen könnten allein auf Berlins Dächern entstehen, schätzte der damals zuständige Senator Andreas Geisel im vergangenen Jahr. Bundesweit, so ergab eine Untersuchung der Uni Darmstadt, bieten Hausdächer Platz für mehr als 1,5 Millionen Wohnungen - und zwar dort, wo diese schon heute knapp und teuer sind: in Großstädten, Ballungsräumen und Unistädten.

Auf viele dieser Dächer kann man aus statischen Gründen kein komplettes Geschoss aufsetzen. Die „cabin“ von Becker und Rauch ist kleiner und leichter. „Sie passt auf Dächer, die man sonst nicht bebauen kann“, erklärt Rauch. Schlafen, Kochen, Duschen, Leben auf knapp 25 Quadratmetern. Ein einziger, minimalistischer Raum mit vielen Funktionen, Stau- und Schachtelmöglichkeiten, ganz aus Holz.

Das fertige Mini-Haus wird mit dem Kran aufs Dach gesetzt, darunter ein Gerüst zur Lastverteilung. Theoretisch könnte das winzige Zuhause mit dem Besitzer einfach umziehen, vom Dach in Berlin aufs Dach in München. Doch geeignete Dächer mit Fluchtwegen, Anschlüssen und Genehmigung sind schwer zu finden. Das erste haben Becker und Rauch jetzt so gut wie sicher. Im Sommer könnte ihr Mini-Haus auf dem Dach einer Wohnungsbaugesellschaft in Kreuzberg stehen.

Und wer könnte einziehen in so ein Raumwunder? Leute, die oft Stadt und Job wechseln, sagt Becker. Studenten, Künstler, Expats, Projektmanager, digitale Nomaden. Leute, denen nicht nur das Rationale, sondern auch der Coolness-Faktor wichtig ist. Ordentlich müsse man schon sein, wenn man auf so wenig Raum leben wolle, räumt Behr ein. Ihm selbst würden Werkstatt oder Lagerraum fehlen. „Ich hab einfach zu viel Zeug.“

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