Die Rangfolge prägt - Was sagt sie aus und wie wirkt sie sich aus?

In zahlreichen Studien wurde weltweit untersucht, welche Auswirkungen die Geburtenfolge unter Geschwistern hat. Es zeigt sich, dass der Platz, an dem ein Kind in die Familie geboren wird, dessen Persönlichkeit entscheidend mitprägt.

Der US-Psychologe Frank J. Sulloway spricht gar von einem "evolutionären Rüstungswettlauf um die Gunst der Eltern". Jedes Kind entwickelt je nach Rangfolge seine eigenen Strategien, um sich durchzusetzen, sich bei den Eltern zu positionieren und seine eigene Identität aufzubauen. Eltern sollten sich in diesem Zusammenhang nicht zu viele Sorgen machen, denn in der Realität ist es meist so, dass Geschwister immer voneinander profitieren. Dr. Hartmut Kasten ist Diplom-Psychologe, Geschwister-Experte am Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg und hat Untersuchungen zu diesem Themenfeld gemacht. Seine Forschungen haben ergeben, dass gerade Geschwister besondere Fähigkeiten miteinander trainieren. So lernen sie, Kompromisse einzugehen und auszuhandeln, sie gehen gemeinsam Bündnisse - meist gegen die Eltern - ein, und sie entwickeln eine Streitkultur, die aus Streiten, Schlichten und Versöhnen besteht. Kasten bezeichnet dies als "soziales Training für das ganze Leben". Das erstgeborene Kind Das erstgeborene Kind wird immer einen uneinholbaren Vorsprung genießen. Oftmals bekommen Erstgeborene sehr viel mehr Anleitung und Unterstützung durch die Eltern. In einer norwegischen Bildungsstudie wird sogar belegt, dass das älteste Kind später meistens das erfolgreichere ist. Ein Grund dafür, so spiegeln auch andere Studien wider, kann sein, dass es als Aufpasser und Lehrer für die kleineren Geschwister fungiert und somit lernt, wie man Informationen an andere weitergibt (sogenannter Tutoreneffekt). Das kann durchaus eine Begabung für die Älteren sein, die sich später als sehr nützlich erweist. Oftmals spricht man bei der Geburt eines Geschwisterkindes von einer Entthronung des ersten Kindes - es kann durchaus einen negativen Einfluss auf die Gemütslage des Erstgeborenen haben, wenn noch ein Geschwisterchen nach kommt. Der Konkurrenzkampf ist dabei besonders groß, wenn gleichgeschlechtliche Kinder mit geringem Altersunterschied aufwachsen. Deshalb übernehmen die Größeren oft die Schutzfunktion für den Nachrücker, um wieder in die Gunst der Eltern zu gelangen. Dabei stecken sie oft so viel zurück, dass sie selbst auf der Strecke bleiben. Im Wesentlichen sagt man ihnen nach, dass sie gewissenhafter, ehrgeiziger sind, aber auch schneller eifersüchtig werden. Das mittlere Kind Das Zweitgeborene wird oft auch als Sandwich-Kind bezeichnet. Für dieses mittlere Kind ist es völlig normal, die Eltern mit den Geschwistern teilen zu müssen, da es sowohl ältere als auch jüngere "Nebenbuhler" gewohnt ist. Der Vergleich mit dem Sandwich zeigt sein gesamtes Dilemma: In seiner Position hat es immer weniger als das ältere Kind, weil es nicht über gleiche Rechte verfügt. Andersherum werden ihm die Vorteile des meist verhätschelten Drittgeborenen nicht zuteil. Vielfach sagt man dem Zweitgeborenen nach, es habe weniger Angst, die Zuneigung der Eltern gar zu verlieren. Sein besonderes Potenzial liegt in der Diplomatie und dem Verhandlungsgeschick. Andersherum aber reagieren die mittleren Kinder extrem empfindlich, wenn sie zu wenig Aufmerksamkeit erhalten und sich schlecht oder ungerecht behandelt fühlen. Der Vorteil der "Zwischenkinder" ist jedoch, dass der Erfolgsdruck, den die meisten Erstgeborenen zu spüren bekommen, bei ihnen schlicht nicht mehr vorhanden ist: die Eltern sehen bei den zweiten vieles entspannter, haben oft jedoch auch weniger Zeit. Weil sie sich oft durchboxen müssen, wenden sie sich eher nach außen: Sie sind aufgeschlossener für Abenteuer und Neues. Manchmal sind es gerade die Zweitgeborenen, die zum Rebell werden. Das Nesthäkchen Immer noch wird diese Bezeichnung gerne für die Letztgeborenen benutzt. Auch wenn die betroffenen Kinder sich ungerne so bezeichnen lassen, ist das Nesthäkchen im Wortsinn gar nicht so falsch: Es beschreibt ja nur, dass dieses Kind das letzte sein wird, das aus dem heimischen Nest ausfliegt. Sind alle anderen schon weg, dann wird es immer noch die Zuneigung der Eltern spüren. Der Ruf des Nesthäkchens, der kleine Prinz oder die kleine Prinzessin zu sein, hat sich nach zahlreichen Forschungen bestätigt. Sie genießen mehr Freiheiten und profitieren zudem von den Erfahrungen, die die Eltern mit ihren Geschwistern sammeln konnten. Negativ in dieser Rangfolge kann jedoch sein, dass die Älteren das Kleine herumkommandieren, ihm ständig den Weg aufzeigen wollen - das will jedoch kein Kind wirklich von seinen Geschwistern. Und schon gar nicht von den älteren, die sowieso mehr Rechte haben. In zwei typische Verhaltensweisen kann das bei dem Zuletztgeborenen münden: Die Nesthäkchen werden total passiv und sind entmutigt oder aber sie entwickeln einen extremen Ehrgeiz, um die Älteren einzuholen. Vielfach haben Studien gezeigt, dass die Kleinen zu richtigen Spaßvögeln werden, die gerne die Geschwister zum Lachen bringen und so die Portion Aufmerksamkeit erhalten, die sie sich wünschen. Sind die Großen aus dem Haus, weiß es, dass es täglich keine direkte Konkurrenz mehr zu befürchten hat, und es ist sich seines Nestschutzes bewusst.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort