Wenn Armut krank macht

Trier · Das Leben auf der Straße und in Armut macht krank. Das sagt die Ärztin Christiane Langenkamp. Der Obdachlose Dugi meint, es käme vor allem auf die innere Einstellung an. Ein Morgen in der Sozialküche und der Wohnungs losenambulanz in Trier.

 Beim Blutdruckmessen in der Obdachlosenambulanz: die Internistin Christiane Langenkamp. TV-Foto: Katja Bernardy

Beim Blutdruckmessen in der Obdachlosenambulanz: die Internistin Christiane Langenkamp. TV-Foto: Katja Bernardy

Trier. 10.30 Uhr, zur Spätfrühstückszeit, in der Sozialküche im Haus Vinzenz auf dem Gelände des Trierer Brüderkrankenhauses. Messer und Gabeln klappern, das Kartoffelpüree dampft. Menschen ohne Dach über dem Kopf und Bedürftige sitzen an Tischen, die in jeder Gaststätte stehen könnten, und essen ein warmes Mittagessen - ihre erste Mahlzeit für diesen Tag. Auch Dugi, so der Spitzname des 35-Jährigen, der seit Mai auf der Straße lebt, hat dem Regen getrotzt und ist zur Villa Vinzenz gekommen.TV-Serie IHRE GESUNDHEIT


Dugi möchte seinen richtigen Namen nicht nennen. Er widerspricht dem Klischee eines Obdachlosen: abgewetzte Kleidung, zerzauste Haare, wettergegerbte Haut, Alkoholfahne. Der große Blonde ist gepflegt, trägt einen sauberen roten Sweater, eine schwarze Lederimitatjacke und sieht aus wie der Nachbar von nebenan. "Wenn man denkt, man hat Freunde, dann wird man über den Tisch gezogen", erklärt er kurz, warum er aus der WG abgehauen ist. Er sei dem Ruf der Freiheit gefolgt, raus aus der Zwangsjacke des Alltags und der Verpflichtungen. Dass man häufiger krank ist, wenn man draußen lebt, glaubt Dugi nicht. "Es kommt auf die innere Einstellung an", meint er. Und er schwört auf die alten Hausmütterchenrezepte: Bei Magenmucken trinkt er Kamillentee, zur Vorbeugung bei schlechtem Wetter löffelt er Rindfleisch- und Hühnersuppe.
Neben Dugi sitzt Günter Adam (53). Mit "Frau weg, Job weg, Wohnung weg", beschreibt er in wenigen Worten, was ihn im Juni dieses Jahres auf die Straße katapultiert hat. Die brutale Seite der Obdachlosigkeit hat er bald zu spüren bekommen. Er gehörte zu den Opfern, die mit Eisenstangen verletzt worden waren. Adam ist krankenversichert, und er glaubt, dass man mit und ohne Versicherung, arm oder reich, immer behandelt wird.
Bruder Elias, er ist hauptberuflich Krankenpfleger im Brüderkrankenhaus, leitet seit 2001 die Sozialküche. Er hat ein Auge auf Dugi, Günter Adam und die weiteren 300 Stammgäste. Wenn er Wunden sieht, hört, dass jemand hustet oder er von einer Verletzung, wie sie Adam hatte, weiß, dann macht er den Besuchern der Sozialküche das Angebot, nebenan anzuklopfen. Dort arbeitet die Internistin Christiane Langenkamp zwei Mal in der Woche ehrenamtlich. "Über das Essen erreichen wir die Leute", sagt Bruder Elias. Fünf bis sieben Patienten behandelt sie durchschnittlich während der Sprechstunde. Die engagierte Ärztin untersucht, stellt Diagnosen und verordnet Tabletten und Salben, deren Zuzahlung sich viele trotz Versicherung nicht leisten können.
Die häufigsten Krankheiten sind Atemwegserkrankungen - bedingt durch das Leben draußen oder in verschimmelten Wohnungen, Hauterkrankungen und Verletzungen, verursacht durch Parasitenbefall und Stürze als Folge von Alkohol-, Nikotin- oder Drogenmissbrauch sowie Magen- und Darminfekte durch die oft schlechte Ernährungsweise. "Ganz klar besteht zwischen Armut und Krankheit ein Zusammenhang", sagt Langenkamp. Armut führe häufig zu einem ungesunden Lebenswandel und dies wiederum zu Krankheiten. Aber nicht nur Obdachlose kommen, sondern auch Individualisten, die nicht genug zum Leben haben.
In der Wohnungslosenambulanz spielt die Versichertenkarte keine Rolle, da steht einzig der Mensch im Mittelpunkt. Langenkamp betreibt in der Villa Vinzenz Basismedizin mit viel Herzblut und Wertschätzung. Bei chronischen Krankheiten, Zahnproblemen oder in schlimmen Fällen vermitteln Bruder Elias und sie weiter. Ihre guten persönlichen Kontakte zu den Ärzten sind hilfreich, damit die kranken Menschen auch mal kostenlos weiterbehandelt werden können.
Die Trierer Bezirksärztekammer geht in einer Vortragsreihe auf das Thema Armut und Krankheit ein. Am 13. November, 19 Uhr, wird Professor Bernhard Schneider von der Theologischen Fakultät Trier über Armut und Krankheit in der Kirchengeschichte in der Bezirksärztekammer, Balduinstraße 10-14, Trier, sprechen. Anmeldungen unter Telefon 0651/99475910 oder Mail an info@aerztekammer-trier.deExtra

Immer mehr Menschen in Deutschland sind zu dick: Mehr als jeder zweite Erwachsene (52 Prozent) hatte 2013 Übergewicht. Damit ist der Anteil der Dicken seit Beginn der Erhebung 1999 um vier Prozentpunkte gestiegen, wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden am Mittwoch mitteilte. 62 Prozent der Männer sind zu schwer, von den Frauen bringen nur 43 Prozent zu viel auf die Waage. Beim Rauchen verhalten sich die Deutschen gesundheitsbewusster: Immer weniger greifen zur Zigarette, vor allem junge Menschen. Nur noch knapp jeder Vierte bezeichnet sich als Raucher. Das sind gut drei Prozentpunkte weniger als 1999. 29 Prozent der Männer rauchen, bei den Frauen sind es nur 20 Prozent. dpa

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