Homöopathie in Deutschland beliebt - Fachleute streiten - Das sagen Trierer Ärzte, ein Befürworter und ein Kritiker

Trier · Humbug oder Heilung? Wenn es um Homöopathie geht, scheiden sich die Geister. Dem Hauptargument der Kritiker, das Studien fehlten und Erfolge auf Placeboeffekte zurückzuführen seien, stehen Erfahrungen und die Beliebtheit der Kügelchen entgegen. Dr. Dieter Awender und Dr. Hans-Jörg Lucas, zwei Trierer Mediziner, zwei Ansichten.

 Arznei oder Hokuspokus? Manch einer schwört darauf: Globuli sind kleine Kügelchen, die von Homöopathen verordnet werden. TV-Foto: Katja Bernardy

Arznei oder Hokuspokus? Manch einer schwört darauf: Globuli sind kleine Kügelchen, die von Homöopathen verordnet werden. TV-Foto: Katja Bernardy

Auf dem Praxisschild von Dr. Dieter Awender steht Internist, Naturheilverfahren, Homöopathie, Akupunktur und Kurarzt. Wer in sein Behandlungszimmer geht, könnte mit Globuli herauskommen. Globuli, ein homöopathisches Heilmittel, landläufig auch Kügelchen genannt. Sie sind stecknadelkopfklein und weiß. In ihnen stecke ein Mittel, extrem verdünnt (siehe Extra), sagen die Befürworter. Die Kritiker hingegen meinen, es seien inhaltsleere Zuckerperlchen. Dr. Awender praktiziert seit 25 Jahren in Trier. Er arbeitet sowohl nach der klassischen als auch nach naturheilkundlicher Medizin. Sein Credo: "Auf dem Boden der klassischen Medizin Naturheilverfahren betreiben, wenn ethisch und medizinisch vertretbar." Weder das eine noch das andere dürfe man ausschließlich sehen.TV-Serie Ihre Gesundheit


1970 war der Mediziner in San Francisco erstmals mit der damals noch exotisch anmutenden Akupunktur in Berührung gekommen - und fasziniert. Als dann in einer Klinik in Speyer ein Anästhesist während einer Gallenoperation der Patientin Nadeln ins Ohr setzte und das Narkosegas auf null drehte, habe er Feuer gefangen, erinnert sich Awender. Auch die Beobachtung, als ein Klinikarzt einem Patienten, der unter Brechdurchfall litt, ein homöopathisches Mittel verabreichte und sich die Beschwerden besserten, hatte ihn bestärkt, sich naturheilkundlich weiterzubilden.
Sein Berufskollege Dr. Hans-Jörg Lucas, Allgemeinmediziner und Psychotherapeut, hingegen hält nicht viel von Homöopathie. Die Homöopathie sei eine Methode, die seit Jahrzehnten einen Wirksamkeitsnachweis nach gängigen Kriterien der Wissenschaft schuldig geblieben sei, nennt er das Argument aller Kritiker. Stofflich betrachtet handelt es sich bei Globulis laut Lucas um ein Placebo, also um eine wirkstofffreie Substanz. Homöopath Awender widerspricht: "Die Praxis spreche dagegen, Erfolge nur auf Placeboeffekte zurückzuführen." Denn Homöopathie wirke auch bei Tieren, etwa bei Hunden oder Katzen. Ein Tier habe entweder Schmerzen oder keine, da könne man Placeboeffekte ausschließen.
In seiner ehemaligen Trierer Praxis hatte Ruheständler Lucas Patienten, die sich etwa für Homöopathie interessierten, allerdings selten von der Kügelchen-Medizin abgeraten. "Denn auf psychologischer Ebene schätze ich die Wirkung eines Placebos sehr wohl", begründet der Mediziner. Diese Wirkung sei durchaus positiv. Seiner Meinung nach trifft bei der Homöopathie ein aufnahmebereiter Patient auf einen überzeugend wirksamen Behandler, Rituale verstärkten einen therapeutischen Effekt.
"Man spricht vom Arzt als Medizin", sagt Lucas. Und neurobiologische Forschungen hätten gezeigt, dass die Vorstellung von etwas Positivem oder Negativem, vielfältige Reaktionen im Gehirn auslöse. "Diese positiven Effekte eines Placebos werden von einfühlsamen und verantwortungsbewussten Therapeuten immer schon intuitiv genutzt", meint Lucas. Summa summarum hat Homöopathie für ihn keinerlei stoffliche Wirkung, wohl aber eine psychologische.
Dass Studien fehlten, heiße nicht, dass homöopathische Mittel nicht wirkten, findet Awender. Studien seien schwerer durchführbar, weil die Wirkung schwerer messbar sei. "Die Homöopathie ist eine Erfahrungsheilkunde", sagt Awender. Wer heilt habe recht. Übrigens: Forsa-Umfragen haben ergeben, dass fast die Hälfte der Deutschen über 18 Jahre schon einmal ein homöopathisches Mittel verwendet hat (siehe Extra).
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volksfreund.de/gesundheitExtra

Die Homöopathie wurde von dem deutschen Arzt Samuel Hahnemann (1755 - 1843) begründet. Sein Konzept: "Ähnliches mit Ähnlichem heilen". Beispiel: Die Zwiebel (Allium cepa) wird bei Fließschnupfen eingesetzt. Also Stoffe, die ein bestimmtes Leiden verursachen, helfen auch genau dagegen. Die homöopathischen Heilmittel basieren auf Pflanzenauszügen, Mineralien, tierischen Produkten und Metallen. In reiner Form würden sie starke Nebenwirkungen mit sich bringen. Hahnemann entwickelte das sogenannte Potenzieren: Die Ausgangssubstanz wird so lange verdünnt, bis nur noch ein geringer Anteil des Wirkstoffes enthalten ist. Die Zahl der Verdünnungsschritte wird durch eine Zahl angegeben. Laut homöopathischer Lehre wird durch das Potenzieren die Wirkung um ein Vielfaches gesteigert. Homöopathen schauen genauer hin: Der Arzt macht sich ein Gesamtbild etwa aus Symptomen, Persönlichkeit des Patienten und Konstitution, dann entscheidet er, welches Mittel die Selbstheilungskräfte aktiviert. Das Heilmittel wird in der Regel in Form von Globuli verabreicht. katExtra

Die Deutsche Homöopathie-Union (DHU) hatte eine Forsa-Umfrage unter tausend Erwachsenen in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse: Positive Erfahrungen sind für die Mehrheit der Anwender wichtiger, als Wirksamkeitsstudien. 48 Prozent der Befragten gaben an, schon einmal ein homöopathisches Arzneimittel angewendet zu haben. 76 Prozent von ihnen waren mit den Ergebnissen der Therapie zufrieden, unter den weiblichen Anwendern waren es sogar 81 Prozent. 52 Prozent meinten, dass positive Erfahrungen der Anwender ein ausreichender Beleg für die Wirksamkeit eines Arzneimittel seien, während 39 Prozent wissenschaftliche Untersuchungen forderten. Fast die Hälfte der Deutschen über 18 Jahre hat schon einmal ein homöopathisches Mittel verwendet. Unter den befragten Akademikern sind es sogar 60 Prozent. kat

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