Überraschender Verkaufshit: Strandkörbe aus Bielefeld

Bielefeld (dpa) · Bielefeld und die Region Ostwestfalen sind nicht gerade für endlose Sandstrände und einladende Badegewässer bekannt. Dennoch ist die Stadt eine der Strandkorb-Hochburgen in Deutschland.

 Wurde von seiner Frau überredet: Gerd-Jürgen Müsing produziert in Bielefeld in Strandkörbe. Foto: Matthias Benirschke

Wurde von seiner Frau überredet: Gerd-Jürgen Müsing produziert in Bielefeld in Strandkörbe. Foto: Matthias Benirschke

Die wohl älteste Strandkorb-Fabrik ist an der Ostsee in Heringsdorf, die vermutlich größte in Ostfriesland. Und die meisten Strandkorb-Hersteller haben es nicht weit zum natürlichen Einsatzort ihrer Produkte, ans Meer. Anders der einzige große Strandkorb-Hersteller Deutschlands fernab jeden nennenswerten Gewässers, in Bielefeld.

„Ohne meine Frau, wäre alles anders gekommen“, sagt Gerd-Jürgen Müsing. „Wir sind mit den Kindern früher immer an die See gefahren und haben uns einen Strandkorb gemietet.“ Damals stellte die kleine Tischlerei vor allem Fenster und Türen her. „Nach einem Urlaub im Strandkorb sagte meine Frau dann: Warum sollte so einer nicht auch bei uns im Garten stehen?“

„Frauen können so eine liebevolle Penetranz haben“, sagt der 69-Jährige Seniorchef. Also begann Müsing das Geheimprojekt Strandkorb: Erst wollte er einen Gebrauchten kaufen, das klappte aber nicht. Dann hat er an der See ein Exemplar genau untersucht und fotografiert. Zurück in Bielefeld fing der Industriekaufmann an, mit seinem Tischlermeister einen Strandkorb zu bauen. Die Frau des Tischlers wurde überredet, das Geflecht herzustellen und schließlich war der erste Strandkorb aus Bielefeld fertig.

„Meine Frau war begeistert, aber dann kamen Freunde und Bekannte, die den Strandkorb bei uns im Garten gesehen hatten“, erinnert sich Müsing. Also wurden die nächsten Exemplare gefertigt und Mitte der 1980er Jahre wagte sich Müsing erstmals mit ein paar Modellen auf eine Verbrauchermesse in Bielefeld. „Die Reaktion war ernüchternd“, sagt Müsing. „Die Messebesucher zeigten auf uns und spotteten: "Guck dir die Spinner an, wollen in Bielefeld Strandkörbe verkaufen".“

Gut 25 Jahre später gehört Müsing zu den größten Strandkorb-Herstellern in Deutschland. Denn nach und nach setzte sich der See-Strandkorb auch in den Gärten durch. „Der Strandkorb hat inzwischen Kultstatus, nicht nur am Meer.“ Modelle der Marke „Sonnenpartner“ liefert er an rund 250 Händler. Das Geflecht, zumeist aus Kunststoff, kommt aus dem Werk in Tschechien, der Rest wird in Bielefeld produziert. Dazu kommt die Niedrigpreis-Linie, die in Indonesien für den Verkauf in Baumärkten hergestellt wird.

„Einen der ersten unserer Gartenstrandkörbe hat Didi Hallervorden gekauft“, verrät Müsing, dessen Söhne Jörn und Volker inzwischen in die Firma eingestiegen sind. Während die Strände an Nord- und Ostsee meist von den dortigen Strandkorb-Herstellern bestückt werden, machen sich Modelle aus Bielefeld in den Gärten der Republik breit. Auch vor Hotels in Süddeutschland oder vor Skihütten in den Alpen stehen sie - und nicht nur da: „Wir liefern in alle Welt, sogar nach Japan. Da war die Luftfracht teurer als der Strandkorb.“

Über die Stückzahl und den Umsatz will Müsing nichts verraten, die Branche sei so klein. Mehrere Tausend Stück würden aber jedes Jahr in Bielefeld hergestellt. Branchenexperten schätzen, dass die Bielefelder zu den drei größten Herstellern gehören. Vergleiche sind schwierig. Manche Hersteller lassen sich alle Teile zuliefern und beziehen nur noch die Polster, andere fertigen komplett in Deutschland.

Die Bielefelder stellen nicht nur die Standardmodelle her. „Wir erfüllen auch Sonderwünsche.“ Ein Luxusmodell ging für rund 8000 Euro weg. Neben der Gestaltung als Werbefläche gibt es Kühlfächer mit Gläsern und Öffner, Teleskop-Fußstützen für besonders lange Beine, Sitzheizung, Lautsprecher und Anschlüsse für tragbare Computer oder auch extrabreite Modelle, sagt Müsing. „Aber besonders ausgefallen waren die Strandkörbe für ein Bordell. Die hatten einen Bezug mit Leopardenfell-Muster.“

Als Erfinder des Strandkorbs gilt der Rostocker Korbmachermeister Wilhelm Bartelmann. Er soll 1882 den ersten Strandkorb gebaut haben. Die ersten geflochtenen Sessel mit vor Zugluft schützenden Seitenteilen und sogar Dach sind seit Ende des 16. Jahrhunderts erwähnt. Sie wurden allerdings im Haus benutzt. Schriftlich und in Darstellungen wurden Strandkörbe Ende des 19. Jahrhunderts dokumentiert, etwa in den Niederlanden.

Wenn von Bartelmann die Rede ist, wird immer auch die Geschichte der Elfriede von Maltzahn angeführt. Die ältere Dame litt an Rheuma und kam demnach im Frühjahr 1882 zum Korbmachermeister mit der Bitte, ihr eine schützende Sitzgelegenheit für den Strand zu bauen. Aber auch eine Familie Schaft aus Kröpelin bei Rostock reklamiert das Verdienst für sich. Der Korbmacher Johann Schaft habe schon 1875 eine Art Korbmuschel für seine an Gicht, Rheuma und Asthma leidende Frau ersonnen, die zur Kur an die See fuhr. Der Sohn Franz habe in Diensten von Bartelmann den heute bekannten klappbaren Zweisitzer entwickelt und Details wie Fußstützen und Klapptischchen hinzugefügt.

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