Nachfrage nach Studium ohne Abitur steigt

Berlin (dpa) · Seit Jahren fordern Wirtschaft und Gewerkschaften die Öffnung der Hochschulen auch für Meister und beruflich Qualifizierte ohne Abitur. Viele Unis wehrten zunächst ab. Jetzt tun sich einige hervor.

 Noch ist die Zahl derjenigen, die es versuchen, klein, aber: Es gibt auch ohne Abitur einen Weg ins Studium an deutschen Hochschulen. Foto: Uwe Anspach

Noch ist die Zahl derjenigen, die es versuchen, klein, aber: Es gibt auch ohne Abitur einen Weg ins Studium an deutschen Hochschulen. Foto: Uwe Anspach

Knapp 10 000 der rund 450 000 Studienanfänger im Wintersemester 2010/2011 hatten weder ein Abitur noch die Fachhochschulreife. Der Anteil der Studienanfänger ohne klassische Hochschulzugangsberechtigung betrug damit 2,1 Prozent und war so hoch wie nie zuvor. Das berichtete das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) in einer Studie . Die Quote der Studienanfänger ohne Abitur habe sich damit in Deutschland gegenüber 2007 nahezu verdoppelt.

Ein knappes Drittel der Nicht-Abiturienten (28,4 Prozent) schrieb sich in den vom Fachkräftemangel besonders betroffenen naturwissenschaftlichen und technischen Fächern (MINT) ein. Der Großteil (45,4 Prozent) wählte Rechts-, Wirtschafts- oder Sozialwissenschaften.

Infolge des Bildungsgipfels von Bund und Ländern hatte die Kultusministerkonferenz im März 2009 den Hochschulzugang für Meister und beruflich Qualifizierte ohne Abitur wesentlich erleichtert. Nach anfänglicher Zurückhaltung machen bestimmte Hochschulen heute sogar vermehrt spezifische Studienangebote für diese Zielgruppen, heißt es in der Studie. Sie bieten Brückenkurse zum Ausgleich fehlenden Vorwissens und flexible Studienzeitmodelle an oder haben Fern- und Präsenzstudium kombiniert. Auch werden zum Teil berufliche Kompetenzen beim Studium angerechnet.

Die Entwicklung in den Ländern ist unterschiedlich: Spitzenreiter ist Nordrhein-Westfalen, das mit 4,2 Prozent den höchsten Anteil von Nicht-Abiturienten unter seinen Studienanfängern hat. Ein Grund dafür ist die Arbeit der zentralen Fernuniversität Hagen, die von allen deutschen Universitäten die größte Zahl von Studienanfängern ohne Abitur verzeichnet. In Berlin beträgt die Quote der Nicht-Abiturienten unter den Studenten 3,7 Prozent. Thüringen, Sachsen und das Saarland sind mit Anteilen zwischen 0,9 Prozent und 0,4 Prozent die Schlusslichter.

14 von 16 Bundesländern haben laut Studie ihre Zugangsbedingungen zum Studium ohne Abitur deutlich verbessert. Brandenburg und Sachsen hätten hingegen die KMK-Empfehlungen noch nicht umgesetzt. In der Regel sind Meister oder Personen mit vergleichbaren Berufsbildungsabschlüssen den Abiturienten beim Hochschulzugang gleichgestellt. Sie können sich für jeden Studiengang ihrer Wahl bewerben. Für Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung und mehrjähriger Berufspraxis gibt es in allen 16 Bundesländern einen eingeschränkten Hochschulzugang. Ihre Studienfachwahl muss eine fachliche Nähe zu ihrer bisherigen beruflichen Tätigkeit haben.

Trotz der übergreifenden Verbesserungen gebe es in allen Ländern aber weiter sehr unterschiedliche Detail- und Ausnahmeregelungen, wird in der Studie kritisch angemerkt. „Studierwillige ohne Abitur müssen sich entsprechend intensiv durch den Dschungel der Verordnungen wühlen, um über die Sonderkonditionen in den Bundesländern im Bilde zu sein“, sagte CHE-Projektleiterin Sigrun Nickel.

Auch fehlten für Studieninteressierte ohne Abitur nach wie vor ausreichend Stipendien. Neben den Aufstiegsstipendien des Bundes sei auch die Wirtschaft gefordert, sich hier intensiver zu engagieren, heißt es in der Studie.

33 Fachhochschulen, 16 Universitäten und zwei künstlerische Hochschulen täten sich bei der Förderung von Nicht-Abiturienten besonders hervor, listet die Studie auf. Darunter sind auch Oldenburg, Hannover und Lüneburg. Als erstes Bundesland hatte Niedersachsen bereits Anfang der 70er Jahre Nicht-Abiturienten den Studienzugang ermöglicht. In der Liste der Hochschulen mit einem größeren Anteil von Nicht-Abiturienten überrascht die Universität Frankfurt/Main - die sich anfangs sogar mit einem Senatsbeschluss gegen die Aufnahme von Studienanfängern ohne klassische Hochschulreife wehren wollte.

Im Vergleich zum Ausland ist der Anteil der Studienanfänger ohne Abitur in Deutschland aber immer noch verschwindend gering. Laut jüngstem „Europäischen Studentenreport“ haben in Schweden 36 Prozent der Studenten keine klassische Hochschulreife und schaffen über ihre berufliche Qualifizierung den Sprung ins Studium.

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