Zehn Jahre Bologna - Noch Hausaufgaben für Unis und Politik

Berlin (dpa) · Der Bologna-Prozess hat das Studium an den Hochschulen gründlich verändert. Doch gemessen an den Zielen bleibt für alle Beteiligten noch viel zu tun. Sorge bereitet die hohe Zahl von Studienabbrechern.

 Studenten-Proteste im Dezember 2009 in Bonn: Zehn Jahre nach Start der Bologna-Reformen gibt es bei Studium und Lehre weiterhin noch viele Baustellen. Foto: Oliver Berg

Studenten-Proteste im Dezember 2009 in Bonn: Zehn Jahre nach Start der Bologna-Reformen gibt es bei Studium und Lehre weiterhin noch viele Baustellen. Foto: Oliver Berg

Die „Bologna“-Hochschule in Deutschland steht - doch es sind noch viele Baustellen offen. Zehn Jahre nach dem Start sind inzwischen nahezu alle Studiengänge (86,3 Prozent) auf die gestufte Struktur mit den Abschlüssen Bachelor und Master umgestellt. Doch Fragen der Qualität von Studium und Lehre, sozialer Gerechtigkeit und ungeplanten Nebenwirkungen werden drängender. So bricht fast ein Drittel (28 Prozent) der Bachelor-Studenten das Studium ab. Und nur zwei Prozent der Studierenden stammen laut der Studie „Eurostudent IV“ in Deutschland aus bildungsfernen Elternhäusern.

Aus europäischer Sicht ist das hierzulande heftig umstrittene Projekt ein Erfolg: Rund 50 Staaten gleichen ihre Hochschulsysteme an - und finden damit weltweit Beachtung, auch in den USA. Binnen einer Dekade strukturieren die Länder Europas mit teils jahrhundertealten Universitäten ihr Studienangebot um. In Deutschland stehen seit dem 15. August 2002 Bachelor (BA) und Master (MA) gleichberechtigt neben den traditionellen Abschlüssen wie dem Diplom. Damals trat die entsprechende Änderung des Hochschulrahmengesetzes in Kraft.

Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) zog eine positive Bilanz. Die Reform habe Mobilität befördert und einen enormen Aufschwung bei den Erstsemesterzahlen gebracht. „Vor zehn Jahren waren es noch 37 Prozent, die ein Studium aufnahmen, 2010 waren es bereits rund 50 Prozent.“ Darin sind allerdings die rund 15 Prozent Studenten enthalten, die aus dem Ausland zum Studium nach Deutschland gekommen sind.

Die 1999 von zunächst 29 europäischen Bildungsministern unterzeichnete „Bologna-Erklärung“ sieht auch vor, die internationale Mobilität von Studierenden zu steigern. Europaweit sind die Deutschen hier Spitze. 2009 studierten 115 500 junge Frauen und Männer aus Deutschland an Hochschulen im Ausland - mehr als doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren. Allerdings geht der Trend dahin, erst nach dem Bachelorabschluss einen Auslandsaufenthalt zu verwirklichen.

So sieht der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Horst Hippler, denn auch Defizite. Das neue System mache es Studenten nicht leichter, ins Ausland zu gehen. Auslandsaufenthalte seien nach wie vor schwierig, bilanzierte er in der „Süddeutschen Zeitung“.

Auch das Deutsche Studentenwerk (DSW) sieht das kritisch. „Damit wird der Bachelor diskreditiert“, sagte DSW-Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde. „Ein Auslandsstudium sollte ursprünglich ein konstitutives Element des Bachelors sein.“ Die Sorge um die Finanzierung von Studium, Praktikum oder Sprachkurs im Ausland oder um Zeitverlust im Studium bremsen weiterhin viele Studenten bei ihren Plänen aus.

Noch belastender waren aber die Studienbedingungen an den Hochschulen: Vor drei Jahren gingen bundesweit viele Zehntausende auf die Straße, um gegen überfüllte Hörsäle, Stofffülle in den sechssemestrigen BA-Studiengängen und zu hohe Prüfungsdichte zu protestieren. Kultusministerkonferenz und Hochschulen reagierten und milderten die besonders strengen deutschen Vorgaben ab. So kann jetzt ein BA-Studiengang auch sieben oder acht Semester dauern. Der Qualitätspakt Lehre, für den der Bund von 2011 bis 2020 insgesamt rund zwei Milliarden Euro zur Verfügung stellt, soll zudem die Lehre verbessern helfen.

Nach Worten Schavans sind im Zuge der Reform „viele neue attraktive Studiengänge“ geschaffen worden. Doch das birgt auch einen Nachteil: Die Vielfalt und Spezialisierung der Bachelor-Studiengänge erschwert einen Hochschulwechsel innerhalb Deutschlands. Auch hier versprachen die Verantwortlichen Abhilfe und mehr Abstimmung. Viele Studenten klagen zudem über Stress. „Die Nachfrage der Studierenden nach Beratung ist im Zuge der Bologna-Reformen kräftig gestiegen“, berichtet Meyer auf der Heyde. „Deshalb müssen die Beratungsangebote und auch deren Finanzierung aufgestockt werden“, fordert er.

Bologna sollte auch die Studiendauer der Mehrheit der Studenten verkürzen. Doch über 75 Prozent der BA-Absolventen wollen direkt im Anschluss den Master machen und bleiben so länger an den Hochschulen als von den Planern gedacht. Einer HIS-Studie zufolge sehen die jungen Akademiker des Prüfungsjahrgangs 2009 mit einem Master größere Berufschancen. Die Wirtschaft hält mit ihrer Aktion „Bachelor Welcome“ dagegen. Derzeit beschäftigen bereits 25 Prozent der kleinen, 37 Prozent der mittleren und 70 Prozent der Großunternehmen Bachelorabsolventen - und sind mit ihnen durchaus zufrieden.

Zehn Jahre nach dem Start der Bologna-Reform sind die meisten Studiengänge auf Bachelor und Master umgestellt. Von den 15 278 Studiengängen, die im Wintersemester 2011/2012 an deutschen Hochschulen angeboten wurden, galt das für 85,3 Prozent. Es gab bereits 6826 Bachelorstudiengänge und 6207 Masterstudiengänge. Das hat die Hochschulrektorenkonferenz in Bonn ermittelt. Von den 2245 Studiengängen, die noch nicht umgestellt sind, haben drei Viertel (76 Prozent) einen staatlichen oder kirchlichen Abschluss.

Dazu zählen Fächer wie Jura oder Medizin oder zum Beispiel die Studiengänge, die auf das Pfarramt in der evangelischen Kirche ausgerichtet sind. Die Umstellung dieser Prüfungsgruppe liegt nicht im Verantwortungsbereich der Hochschulen. Insgesamt bleiben damit nur noch 535 traditionelle Diplom- und Magisterstudiengänge, die noch nicht umgestellt wurden.

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