Mein Nachbar hat Demenz - Was kann ich tun?

Berlin (dpa/tmn) · Rund 1,4 Millionen Menschen in Deutschland sind dement, Tendenz steigend. Doch wie sollen Nachbarn und Vermieter damit umgehen, wenn der Bewohner nebenan seine geistigen Fähigkeiten verliert? Die Antworten reichen von Hilfe anbieten bis Wohnungskündigung.

 Wie lange kann ein Mensch mit Demenz in seiner Wohnung bleiben? Strenge Regeln gibt es nicht: Nachbarn und Vermieter sollten tolerant sein und helfen. Foto: Uwe Zucchi

Wie lange kann ein Mensch mit Demenz in seiner Wohnung bleiben? Strenge Regeln gibt es nicht: Nachbarn und Vermieter sollten tolerant sein und helfen. Foto: Uwe Zucchi

Die alte Nachbarin scheint körperlich topfit zu sein. Sie kauft alleine ein und trägt die Tüten ohne Mühe bis in den zweiten Stock. Nur ihre geistigen Fähigkeiten scheinen nachzulassen. Was müssen Nachbarn in solchen Fällen ertragen?

Schon einige Male hat die Nachbarin geklingelt, weil sie sich ausgesperrt hat, oder sie stand vor der Tür, weil sie ihre Bluse nicht zubekam - sie trug noch ihr Nachthemd darunter. Das sind typische Anzeichen einer Demenzerkrankung. Meistens erkennen Nachbarn an diesen Anzeichen überhaupt erst, dass ein Mitbewohner geistig stark abbaut.

Was ist für Nachbarn zumutbar? Klar ist: Es gibt keine festen Regeln. Im Zusammenleben mit Demenzkranken „ist ein gesteigertes Maß an Rücksichtnahme und Toleranz gefordert“, sagt Beate Heilmann von der Arbeitsgemeinschaft Mietrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV). Grenzen überschritten werden nach Einschätzung der Anwältin, wenn Nachbarn jede Nacht um ihren Schlaf gebracht werden. Das Maß des Ertragbaren ist auch bei Bedrohungen erreicht.

Ansprechpartner betroffener Mieter sollte zunächst der auffällige Nachbar selbst sein. „Hilfe und Unterstützung anbieten, keine Vorwürfe machen“, empfiehlt Saskia Weiß von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft . Außerdem sollte bei allein lebenden Menschen die Familie auf das merkwürdige Verhalten des Angehörigen angesprochen werden. Zudem gilt es, die Vermieter zu informieren.

Gerold Happ vom Eigentümerverband Haus & Grund Deutschland rät Vermietern, „den Mieter möglichst in der Lebensführung zu unterstützen, wenn man ihn gut kennt, weil man im gleichen Haus wohnt“. Klappt das nicht, rät Happ dazu, entweder die Angehörigen oder die Behörden einzuschalten. Zuständig ist der Sozialpsychiatrische Dienst der jeweiligen Kommune. „Nur dieser Dienst darf von sich aus Kontakt zum Erkrankten aufzunehmen, und er kann rechtliche Betreuung anregen“, sagt Saskia Weiß.

Mieter wie Vermieter sind zur Hilfe verpflichtet, wenn ihnen auffällt, dass ein Hausbewohner abgemagert, verwahrlost und offensichtlich verwirrt herumläuft. Wer einfach wegsieht, riskiert wegen unterlassener Hilfeleistung belangt zu werden. Im Notfall dürfen Vermieter von sich aus nicht in die Wohnung des Demenzkranken; es sei denn, dieser hat ihnen oder einem Nachbarn Schlüssel gegeben. Polizei und Feuerwehr haben das Recht, die Tür aufzubrechen.

Nachbarn haben die Möglichkeit, „von ihrem Vermieter zu verlangen, dass er dafür sorgt, dass Beeinträchtigungen unterbleiben“, sagt Ulrich Ropertz vom Deutschen Mieterbund (DMB). Zu den Beeinträchtigungen gehört zum Beispiel Ruhestörung. Rein rechtlich betrachtet sind dies Mängel, die es dem Mieter erlauben, die Miete zu mindern und die der Vermieter zu beseitigen hat - auch wenn er den Mangel nicht verschuldet hat. Vom menschlichen Schicksal abgesehen gehe es „um einen Instandsetzungsanspruch, vergleichbar dem tropfenden Wasserhahn“, sagt Beate Heilmann.

Vermieter dürfen dem Demenzkranken im schlimmsten Fall die Wohnung kündigen. Voraussetzung ist aber, dass sein Verhalten für die anderen Hausbewohner unzumutbar ist und es Beschwerden gibt. Für den Rauswurf spielt es keine Rolle, dass der demente Mensch für sein Verhalten gar nichts kann, wie Heilmann erläutert. Allerdings ist grundsätzlich vor der Kündigung mindestens eine Abmahnung fällig.

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