Kuscheltiere und Kordelsessel ? Design um die Jahrtausendwende

Berlin (dpa/tmn) - Design verändert sich ständig. Rund um die Jahrtausendwende avancierten Möbel - egal ob alt oder neu - zu Sammlerstücken. Designer setzten bei ihren Entwürfen auf Humor, Recycling oder biomorphe Formen ? „anything goes“ lautete das Motto.

 Eine Designikone der 90er Jahre: Marcel Wanders „Knotted Chair“ (links im Bild) besteht aus Kordeln, die von Hand verknotet wurden. Foto: Cappellini

Eine Designikone der 90er Jahre: Marcel Wanders „Knotted Chair“ (links im Bild) besteht aus Kordeln, die von Hand verknotet wurden. Foto: Cappellini

Design wandelt sich ständig. Und seit den 80er Jahren haben die Designer auch gezeigt: Man kann alles designen. Design ist auch ein Marketinginstrument, eine Lebenseinstellung, ein Merkmal zur Individualisierung geworden. Das hatte zur Folge, dass rund um die Jahrtausendwende die Vielfalt an Möbeln schier unüberschaubar war. Eine stilistische Einordnung war schwer.

Großen Einfluss in den 90er Jahren hatte das niederländische Design. Das Netzwerk Droog Design brachte ständig wechselnde Kreative zusammen. Ihre Produkte verbinden Provokatives und Banales, Visionäres und Ironisches. „Wir haben festgestellt, dass Design immer mehr seinen gesellschaftlichen Bezug verliert. Stattdessen wird es zum bloßen Marketinginstrument“, sagt Renny Ramakers. „Dagegen wehren wir uns.“

Ein Droog-Klassiker ist Tejo Remys „Chest of drawers“: Schubladen werden nicht von einem Rahmen zusammengehalten, sondern durch Gürtel. Jurgen Beys „Tree-trunk Bench“ ist ein Baumstamm, der als Bank dient. Marcel Wanders Sessel „Knotted Chair“ (Cappellini) besteht aus Kordeln, die von Hand verknotet, in Form gebracht und mit Epoxydharz fixiert werden. Das Ergebnis wurde eine Design-Ikone der 90er Jahre.

Die Objekte des Brüderpaars Humberto und Fernando Campana sind ein Manifest gegen die serielle Einfallslosigkeit der Industrie. Für ihre Sitzmöbel verwenden sie Abfälle. Diese fast schon anarchistischen Möbel sind ein Protest gegen den gern kopierten Minimalismus westlicher Prägung, der laut den Campanas nicht der brasilianischen Mentalität entspricht. Fernando Campana erklärt: „Wir wollen unseren eigenen Wurzeln Modernität geben, ohne folkloristisch zu sein.“ Einer ihrer bekanntesten Entwürfe, der „Favela Chair“ (Edra), ist ein gutes Beispiel: Nach dem Montageprinzip einer Favela-Hütte wird jedes Exemplar aus einem Haufen Holzreste neu zusammengesetzt.

Selbst in der Design-Nation Italien beginnen Kreative Wege abseits des Mainstreams einzuschlagen. Paola Navone, Mitglied der legendären Gruppe Alchimia, richtet sich mit ihren Entwürfen gegen das intellektuelle italienische Design, das ihr allzu glatt ist. Stattdessen entwarf sie Rattanstühle in matten Gewürzfarben, schmiedeeiserne Betten und gemütliche Sessel.

Eine ganz andere Zielsetzung beim Design verfolgte Ross Lovegrove, mit seinen organisch anmutenden Entwürfen. Er sagt: „Die Natur kennt doch auch keine geraden Linien, sie definiert sich nicht durch coole Ästhetik und den Ausschluss von emotionaler Wärme.“ So sehen Tischplatten aus Kunststoff bei ihm aus wie Bienenwaben (Herman Miller) und die „Oasi“-Sessel (Frighetto) nehmen einen förmlich in den Arm.

Andererseits setzt rund um das Jahr 2000 ein Trend ein, den manche für einen Rückschritt halten mögen: Es werden Classic Editions, Relaunches, Reeditionen und Remakes aufgelegt. Außerdem setzen Designer auf limitierte Editionen. Vom „Cinderella Table“ (Carpenters Workshop Gallrery) des Design-Trios Demakersvan gibt es nur sechs Stück. Der Tisch, von vorne kompakt, von der Rückseite ein hohles Gebilde, ist aus schneeweißem Marmor, am Computer gezeichnet und gefräst. Es ist eines dieser Werke, die die Trennung zwischen Design und Kunst aufheben.

 Der „Knotted Chair“ von Marcel Wanders besteht aus Kordeln. Sie werden von Hand verknotet, in Form gebracht und mit Epoxydharz fixiert. Foto: Cappellini

Der „Knotted Chair“ von Marcel Wanders besteht aus Kordeln. Sie werden von Hand verknotet, in Form gebracht und mit Epoxydharz fixiert. Foto: Cappellini

 Der Designer Ross Lovegrove mag keine Ecken und Kanten. So sieht auch einer seiner Klassiker, der „Oasi“-Sessel, aus. Foto: Estel

Der Designer Ross Lovegrove mag keine Ecken und Kanten. So sieht auch einer seiner Klassiker, der „Oasi“-Sessel, aus. Foto: Estel

 Ein Klassiker des Netzwerks Droog Design: Tejo Remys „Chest of drawers“ besteht aus Schubladen, die von einem Gürtel zusammengehalten werden. Foto: Droog/Gerard van Hees

Ein Klassiker des Netzwerks Droog Design: Tejo Remys „Chest of drawers“ besteht aus Schubladen, die von einem Gürtel zusammengehalten werden. Foto: Droog/Gerard van Hees

 Möbel als Kunstobjekte - so kann das aussehen: Der „Cinderella Table“ des Trios Demakersvan ist von der Rückseite betrachtet ein hohles Gebilde. Foto: White Moon Gallery/Adrien Dirand

Möbel als Kunstobjekte - so kann das aussehen: Der „Cinderella Table“ des Trios Demakersvan ist von der Rückseite betrachtet ein hohles Gebilde. Foto: White Moon Gallery/Adrien Dirand

Oder, wie sein Designer Jeroen Verhoeven sagt: „Es geht darum, etwas Einzigartiges mit einer intelligenten Maschine zu schaffen, die normalerweise für Massenproduktion eingesetzt wird.“ Nach der Moderne ist also vor der Moderne: Klassische Materialien werden mit neuesten Techniken bearbeitet, alte Formen dürfen aus neuen Werkstoffen wieder auferstehen.

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