Morgens ab sechs Uhr dürfen Glocken läuten

Mannheim · Um sechs Uhr in der Früh ist die Nacht vorbei und es darf offiziell zwei Minuten lang geläutet werden. Mit diesem Ergebnis endete ein Prozess gegen das liturgische morgendliche Glockengeläut einer Kirche.

Mannheim. Wenn die Kirchenglocken morgens um sechs Uhr an einem Werktag läuten, dann müssen Anwohner das hinnehmen.
Der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim hat nunmehr entschieden, dass ein solches zweiminütiges liturgisches Glockengeläut für einen Nachbarn der Kirche nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz zumutbar ist (Az.:1 S 241/11).
Störung beim Lesen


Der Kläger in dem vom Rechtsportal Juris veröffentlichten Fall bewohnt ein Haus, das etwa 68 Meter von der Konradskirche in Remshalden-Geradstetten entfernt ist. Dort läutet werktags um sechs Uhr morgens zwei Minuten lang die große Betglocke im Kirchturm.
Der Nachbar, der Mitglied in der evangelischen Landeskirche ist, sah sich durch das Glockengeläut in seinen Grundrechten verletzt, insbesondere in seiner Religionsfreiheit. Er werde, so heißt es weiter, gezwungen, ein akustisches religiöses Zeichen zu hören. Verfrühtes Glockengeläut störe ihn auch beim Lesen der Bibel oder der Meditation. Vor Sonnenaufgang wohne dem Glockenläuten ein heidnisches, der Abwehr böser Geister dienendes Element inne.
Die Kirche berief sich auf ihr kirchliches Selbstbestimmungsrecht und ihre Religionsfreiheit. Das morgendliche Geläut sei Zeichen für den Tagesbeginn mit Gott; dieser Brauch werde seit langem gepflegt und sei sozial angemessen.
Der Kläger forderte ein Verbot des Läutens bis acht Uhr. Das Verwaltungsgericht Stuttgart verneinte einen solchen Unterlassungsanspruch. Dem schloss sich der Verwaltungsgerichtshof an. Begründung: Das Glockengeläut sei keine schädliche Umwelteinwirkung im Sinne dieses Gesetzes. Es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, dass die damit verbundenen Schall-Immissionen Schwellenwerte der Technischen Anleitung (TA) Lärm überschritten.
Religion ist außen vor


Die Immissionen seien zudem herkömmlich, sozial angemessen und allgemein akzeptiert. Die TA Lärm schütze die Nachtruhe grundsätzlich nur bis sechs Uhr. Anderes ergebe sich nicht unter Berücksichtigung der Grundrechte des Klägers. Das Glockengeläut berühre zwar seine Religionsfreiheit. Diese Einwirkung gehe aber nicht vom Staat aus. Der Staat sei auch nicht verpflichtet, zum Schutz der Religionsfreiheit des Klägers gegen die Beklagte einzuschreiten. Die Kirchengemeinde übe mit dem Glockengeläut ebenfalls verfassungsrechtlich geschützte eigene Rechte aus. Die widerstreitenden grundrechtlichen und staatskirchenrechtlichen Gewährleistungen seien daher in einer Abwägung schonend auszugleichen.
Schonender Ausgleich


Dieser schonende Ausgleich liege in der Beachtung der immissionsschutzrechtlichen Schwellenwerte. Ein weitergehender Immissionsschutz vor Glaubens- und Bekenntnisbekundungen der Beklagten stehe dem Kläger nicht zu. Denn dies würde der laizistischen Weltanschauung (für eine Trennung von Kirche und Staat) Vorrang gegenüber anderen Weltanschauungen einräumen, der mit der Religionsfreiheit nicht vereinbar sei.
Die Richter führten weiter aus: Im Übrigen verbleibe dem Kläger schon wegen der Kürze des Läutens der größte Teil der Zeit zwischen sechs und acht Uhr zu ruhiger Schriftlesung und Meditation.
Schließlich geböten auch das Eigentumsgrundrecht, das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung und der allgemeine Gleichheitssatz oder eines der speziellen grundrechtlichen Diskriminierungsverbote keine abweichende Würdigung. red

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