Warum Knochen Sonne brauchen

Es gibt einige Irrtümer, neue Erkenntnisse und Ausnahmen. Wie steht es beispielsweise um unsere Versorgung mit Vitaminen? Isabelle C. Keller von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) in Bonn gibt Auskunft.

Gibt es bei uns noch Vitaminmangel?

Isabelle C. Keller:
Studien haben gezeigt, dass die meisten Menschen in Deutschland gut versorgt sind. Bei manchen Vitaminen werden die Empfehlungen sogar überschritten. Es gibt zwei Ausnahmen, bei denen die Empfehlungen häufig unterschritten werden: das Vitamin D und das Folat (synthetisch hergestellt Folsäure genannt).

Warum diese beiden Ausnahmen?

Isabelle C. Keller:
Es ist schwierig, die komplette Menge an Vitamin D, das für die Knochenbildung wichtig ist, über die Nahrung zu decken. Es gibt relativ wenige Vitamin-D-reiche Lebensmittel, die zudem nicht häufig auf dem Speiseplan stehen. Dazu gehören fettreiche Fischsorten wie Hering, Makrele oder Thunfisch. Einige Speisepilze, Eigelb oder Leber enthalten Vitamin D, dann sind wir auch schon bei Lebensmitteln wie Margarine, die mit Vitamin D angereichert sein können. Nur zehn bis 20 Prozent decken wir also über das Essen. Den Rest muss praktisch die Sonne leisten. UV-Strahlen aktivieren eine von unserem Körper synthetisierte Vorstufe des Vitamins D, es wird umgewandelt und steht dem Körper dann als Vitamin D zur Verfügung. Deshalb sind regelmäßige Aufenthalte und Bewegung an der Sonne so wichtig.

Der Zusammenhang von Sonnenstrahlen mit der Bildung von Vitamin D ist lange falsch eingeschätzt worden.

Isabelle C. Keller:
Ja, das Zusammenspiel mit der Sonne wurde in den vergangenen Jahren nicht so stark publiziert. Wir von der DGE beschränken uns in diesem Punkt deshalb nicht auf die Angaben zur Ernährung, sondern sagen: Geht raus an die frische Luft! In der warmen Jahreszeit reichen je nach Hauttyp zwischen zehn und 25 Minuten täglich aus - natürlich ohne dabei einen Sonnenbrand zu riskieren.

Und im Winter?

Isabelle C. Keller:
Wer die Sommertage nutzt und sich so viel wie möglich im Freien mit ausreichenden Partien unbedeckter Haut bewegt, kann so auch einen Speicher für die Wintermonate anlegen. Denn mit einer sehr guten Vitamin-D-Versorgung zum Ende des Sommers kann man auch ohne Vitamin-D-Präparate über den Winter kommen.

Wie steht es mit dem Folat?

Isabelle C. Keller:
Wenn wir uns gut und vollwertig ernähren, viel Gemüse, Obst und Vollkornprodukte zu uns nehmen, dann steigt auch unsere Aufnahme von Folat, und es ist überhaupt kein Problem, die empfohlene Zufuhr zu decken. Leider essen die Deutschen nicht so viel Gemüse und Obst, wie wir uns das wünschen. Die DGE empfiehlt mindestens 400 g Gemüse am Tag. Dies wird sowohl von Männern als auch von Frauen nur zu einem Drittel erreicht. Denn der Gemüseverzehr liegt nur bei 124 g pro Tag. Mehr Gemüse und Obst sind also wünschenswert.

Studien zufolge nimmt ein Viertel der Deutschen zusätzlich zur Nahrung sogenannte Nahrungsergänzungsmittel ein. Wann ist eine Extraportion Vitamine angebracht?

Isabelle C. Keller:
Es gibt spezielle Lebenssituationen, in denen der normale Bedarf auch mit einer vollwertigen Ernährung nicht gedeckt werden kann. Das gilt für schwangere und stillende Frauen. Über die Muttermilch werden zum Beispiel viele Nährstoffe abgegeben, die ergänzt werden müssen. Dazu gehören Folat, Jod und Eisen. Auch in bestimmten Entwicklungsphasen sind zusätzliche Vitamine wichtig. Neugeborene bekommen vom Arzt dreimal ein Medikament mit Vitamin K und Säuglinge während des ersten Lebensjahres Vitamin D und Fluorid, damit die Knochen gestärkt werden. Auch Personen, die über eine längere Zeitspanne eine Reduktionsdiät machen, oder bei chronischem Alkohol oder Tabakkonsum kann eine Nahrungsergänzung sinnvoll sein.

Brauchen ältere Menschen Extra-Vitamine?

Isabelle C. Keller:
Da muss man stark differenzieren. Es gibt den rüstigen 60-Jährigen, der topfit und sportlich ist, sich ausgewogen ernährt, und der keine zusätzlichen Nährstoffe braucht. Aber es gibt auch den Senior, der sich nicht mehr viel bewegt und nicht mehr viel essen kann. Es muss bei älteren Menschen ganz individuell geschaut werden, ob Mängel da sind und wie sie behoben werden können. Die Ergänzung von Vitamin D ist bei älteren, nicht mehr mobilen Menschen angebracht. Sie halten sich wenig im Freien auf. Hinzu kommt, dass im Alter die Fähigkeit der Haut nachlässt, Vitamin D zu synthetisieren.

Was ist, wenn man nicht alles essen kann?

Isabelle C. Keller:
Menschen, die unter Unverträglichkeiten leiden, müssen achtgeben. Wer zum Beispiel keine Milch verträgt und unter einer Laktose-Intoleranz leidet, braucht ein ausgeklügeltes Ernährungswissen, um die Kalziumzufuhr zu gewährleisten. Es kann aber auch sinnvoll sein, auf angereicherte Lebensmittel zurückzugreifen, zum Beispiel auf einen mit Kalzium angereicherten Saft oder mit einem Kalzium-Supplement zu arbeiten. Auch bei einer sehr einseitigen Ernährung können Ergänzungsmittel angebracht sein. Ich denke an Veganer, die komplett auf tierische Lebensmittel verzichten. Vitamin B 12 kann aber nur über tierische Lebensmittel aufgenommen werden.

Wer nicht in speziellen Lebenssituationen steckt und sich ausgewogen ernährt, braucht sich um seinen Vitaminhaushalt also keine Gedanken zu machen?

Isabelle C. Keller:
Ganz genau. Unsere Lebensmittel bieten alle Nährstoffe, die wir benötigen. Wer sich ausgewogen und vielfältig ernährt, ist in der Regel gut versorgt.

Bietet ein Mehr an Vitaminen Schutz vor Krankheiten?

Vitamin C zum Beispiel galt lange als Erkältungsschutz?

Isabelle C. Keller:
Vitamin C stärkt das Immunsystem. Wenn es fehlt, steigt das Infektrisiko. Aber es beugt umgekehrt nicht vor. Eine zusätzliche Einnahme von Vitamin-C-Präparaten verhindert eine Erkältung im Allgemeinen nicht. Es ist relativ leicht, unseren täglichen Vitamin-C-Bedarf zu decken. Es steckt in vielen Gemüsen, Obst und daraus hergestellten Säften. Ein Erwachsener braucht 100 Milligramm davon am Tag. Eine halbe rote Paprika, eine Kiwi und eine Tomate oder ein Glas Orangensaft und eine Portion gegarter Brokkoli reichen aus.

Können zu viele Vitamine schaden?

Isabelle C. Keller:
Wenn zu viele Vitamine über Gemüse und Obst aufgenommen werden, schaden sie nicht. Dagegen können hochdosierte, über einen längeren Zeitraum genommene Nahrungsergänzungsmittel A, C und E negative Folgen haben. Studien zeigen, dass bei einer Einnahme von Antioxidantien, insbesondere den Vitaminen A, C und E das Risiko für Krebs und Herz-Kreislauf-Krankheiten steigt.

Wer hilft bei Fragen rund um die Vitaminversorgung?

Isabelle C. Keller:
Die jeweiligen Fachärzte natürlich und auch eine qualifizierte Ernährungsberatung.

Informationen unter www.dge.de

Was sind Vitamine?

Vitamine sind für den Menschen lebensnotwendig (vita = Leben), weil sie an unzähligen biochemischen Prozessen beteiligt sind:
- Energiehaushalt: Verwertung der aufgenommenen Nährstoffe
- Zellaufbau von Geweben und Blut, z. B. Knochen, Zähne, Blutkörperchen, Muskel- und Bindegewebe.
- Zellschutz vor freien Radikalen
- Reizübertragung im Nervensystem

Vitamine können nicht vom Organismus selbst hergestellt werden und sollten möglichst täglich mit der Nahrung aufgenommen werden. Es sind 13 Vitamine bekannt. Sie werden in zwei Gruppen geteilt. Von fettlöslichen kann der Körper Reserven anlegen. Wasserlösliche Vitamine lassen sich - mit Ausnahme von Vitamin B12 - nur in geringen Mengen speichern.

Fettlösliche Vitamine:
Vitamin A (Retinol)
Vitamin D (Calciferole)
Vitamin E (Tocopherole)
Vitamin K (Phyllochinon)

Wasserlösliche Vitamine:
Vitamin B1 (Thiamin)
Vitamin B2 (Riboflavin)
Vitamin B6 (Pyridoxin)
Vitamin B12 (Cobalamin)

Biotin
Folat
Niacin
Pantothensäure
Vitamin C

(Quelle: Deutsche Gesellschaft für Ernährung)

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort