Die Welt mit anderen Augen sehen

Köln · Eine Ausstellung über einen Pionier der zeitgenössischen Fotografie in nur anderthalb Räumen? Das Museum Ludwig in Köln zeigt, dass das kein Widerspruch ist. Noch bis zum 5. Mai sind dort Werke des amerikanischen Künstlers Man Ray aus dem Archiv des Kölner Kunstsammlers Leo Fritz Gruber zu sehen.

 Spitzbübisch: Man Ray.

Spitzbübisch: Man Ray.

Foto: Charles Fraser, 1960, Fraser Estate, London

Es ist keine riesige Schau, sondern eine, die durch die feine Auswahl der Fotos, Gemälde, Rayografien und Schriftstücke besticht. Und nicht nur das: Auch Bilder, die der Kunsthistoriker und Fotograf Herbert Molderings nach Man Rays Tod von dessen Atelier gemacht hat, sind zu sehen. In der Rue de Férou hat Man Ray von 1951 bis 1976 gewohnt und gearbeitet (siehe Extra). Molderings Bilder zeigen einen intimen Blick in das kreative Chaos Man Rays, in dem alles selbst gebaut ist.


Chaos prägt auch den Anfang von Man Rays Schaffen. Er schreibt sich in Amerika nicht nur an mehreren Kunsthochschulen ein, sondern probiert sich auch in diversen Bereichen aus. Malerei, Film, Fotografie - er experimentiert damit, welche Ausdrucksform am besten zu ihm passt.

Besonders bekannt sind seine Schwarz-Weiß-Porträts. Bekannte Maler, Wissenschaftler, Schriftsteller - sie alle kamen in sein Atelier, um sich fotografieren zu lassen. Seine Porträts dokumentieren eindrucksvoll, wer eine Rolle spielte im kulturellen Leben des Paris der 1920er Jahre.

Eindringliche Bilder sind entstanden, die bekannte Gesichter oft auf ganz neue, ungewohnte Art und Weise zeigen. Pablo Picasso sitzt in kurzen Hosen auf dem Sofa, Luisa Casati, italienische Society-Lady und kunstbegeisterte Millionenerbin, schaut mit weit aufgerissenen Augen und durchdringendem Blick in die Kamera. Das Porträt von ihr ist verwackelt und gerade deshalb von besonderer Intensität.

Man Ray hat seine Models nicht nur porträtiert, sondern auf den Rückseiten der Bilder auch kurze Kommentare und Bewertungen hinterlassen. Wie das Notensystem in französischen Schulen, das es noch heute gibt, vergibt er pro Model bis zu 20 Punkte. Während seine Frau als Einzige 20 von 20 Punkten bekommt, erreichen die Schriftsteller Aldous Huxley und Ernest Hemingway jeweils nur 10 von 20 Punkten. Autor James Joyce wird von Man Ray gar mit nur sechs Punkten bewertet, Pablo Picasso bekommt hingegen 17.

Neben seinen Porträts ist Man Ray durch die sogenannten Rayografien bekannt geworden. Für diese Fotogramme legte er Gegenstände direkt auf den lichtempfindlichen Film und belichtete ihn - ganz ohne Kamera. Man Ray begriff sich immer mehr als Objektkünstler, nicht als reiner Fotograf.
Seine Rayografien zeigen abstrakte Objekte, oft ist gar nicht mehr zu erkennen, was er ursprünglich auf den Film gelegt hat.

Im Museum Ludwig ist nur ein kleiner Ausschnitt dessen zu sehen, was Man Ray ausmacht - allerdings ein sehr gut gewählter. Es ist ein Einblick in das Leben eines Künstlers, der die Fotografie maßgeblich vorangebracht hat und der in Leo Fritz Gruber einen Verbündeten gefunden hat, der dies früh erkannt hat.

Service

Museum Ludwig, Heinrich-Böll-Platz, Köln. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag (inkl. Feiertage): 10 bis 18 Uhr; jeden ersten Donnerstag im Monat: 10 bis 22 Uhr; montags geschlossen. Eintritt (Sammlung und alle Sonderausstellungen): Erwachsene: 10 Euro, ermäßigt: 7 Euro, Familien: 20 Euro. Eintritt frei für Kinder unter 6 Jahren. Anreise: Das Museum liegt in unmittelbarer Nähe zum Dom, Anreise mit dem Zug (Köln Hbf) oder mit dem Auto, Parkhaus Dom, Tiefgarage Rheingarten und Parkhaus Groß St. Martin.

Biografie

Man Ray, geboren am 27. August 1890 als Emmanuel Radnitzky, arbeitete seit 1911 in New York als Maler, Fotograf und Bildhauer.

 Das Portät von Luisa Casati.

Das Portät von Luisa Casati.

Foto: Man Ray
 Blick ins kreative Chaos: Ein Regal in Man Rays Pariser Wohnung, fotografiert von Herbert Molderings.

Blick ins kreative Chaos: Ein Regal in Man Rays Pariser Wohnung, fotografiert von Herbert Molderings.

Foto: Herbert Molderings

Er studierte unter anderem an der National Academy of Design und der Art Students League in Manhattan. Als einer der ersten amerikanischen Maler suchte er Kontakt zur Avantgarde der europäischen Kunst. Von der Malerei wandte er sich jedoch ab 1915 fast komplett ab und befasste sich vorwiegend mit der Fotografie. Auch einen Experimentalfilm hat er gedreht. In Paris schloss er sich 1921 den Surrealisten an, nahm aber auch Aufträge für Mode- und Porträtfotografien an. Bis 1940 lebte er in Paris, bevor er während des Krieges wieder in die USA zog. Zahlreiche Werke aus den 1920er Jahren wurden zerstört oder sind heute verschollen. 1951 ging er zurück nach Paris, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 1976 lebte. Seit 1965 war er mit dem Kölner Publizisten, Kunstsammler und Mitbegründer der Photokina, Leo Fritz Gruber, befreundet. Die beiden trafen sich immer wieder in Paris, 1963 brachte Gruber das Buch "Man Ray Portraits" heraus. Darin sind 50 Porträtfotos veröffentlicht, von denen viele auch in der Ausstellung im Museum Ludwig zu sehen sind.

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