Keine Angst vor dem „bösen Killerpilz“ - Reetdächer steil decken

Stavenhagen (dpa/tmn) · Reetdächer können ein Leben lang halten - bei manchen zerbröselt das Schilf Hausbesitzern aber schon nach wenigen Jahre über den Köpfen. „Killerpilze“ sollen schuld sein, so ein Gerücht. Unsinn, sagen Experten. Die Dächer sind falsch gebaut.

 Je steiler, desto besser: Über ein spitzes Reetdach läuft das Regenwasser gut ab. Pilze und Bakterien haben dann weniger Chancen, sich niederzulassen. Foto: Hilke Segbers

Je steiler, desto besser: Über ein spitzes Reetdach läuft das Regenwasser gut ab. Pilze und Bakterien haben dann weniger Chancen, sich niederzulassen. Foto: Hilke Segbers

Reetdächer sollten möglichst steil sein. Denn kann das Regenwasser nicht richtig abfließen, siedeln sich leicht Pilze und Bakterien an, und das Schilf verfault. „Ist das Dach oder die Gaube zu flach, wird's ein Misthaufen“, erklärt Dachdeckermeister Thorsten Ring aus Wendelsdorf (Mecklenburg-Vorpommern). Der Reetsachverständige der Handwerkskammer rät zu einer Neigung von mindestens 40 Grad.

Gut verarbeitete Schilfdächer können 60 bis 80 Jahre alt werden, sagt Marlies Händschke, Geschäftsführerin der Reetdachdeckerinnung Mecklenburg-Vorpommern in Stavenhagen. Allerdings verrotteten gut vier Prozent der neueren Reetdächer in Norddeutschland schon nach wenigen Jahren.

Je steiler das Dach, desto länger hält das Reet - zu diesem Ergebnis kommt auch das Institut für Bauen und nachwachsende Rohstoffe der Fachhochschule Lübeck, das die Bautechniken gesunder Schilfrohrdächer untersucht hat.

Von einem „bösen Killerpilz“, der die Dächer auffrisst, will der Mikrobiologie-Professor Frieder Schauer aus Greifswald nichts wissen. „Das sind ganz normale Mikroorganismen, die überall vorkommen, denen aber bauliche Mängel und schlechte Rohware die Chance zum Angriff geben“, sagt der Reetexperte. Er arbeitet an einem Schnelltest, um die Güte des aus aller Welt importieren Materials zu prüfen und den Dachdeckern Rechtssicherheit zu geben.

Nur trockenes, sauberes Schilf darf verwendet werden, erklärt Thorsten Ring. Das Material wird 35 Zentimeter dick, schön dicht und mit mindestens sechs Zentimetern Hinterlüftung verlegt. In den 1990er Jahren erlebte der Naturbaustoff eine Renaissance. Es gab verlockende Reetdach-Förderprogramme. „Die Nachfrage nach Rohr überstieg das heimische Angebot, enorme Mengen Reet wurden teils unkontrolliert in Osteuropa eingekauft und vor Ort auch Schilf geerntet, was vielleicht nicht zu hundert Prozent astrein war“, sagt der Dachdecker.

Die Handwerker müssen weiterhin auf die Ressourcen aus dem Ausland zurückgreifen: „Heute holen wir Schilf aus Polen, Rumänien, Ungarn, der Ukraine, der Türkei und sogar aus China, nur so ist die enorme Nachfrage zu decken“, sagt Ring. Denn etwa in Mecklenburg-Vorpommern untersagten Umweltauflagen den Abbau - „und das heimische Schilf bleibt allein den Vögeln vorbehalten“.

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