Pille rein und gut? Studenten überschätzen „Hirndoping“

Berlin/Bamberg (dpa/tmn) · Klugheitspillen bleiben ein Wunschtraum. Aber Pillen, die das Konzentrationsvermögen erhöhen, gibt es - in Form verschreibungspflichtiger Medikamente. Manche Studenten setzen darauf. Doch akademischer Erfolg lässt sich anders besser erreichen.

 Viel hilft viel? Mit Pillen lässt sich die eigene Leistungsfähigkeit allenfalls kurzfristig steigern. Die Mittel können zudem Nebenwirkungen haben. Foto: Andrea Warnecke

Viel hilft viel? Mit Pillen lässt sich die eigene Leistungsfähigkeit allenfalls kurzfristig steigern. Die Mittel können zudem Nebenwirkungen haben. Foto: Andrea Warnecke

Einfach eine Pille einwerfen, die ganze Nacht durchlernen und die Prüfung am nächsten Tag mit Bravour bestehen. Davon träumt so mancher Student, der vor lauter Lernstress nicht mehr weiß, wo ihm der Kopf steht. Kein Wunder, dass es auch immer wieder welche gibt, die ihre geistige Leistung mit Medikamenten zu verbessern suchen. Doch bringen solche Mittel überhaupt etwas? Welche Risiken gibt es? Und was sind die Alternativen?

Fest steht bislang: Kurzfristig sind durchaus leistungsverlängernde Effekte zu beobachten, die sich aber auch durch andere Methoden als durch das Pillenschlucken erzielen lassen. Die langfristigen Folgen des Gebrauchs von Stimmungs- oder Kognitionsverbesserern sind dagegen überhaupt noch nicht bekannt. Unklar ist, ob sie zu einer körperlichen oder psychischen Sucht führen. Trotz dieser Ungewissheiten sind Studenten aber offenbar nicht abgeneigt, zu pharmazeutischen Helfern zu greifen.

So fanden Forscher um Prof. Klaus Lieb von der Uniklinik Mainz in einer repräsentativen Umfrage heraus, dass rund vier Prozent von 1547 befragten Schülern und Studenten schon mindestens einmal versucht haben, ihre Konzentration, ihre Aufmerksamkeit oder ihre Wachheit mit Hilfe von legalen oder illegalen Substanzen zu steigern. Häufiger als verschreibungspflichtige Psychostimulanzien nahmen sie illegal erhältliche Substanzen wie Amphetamine, Kokain und Ecstasy ein.

Auch die Hochschul Informations System GmbH (HIS) in Hannover kam zu der Erkenntnis, dass unter Studenten die - neutral als Neuro-Enhancement oder eher kritisch als Hirndoping bezeichnete - Methode durchaus verbreitet ist. In der repräsentativen HIS-Umfrage unter knapp 8000 Studierenden gab mehr als jeder Zehnte an, dass er seit Studienbeginn etwas eingenommen hat, um die Anforderungen des Hochschulalltags besser bewältigen zu können. Fünf Prozent der Befragten greifen demnach zu Drogen oder verschreibungspflichtigen Mitteln, weitere fünf Prozent zu „weicheren“ Mitteln wie pflanzliche, homöopathische oder Vitaminpräparate, Kaffee oder Schwarzem Tee.

Der HIS-Studie zufolge zweckentfremden die „Hirndopenden“ vor allem Schmerz-, Schlafmittel und Antidepressiva, Betablocker sowie das unter dem Handelsnamen Ritalin bekannte Methylphenidat. Auch Amphetamine und das ausschließlich zur Behandlung der Schlafkrankheit (Narkolepsie) bestimmte Modafinil sind verbreitet. „Die Nebenwirkungen solcher Mittel bei Gesunden sind vergleichbar mit dem, was auch Patienten angeben, die diese Mittel in der Regel deutlich länger nehmen“, erläutert Isabelle Heuser, Professorin für Psychiatrie an der Universitätsklinik Charité in Berlin. Sie hat mit ihrem Team Studien ausgewertet, um herauszufinden, ob solche Mittel bei Gesunden überhaupt wirken und welche Nebenwirkungen sie haben.

So erhöht Modafinil bei Gesunden die Konzentrationsfähigkeit, insbesondere, wenn sie unter Schlafentzug leiden, Antidepressiva haben einen stimmungsverbessernden Effekt, Methylphenidat beruhigt. Ein-, zweimal genommen seien solche Mittel gut verträglich, erläutert die Wissenschaftlerin. Aussagen über Langzeitnebenwirkungen könne man aber noch nicht treffen. „Ich kann zur Einnahme weder zuraten noch abraten“, resümiert Heuser. „Ich selbst hätte aber einfach Angst, etwas zu nehmen, von dem die Langzeitfolgen unbekannt sind.“

Unbekannt sei den meisten Studenten, dass eine echte akademische Leistungssteigerung durch Pillen bisher nicht nachgewiesen worden ist, ergänzt Prof. Heiner Wolstein vom Wissenschaftlichen Kuratorium der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen. Es sei ein Mythos, dass die Medikamente die Leistung verbessern. „Sie verlängern die Leistung nur.“ Subjektiv seien die Anwender zwar „besser drauf“, kreativer und hielten länger durch. „Aber der Effekt ist wie bei einem großen starken Kaffee. Und lernen muss man trotz Pille noch.“

Häufig wird der gestiegene Druck an den Hochschulen als Grund für das Neuro-Enhancement genannt. Isabelle Heuser rät jedem Studenten, der mit diesem Gedanken spielt, sich zu fragen, warum er es machen will. „Würde Pause machen und gut schlafen nicht vielleicht auch helfen?“ Ähnliches rät Prof. Wolstein: „Eine Alternative ist, früher mit dem Lernen anzufangen und ausreichend zu schlafen.“ Ganz schlecht sei es, die Nacht vor der Prüfung durchzulernen, ohne ein Auge zuzumachen. „Die Wahrscheinlichkeit, Gelerntes abzurufen, ist ohne Schlaf viel geringer.“ Für eine bessere Leistung reichten aber schon 90 Minuten Tiefschlaf.

Viel Stress lasse sich mit einer guten Zeitplanung und dem Nacharbeiten des Stoffes schon im Semester vermeiden. „Jeder hat da seinen eigenen Rhythmus, den muss er finden“, sagt der Studiendekan der Humanwissenschaften der Uni Bamberg. Von tiptop vorbereiteten Leuten dürfe man sich einfach nicht verrückt machen lassen.

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