Rettet den Feierabend - Freizeit und Arbeit verschmelzen

Berlin (dpa/tmn) · Früher hatten viele Betriebe feste Arbeitszeiten, an denen nicht gerüttelt wurde. Die Mitarbeiter strömten zeitgleich aus dem Werkstor in den Feierabend. Heute sind Arbeit und Freizeit oft kaum noch sauber zu trennen. Das kann viel Stress machen.

 Nicht selten werden Arbeitnehmer auch in der Freizeit von ihrem Vorgesetzten kontaktiert. Um Arbeit und Freizeit zu trennen, hilft deshalb manchmal nur eines: Handy ausschalten. Foto: Mascha Brichta

Nicht selten werden Arbeitnehmer auch in der Freizeit von ihrem Vorgesetzten kontaktiert. Um Arbeit und Freizeit zu trennen, hilft deshalb manchmal nur eines: Handy ausschalten. Foto: Mascha Brichta

Früher war nicht alles besser, aber manches einfacher. Die Trennlinie zwischen Arbeit und Freizeit zum Beispiel ist heute oft nicht mehr klar zu ziehen. Wenn es zu Opas Zeiten „Feierabend!“ hieß, dann war das in vielen Betrieben das Signal, dass nun Schluss mit der Arbeit sein sollte. So einfach ist das heute nicht mehr. Die „Entgrenzung von Arbeit und Freizeit“ nennt Wolfgang Panter das. Er ist Präsident des Verbands Deutscher Betriebs- und Werksärzte (VDBW). Wo sich beides nicht mehr auseinanderhalten lässt, gibt es keinen Feierabend mehr.

Das Thema hat mittlerweile auch die Politik entdeckt: Eine deutliche Trennung von Arbeit und Freizeit forderte Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen erst kürzlich. Hilfreich dafür sei es, sich selbst klare Regeln zu geben, betont Wolfgang Panter. Etwa dafür, wann das Einloggen ins Firmennetzwerk am Wochenende definitiv tabu ist oder wann abends das Handy ausgeschaltet wird. Mails noch kurz vor dem Einschlafen zu lesen, sei ohnehin nicht zu empfehlen, sagt Panter. Wer das sein lässt, schläft in der Regel ruhiger.

Dass der Druck am Arbeitsplatz zunimmt, ist nicht nur gefühlt so. Nach Einschätzung der Bundespsychotherapeutenkammer in Berlin fallen immer mehr Arbeitnehmer wegen psychischer Erkrankungen aus. Statistisch gesehen sind 12,5 Prozent aller Fehltage auf sie zurückzuführen. Vor allem die Zahl der Krankentage wegen Burnout-Symptomen hat erheblich zugenommen: Waren es 2004 nur 0,6 Fehltage pro 100 Versicherte, stieg die Zahl 2011 schon auf 9 Tage.

Verlässliche Daten dazu, wie stark der Stress am Arbeitsplatz zugenommen hat, gebe es kaum, sagt Birgit Köper von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in Dortmund. „Stress ist auch ein subjektives Phänomen.“ Grundsätzlich sei die Zunahme psychischer Belastungen und psychischer Erkrankungen aber unstrittig. Und während sich beim Thema Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit viel getan hat, seien die Betriebe bei der Prävention der neuen Gesundheitsrisiken noch ganz am Anfang.

Ein Grund für die Entwicklung ist nach Panters Überzeugung, dass die Arbeitszeitverkürzung der vergangenen Jahrzehnte zu einer Verdichtung der Arbeit geführt hat. Vor allem habe jedoch die Komplexität der Arbeit enorm zugenommen.

Längst gebe es auch eine Kultur der ständigen Erreichbarkeit. Das gelte nicht für alle Arbeitnehmer, aber für immer mehr. Und Vorgesetzte, die gewohnt sind, praktisch immer angerufen werden zu können, vermitteln diese Haltung im Betrieb auch an andere, ist Panter überzeugt. Auch das trägt dazu bei, dass der Feierabend verschwindet: Wer immer erreichbar ist, hat keinen mehr. „Deshalb sollte man sich sagen 'Jetzt schalte ich das Ding ab'“, empfiehlt der Mediziner.

Mobil zu arbeiten und bei den Arbeitszeiten flexibel zu sein, habe natürlich auch Vorteile, sagt Svenja Hofert, die als Coach in Hamburg arbeitet. „Viele Arbeitnehmer wünschen sich das ausdrücklich.“ In der IT-Branche beispielsweise sei das auch nichts Besonderes. „Kernarbeitszeiten von 9.00 bis 16.00 Uhr finden da viele doof.“ Aber unterm Strich führe das eben oft dazu, dass mehr gearbeitet wird. Hinzu kommt, dass nicht jeder perfekt in Selbstorganisation sei. Dann ufern die Arbeitszeiten schnell aus - und von Feierabend ist bald keine Rede mehr. „Wenn es einfach zu viel wird, sollte man das ansprechen - auch wenn die Hemmschwelle hoch ist“, rät Svenja Hofert. „Am besten gegenüber dem direkten Vorgesetzten.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort