Suchtexperte zu Videospielen: Freizeitalternativen sind wichtig

Prüm · Jo Bach arbeitet bei der Caritas Westeifel in der Fachstelle Spielsucht - dort finden Spielsüchtige und ihre Angehörigen Beratung und weitergehende Infos. Wir haben ihn zum Thema junge Computerspieler und Sucht um seine Meinung gebeten.

Herr Bach, was ist Sucht? Welche Besonderheit ergibt sich im Feld der Computerspiele?

Jo Bach: Der Begriff Sucht lässt sich auf das deutsche Verb "siechen" zurückführen. Gemeint ist damit das Leiden an einer Krankheit. Eine Sucht zum Beispiel nach bestimmten Stoffen wie Alkohol oder Drogen bedeutet, diese Stoffe einzunehmen, auch wenn man sich klar ist, dass sie einem sehr schaden. Es gibt auch stoff-ungebundene Süchte wie Magersucht, Kaufsucht, Glücksspielsucht, die ebenfalls als Krankheit betrachtet werden. In den letzten Jahren sind zunehmend auch der Begriff Mediensucht oder Begriffe wie Internetsucht, Computerspielsucht im Umlauf. Diese Formen sind noch nicht offiziell als Krankheit anerkannt worden. Dennoch können sie zu einer sehr hohen Abhängigkeit beim Anwender führen.
Spielen macht Spaß - das gilt auch für Computerspiele. Manchmal nehmen die Faszination und Begeisterung für ein Spiel aber Ausmaße an, die sich negativ auf alle Lebensbereiche auswirken. Immer mehr Zeit wird dann mit Computerspielen verbracht. Andere Bereiche des Lebens wie Familie, Freundeskreis, Schule, Ausbildung kommen immer stärker zu kurz.
Bei einer problematischen Nutzung des Computerspielens stellen wir fest, dass die Spieler sich selbst immer weniger kontrollieren können. Sie können kaum aus eigener Kraft mit dem Spielen aufhören - wollen immer weitermachen. Selbst wenn sie sich vorgenommen haben, heute nur eine Stunde zu spielen, dann vergessen sie dies und spielen dann doch wieder fünf Stunden oder noch länger. Das hat auf Dauer dann Auswirkungen auch auf andere Bereiche als das Spielen. Wenn jemand regelmäßig nachts stundenlang am Computer spielt, ist er natürlich morgens nicht besonders fit - er kann keine Leistung in der Schule bringen. Eine Folge ist also, dass die Leistungen in der Schule nachlassen und die Noten schlechter werden.
Aber auch beim Spieler, der jeden Nachmittag am Computer oder an der Spielekonsole sitzt, bemerken wir Veränderungen. Vielleicht hat er früher gerne Sport betrieben oder er hatte einen großen Freundeskreis, mit dem man sich regelmäßig traf. Ein Computerspieler mit einem problematischen Spielverhalten hat dann dafür keine Zeit mehr, da er ja Computer-spielen muss. Gleichzeitig werden vorher noch wahrgenommene Pflichten z.B. in der Familie immer weniger erfüllt - was dann auch in der Familie zu Streß und Reibereien und Ärger führt. Die Konzentrationsfähigkeit wird beeinträchtigt, da der abhängige Computerspieler auch außerhalb des direkten Spielens ständig über das Spielen nachdenkt - welche Aufgabe er dort als nächstes erfüllen muss usw.
Eine Besonderheit beim Computerspielen ist die Möglichkeit, schnell und einfach Belohnungen und Erfolgserlebnisse zu bekommen. Diese sind in der realen, echten Welt, viel schwerer zu erreichen. Gerade Menschen, die eher einsam und schüchtern sind und vielleicht ein geringes Selbstwertgefühl haben, können sich hier Bestätigung und Erfolgserlebnisse holen.

Betrifft Sucht auch schon Kinder im Alter von 9-13 Jahren? In welchen Bereichen tritt Sucht auf?
Jo Bach: Die bekannten Studien und Untersuchungen bezüglich problematischem Computerspielverhalten haben als Zielgruppe eher die Jugendlichen ab 14 Jahren im Blick. Nach meinen Erfahrungen mit Schüler/innen der Klassen 7 bis 9 aus verschiedenen Schultypen bin ich der Meinung, dass auch schon Kinder im Alter unter 14 Jahren bereits einer Abhängigkeitsgefährdung ausgesetzt sind. Hierbei spielt neben der regelmäßigen Nutzungszeit auch das gesamte soziale Umfeld des Kindes eine Rolle. Zum Beispiel: Wie viele und wie gute Kontakte hat es innerhalb und außerhalb der Familie? Wie ist das Freizeitverhalten? Gibt es Hobbys? Wie kann das Kind mit Streß und Ärger umgehen? Aber auch wie verhalten sich die Erwachsenen der Familie oder im Bekanntenkreis im Hinblick auf Computerspiele?

Wie können sich Kinder und Eltern vor "Sucht" schützen? Was müssen sie beachten? Wo gibt es Risiken?
Jo Bach: Es ist wichtig, genug gute Alternativen zum Computerspielen zu haben: Hobbys, Sport, lesen, Freundeskreis, Familienaktivitäten. Auch hilfreich ist es, wenn Interessen und Stärken des Kindes gefördert werden z.B. im musikalischen Bereich. Sehr hilfreich ist es, wenn bereits im frühen Alter Regeln in der Familie aufgestellt und eingehalten werden. Eine Regel sollte hier auch die Mediennutzung betreffen. Hier kann die tägliche Nutzungsdauer und auch die Inhalte klar abgesprochen werden.
Als grobe zeitliche Orientierung können folgende Zeiten gelten:
Alter bis 7 Jahre - etwa 30 Minuten tägliche Nutzung von Medien
8 - 9 Jahre - etwas 45 Minuten täglich
10 - 11 Jahre - etwa 60 Minuten täglich
12 - 13 Jahre - etwa 75 Minuten täglich
Dabei ist zu berücksichtigen, dass hier eigentlich sämtliche Medien in den Blick genommen werden müssen.
Sehr hilfreich bei der Vorbeugung einer Suchtgefahr ist es, wenn Eltern ihre Kinder genau in den Blick nehmen. Es geht darum zu schauen, welche Spiele das Kind wie nutzt. Hier sind mögliche Gefahren und Entwicklungen sehr frühzeitig erkennbar - es kann sehr schnell und früh reagiert werden, bevor eine problematische Nutzung von Computerspielen entsteht.
Wichtig ist es auch, dass Kinder ihrem Alter entsprechende Spiele nutzen. Eine gute Orientierung zu den wichtigsten Punkten, die die Auswahl betreffen findet man auf den Internetseiten: www.frag-fin.de oder www.blinde-kuh.de.
Ebenfalls hilfreich ist es, den Computer kindersicher zu machen. Es sollte eine Filtersoftware installiert sein. Dazu findet man zahlreiche Tipps auf www.schau-hin.info . Grundsätzlich ist es hilfreich, wenn Kinder möglichst abwechslungsreich heranwachsen können. Da besteht dann auch eine Aufgabe für Eltern, diese Abwechslung zu fördern.

Wie können Eltern, oder vielleicht auch Kinder für eventuelle Risiken sensibilisiert werden?
Jo Bach: Ganz wichtig empfinde ich hier, dass Eltern und ihre Kinder in einem möglichst guten kommunikativen Verhältnis stehen. Wenn Kinder ihren Eltern alle Dinge erzählen können, wenn sie auch mit negativen Dingen, mit Kummer und Sorgen bei ihren Eltern ein offenes Ohr finden, dann ist bereits ein hohes Maß an Vorbeugung erreicht. Denn negative Entwicklungen werden sehr frühzeitig wahrgenommen. Dann kann auch sehr frühzeitig etwas dagegen unternommen werden. Hilfestellung bieten hier zum Beispiel die Suchtberatungsstellen oder auch die Fachstelle Spielsucht. Im besten Fall entwickelt sich erst gar kein problematisches Verhalten.

Wenn Eltern oder Jugendliche weitere Infos benötigen, wo finden sie sie?
Jo Bach: Grundsätzlich stehen alle Erziehungs- und Familienberatungsstellen der Jugendhilfe für konkrete Fragen zur Erziehung zur Verfügung. Die Beratung ist dort kostenfrei und vertraulich. In speziellen Fragen zum Umgang mit Medien bzw. Computerspielen finden Eltern auch Rat bei den Fachstellen Spielsucht. Auch hier ist die Beratung kostenfrei, vertraulich und kann auch anonym geschehen, indem Eltern in der Beratungsstelle anrufen. Entsprechende Fachstellen Spielsucht gibt es in Trier, Wittlich und Bitburg.
Weitere Hilfestellungen sind insbesondere bezogen auf schulische Leistungen und Verhalten die an vielen Schulen arbeitenden Schulsozialarbeiter/innen. Hier sind eventuell auch Vertrauenslehrer für die Schüler/innen mögliche Ansprechpartner. Sehr umfangreiche Informationen für Eltern finden sich auf der Seite www.klicksafe.de .
Hier gibt es außerdem sehr gute und aktuelle Verlinkungen zu anderen Seiten und speziellen Fragestellungen.
Eine Möglichkeit, sich Informationen zu holen, besteht auch darin, an Informationsveranstaltungen teilzunehmen. Ich nenne hier mal die Medienwoche Lokal-global in Prüm in der Zeit vom 20.-27.10.12. Hier finden unter anderem zwei Veranstaltungen für Eltern statt unter den Themen: "Neue Medien-aktuelle Trends" und "Neue Medien-Gefahren im Internet". Infos auch auf der Seite: www.jugend-pruem.de .
Abschließend möchte ich sagen, dass ich es für sehr wichtig halte, dass Eltern auch Interesse für das Thema Computerspiele zeigen. Es geht dabei nicht um ein tiefgreifendes Verständnis. Aber genauso, wie man sich für andere Hobbies des Kindes interessiert, sollte man das auch für das Hobby Computerspiele tun. Computerspiele gehören heute zur Jugendkultur dazu und sollten als solche auch gewürdigt werden.

Die Fragen stellte volksfreund.de-Mitarbeiter Moritz Mais.

Weitere Internetadressen mit Tipps sind:

http://www.onmeda.de/krankheiten/internetsucht.html
http://www.spieleratgeber-nrw.de
www.spielbar.de
http://www.usk.de

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