Wenn ein Arzneimittel zur Gefahr wird: Kassen warnen vor zu viel Antibiotika - Pro-Kopf-Verbrauch in Rheinland-Pfalz am höchsten

Trier/Berlin · Rheinland-Pfalz und das Saarland sind spitze im Verbrauch von Antibiotika. Nirgends in Deutschland wird mehr von dem Arzneimittel geschluckt als in den beiden Bundesländern. Doch die Wirkung von Antibiotika verpufft, weil es zu leichtfertig verordnet wird.

 Zu oft verschrieben, zu häufig eingenommen: Werden Antibiotika übermäßig viel eingesetzt, verlieren sie rasch ihre Wirksamkeit. Foto: Kai Remmers

Zu oft verschrieben, zu häufig eingenommen: Werden Antibiotika übermäßig viel eingesetzt, verlieren sie rasch ihre Wirksamkeit. Foto: Kai Remmers

Trier/Berlin. 1,8 Millionen Tagesdosen Antibiotika wurden im vergangenen Jahr in Rheinland-Pfalz verordnet - 17 Prozent mehr als im Bundesdurchschnitt. Rheinland-Pfalz liegt damit mit dem Saarland an der Spitze bei den Antibiotika-Verordnungen.
Eine Erklärung dafür hat die Techniker Krankenkasse (TK), die die Daten für das Land erhoben hat, nicht. Durchschnittlich habe jeder erwachsene TK-Versicherte im Land Antibiotika für 5,6 Tage verschrieben bekommen, sagt Anneliese Bodemar, Leiterin der TK-Landesvertretung in Rheinland-Pfalz. Schaue man sich nur die erwerbstätigen Personen an, liege die Zahl der Tagesdosen sogar bei 6,3.
"Eine denkbare Erklärung wäre, dass Berufstätige sich weniger Zeit zum Auskurieren nehmen, um nicht zu lange im Job auszufallen, und sich statt dessen eher Antibiotika verordnen lassen", sagt Bodemar. Je häufiger Antibiotika eingesetzt werden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit von Resistenzbildungen. Multiresistente Keime, bei denen kein Medikament mehr wirkt, sind eine zunehmende Gefahr. Davor warnt auch die Deutsche Angestellten-Krankenkasse DAK. 2013 seien fast 30 Prozent der Antibiotika-Verordnungen fragwürdig gewesen.
Schlechte Aufklärung


Der Vorsitzende der DAK-Gesundheit, Herbert Rebscher, fordert Ärzte und Patienten zu verantwortungsvollerem Umgang mit Antibiotika auf. 40 Prozent der in einer Studie Befragten seien schlecht über die Einsatzgebiete der Wirkstoffe informiert. Sie verlangten etwa bei Erkältungen oder Bronchitis Antibiotika. Diese würden aber nicht helfen, weil es sich hierbei in bis zu 90 Prozent aller Fälle um Viruserkrankungen handele.
"Antibiotika sollten nur verschrieben werden, wenn sie wirklich nötig sind, zum Beispiel bei eitrigen Mandelentzündungen oder Lungenentzündungen. Bei virusbedingten Infektionen sind Antibiotika wirkungslos", erklärt Sabrina Segebrecht, Apothekerin bei der TK. "Die Verordnung einer antibiotischen Therapie sollte sich auf das notwendige Maß beschränken", sagt auch Günther Matheis, Vorsitzender der Bezirksärztekammer. Jede dritte Therapie sei nicht erforderlich. Allerdings: "Ärzte werden oft von ihren Patienten zur Verschreibung gedrängt. Hier helfen Aufklärung über Risiken und Nebenwirkungen", sagt Matheis.
Die Über- und Fehlversorgung werde gerade während der Erkältungszeit besonders deutlich, so die DAK-Studie. Die problematische Erwartung der Patienten beeinflusse offenbar auch das Verschreibungsverhalten von Ärzten, hieß es weiter. Ärzte wüssten zwar in der Regel um die Einsatzgebiete der Wirkstoffe gegen Bakterien. Um die erkälteten Patienten zu beruhigen, verschrieben sie aber dann doch ein Antibiotikum.
Die Verordnungsraten bei Kindern seien im übrigen zwar rückläufig. Der erstmals vorgelegte DAK-Antibiotikareport zeige jedoch, dass junge Versicherte immer noch mehr Antibiotika verschrieben bekämen als Erwachsene: 2013 seien es 45 Prozent der unter 15-Jährigen gewesen. Fast genauso hoch ist die Zahl bei Älteren - 44 Prozent der 85- bis 90-Jährigen nahmen demnach Antibiotika ein.
Von einer Million Versicherten, die 2013 in Krankenhäusern behandelt wurden, trugen knapp 20 000 einen resistenten Keim in sich. 2010 waren es noch rund 15 000 Versicherte gewesen.
Bundesweit und kassenübergreifend sterben jährlich 7500 bis 15 000 Patienten an Infektionen, die im Zuge einer Krankenhausbehandlung entstehen, so die Zahlen des Bundesgesundheitsministeriums. wie/dpa

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