Interview mit Dirk Wolfes „Gibt es einen Dresscode für selbstbewusste Frauen, Herr Professor?“

Interview | Trier · Starke Farben, Feminität und Statements liegen im Trend: Der Trierer Professor Dirk Wolfes erklärt, warum Fashion uns Kraft geben kann.

Interview mit Dirk Wolfes, Professor an der Hochschule Trier über Mode
Foto: TV/Maxi Virgili

Statements auf Kleidung gehören zum Alltag. Eines der berühmtesten Beispiele ist „We should all be Feminists“ auf einem Dior-T-Shirt der Designerin Maria Chiara Chiuri vor einigen Jahren. Wird dieser Trend mit zunehmender Polarisierung der Gesellschaft voranschreiten?

Dirk Wolfes: Maria Chiara Chiuri ist die erste Chefdesignerin in der langen Tradition von Dior, einem der größten und einflussreichsten Haute Couture-Häuser der Welt. Was Dior unternimmt, wird immer global wahrgenommen. Chiuri nutzt bewusst diese außerordentliche Verantwortung als Head of Design, um die Leistung von Frauen in der Modewelt sichtbar machen. Sie hat zum Beispiel eine Dior-Kampagnenserie nur mit Fotografinnen gestartet und einen Weltkongress zu Mode und Kultur für Frauen organisiert. Die letzte Dior-Schau fand im Sommer in Lecce in Apulien statt, wo ihre familiären Wurzeln liegen. In ihre Kollektion hat sie viele Elemente aus dem traditionellen Handwerk aus dieser Region integriert und hat damit den Frauen, die das Handwerk beherrschen, ein Zeichen der Hoffnung gesetzt und sich bei ihnen bedankt. Chiuri hat also diesen Slogan nicht nur auf ein T-Shirt geschrieben, sondern sie lebt ihn und setzt ihn in ihrer Position und ihrem Unternehmen beharrlich um. Feminismus ist ihr ein Kernanliegen.

Hat sie damit etwas ausgelöst?

Dirk Wolfes: Ja. Wir thematisieren schon seit einiger Zeit, dass bis in die 2000er Jahre hinein meist Männer die Leitung großer Häuser für Frauenmode hatten. Mittlerweile gibt es mit Stella McCartney oder Phoebe Philo, damals für Celine, immer mehr Frauen in verantwortlichen Positionen, die Mode für Frauen machen. Gott sei Dank. Das männlich dominierte System bricht aus meiner Beobachtung immer mehr auf und verändert sich. Es könnte mehr sein, aber wir sehen mit Designerinnen wie Maria Chiuri, dass sich der Trend in den Firmen auch nachhaltig in den Führungspositionen durchsetzt.

Werden Statements modisch instrumentalisiert, weil sie sich gut verkaufen?

Dirk Wolfes: Nicht immer steckt hinter einem Bold-Statement- T-Shirt wie bei Dior eine Überzeugung. Es gibt wahrscheinlich auch Unternehmen, die sie produzieren, weil sie gerade modern sind. Ich kann nicht beurteilen, wie ernst gemeint jeder einzelne Slogan ist, aber feststeht, dass wir uns mit Kleidung und Trends ausdrücken und Stellung beziehen. Wir können Botschaften plakativ transportieren. Es gibt ja nicht nur Statement-Shirts. Im vorletzten US-Wahlkampf gab es zum Beispiel auch pinkfarbene Strickmützen als Zeichen gegen Donald Trump. Die Codes politischer Gruppierungen funktionieren nonverbal, wer informiert ist, weiß sofort, was gemeint ist. Das gab es immer schon. Katherine Hamnet hat schon sehr früh Nachhaltigkeits-Themen aufgegriffen. Rei Kawakubos Thema bei Comme des Garçons (franz: so wie Jungen) war, wie der Name schon ausdrückt, Feminismus. Zu den Makrotrends, die sich als ständiges Thema über viele Jahrzehnte erstrecken, gehört die Ökologie. Das Thema kennen wir schon seit den 1970er Jahren und es wird immer breiter. Mode ist immer schon politisch gewesen und das wird so bleiben.

Der Hosenanzug war einmal emanzipatorisches Zeichen. Das gilt lange nicht mehr. Viele, gerade jüngere Frauen kleiden sich sehr weiblich – auch Politikerinnen. Gibt es einen Dresscode selbstbewusster Frauen?

Dirk Wolfes: Die Auffassung, was als formelle Kleidung im Business möglich und toleriert ist, hat sich sehr stark verändert und belegt teilweise ein sehr feminines Selbstbewusstsein. Als erstes Beispiel möchte ich Christine Lagarde, die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, nennen. Auf Fotos steht sie, pinkfarben angezogen, in einem Meer von Männern in dunkelblauen, schwarzen oder anthrazitfarbenen Anzügen. Sie macht ihre Weiblichkeit sichtbar, indem sie sagt, ich bin da, ich trage feminine Farben. Es gibt natürlich andere Politikerinnen – Julia Klöckner oder Malu Dreyer zum Beispiel, die mit ihrer Farbigkeit und ihrer Kleidung feminin auftreten. Impulsgeberin dieser neuen Weiblichkeit ist Phoebe Philo in ihrer Zeit bei Celine gewesen. Ihr großer Beitrag in der Designentwicklung war, dass ihre Kleidung sich nicht einfach in der Konstruktion von Männerkleidung ableitet und dennoch formal ist. Jil Sander hat vorher stark mit maskulinen Grundformen gearbeitet und sie dann feminisiert. Philos gestalterischer Weg hatte mehr Substanz, sie hat unseren Begriff, was wir adäquat finden, erweitert. Eine Frau in einer Führungsposition kann auch Rosa tragen, ohne dass wir ihre Autorität infrage stellen. Daraus ergeben sich die wahrnehmbareren Zeichen der jüngeren Generation und daraus ergibt sich das enorm wichtige Signal, dass Frauen umgekehrt auch Führungspositionen beanspruchen sollen.

Es gibt sogar den Trend zu einem neuen Chic. Ist das die Weiterführung der Betonung des Weiblichen oder ist das der Beginn einer neuen Spießigkeit?

Dirk Wolfes: Jein – es kann sowohl als auch sein. Es kommt darauf an, wer was in welchem Zusammenhang trägt. Es gibt tatsächlich den Trend der neuen Spießigkeit einer jungen Generation. Es ist ihre Reaktion auf die Informationsfülle, auf die Komplexität der Entwicklungen, auf Ängste und Sorgen – Stichwort Klimakrise. Dieser Eskapismus ist Ausdruck eines Wunsches nach Stabilität. Man möchte Werte und Ordnung aufrechterhalten, man möchte sich romantisch zurückziehen und nicht nur in Funktionskleidung herumlaufen, um gegen den nächsten Virenangriff und Kälteschauer gerüstet zu sein. Die Mode bietet Fluchtmöglichkeiten wie die Märchen- und Fantasy-Welten der Computerspiele. Diese Sehnsucht gilt natürlich nie für eine ganze Generation. Es gibt im modischen Angebot eine immense Vielfalt, es werden viele Bedürfnisse befriedigt, die alle einen Grund haben und manchmal sogar innerhalb eines Trends widersprüchlich sind. Manche Frauen tragen diesen „Chic“ eher selbstbewusst, die anderen flüchten damit vielleicht. Das ist bei jungen Männern übrigens auch so. Es gibt auch bei ihnen eine Art neuer Spießigkeit.

Wo liegt der Reiz der früher als „hässlich“ geltenden Bucket Hats und Dad Sneakers? Eingeläutet hat diesen Trend Demna Gvasalia, damals bei Vetements.

Dirk Wolfes: Demna Gvasalia und sein Bruder haben Vetements zusammen gegründet. Seit einigen Jahren arbeitet er aber ausschließlich für Balenciaga. Gvasalia ist von Paris nach Zürich gezogen. Er beobachtet Menschen auf der Straße, in Cafés und Restaurants, schaut sich deren Verhalten und deren Kleidung an und entwickelt dann seine Kollektion. Er sagt, er arbeite wie ein Soziologe, der Studien macht und greift auf, was die Gesellschaft ihm präsentiert und überhöht es in seiner Stilistik. Seine Arbeit ist also eine Art Spiegel der Gesellschaft, in dem er sie, man könnte es böse formulieren, zum Teil persifliert. Es gibt diese Ästhetik der Vorstädte, der Gesellschaftsschichten, die nicht Teil des Establishments oder der Bürgerlichkeit sind, sondern als Randgruppe ihren eigenen Stil kultiviert haben. Gvasalia hinterfragt unsere von überhöhten Schönheitsidealen und Stereotypen dominierte Kultur. Menschen sind eben nicht perfekt – das bringt er auf den Laufsteg und steht damit in der Tradition von Maison Margiela, bei dem er auch angefangen hat. Der ist wiederum Zögling von Jean- Paul Gaultier und dessen Anliegen war es, Charakter auf die Bühne zu bringen. Demna Gvasalia führt das weiter und beschreibt die Subkulturen und Randgruppen.

Hat Demna Gvasalia auf der Straße einen DHL-Paket-Fahrer gesehen und herausgekommen ist ein T-Shirt in Kooperation mit dem Unternehmen?

Dirk Wolfes: Das war im Ursprung keine Kooperation. DHL fand die Idee aber dann so gut, dass sie daraus entstanden ist. Damals lebte Gvasalia noch in Paris und es war eine der ersten Kollektionen von Vetements, in die er einfach Kleidung aus dem Arbeitsleben intergiert hat. Vetements war damals noch eine Undergroundsache, eher für Insider. Dann haben ein paar Models das DHL-Shirt getragen und es wurde auf einmal zu einem Erkennungszeichen für den Up-coming-Superstar.

Folgt Lidl diesen Spuren? Der Discounter hat Mode mit seinem Schriftzug herausgebracht.

Dirk Wolfes: Das machen mehrere Firmen mittlerweile. Aldi hat aus seinem ursprünglich für Tüten entwickelten Motiv Kollektionsteile entwickelt und sehr erfolgreich verkauft. Dieser Trend entspringt den unglaublichen Erfolgen von Kooperationen. Wir haben seit einigen Saisons sehr erfolgreiche Projekte einzelner Unternehmern, die zusammen eine Drop-in-Kollektionen, Casual-Kollektionen oder sehr limitierte Sonderkollektionen auf den Markt bringen. Für viel Aufsehen sorgte die Zusammenarbeit von Louis Vuitton mit Supreme, dem Skater-Spezialisten. Sie war rasend erfolgreich. Die Luxus-Marke Louis Vuitton hat das gemacht, um ihr Portfolio im Bereich Sportswear zu erweitern, weil es ein wichtiger Markt ist. Das war eine sehr kluge Strategie.

Was macht die Kooperationen so erfolgreich?

Dirk Wolfes: Die Limitierung. Es sind Dinge, die es in dieser Form von dieser Marke sonst nicht gibt. Der US-Rapper Kanye West betreibt das sehr erfolgreich mit Yeezy. Die Sneakers gab es zuerst bei uns gar nicht. Es kam nur ein ausgewählter Kreis an sie heran. Das hat sich aber vor zwei Jahren geändert. Produziert werden sie von Adidas und es ist eine der erfolgreichsten Kooperationen des Sportartikelherstellers.

Spiegeln sich gesellschaftliche Ängste und Probleme in der Mode? Zum Beispiel in langen Röcken? Es gibt ja diese Theorie, dass sie in wirtschaftlich schlechten Zeiten länger werden.

Dirk Wolfes: Wir haben den Trend zu sehr duftigen und weit geschnittenen langen Kleidern. Sie sind sehr modisch, aber auch praktisch. Darunter werden von vielen Frauen Funktionsteile wie Leggings und Bodys getragen, die wiederum bei den vielen Organza- und Häkeln-Kleidern das Gefühl der Sicherheit verleihen. Die Frauen kleiden sich sehr feminin, fühlen sich aber nicht entblößt und vor unangenehmen Blicken geschützt. Dieses Layering (engl.: Schichtung) ermöglicht beides. Was ich zum Beispiel als sehr starke Reaktion der Modeschaffenden auf Corona sehe, ist der Trend zu Farbe. Wir arbeiten mit Bold-Colours und mit massiven Farbbildern. Es gibt das Thema Tropen mit saftigen Grüntönen und Drucken – es ist eine Reaktion auf das Bedrohliche, es ist ein Statement der Hoffnung, da heil raus zu kommen.

Mode als Zeichen der Hoffnung und Schutzpanzer zugleich?

Dirk Wolfes: Die Funktionskleidung beschützt und das Feminine lässt sich darüber layern. Es werden unterschiedliche Pole zusammengebracht. Ähnlich funktionieren Longblazer, die sehr populär sind. Sie sind Blazer oder Kurzmantel, man kann sie zu Kleidern tragen, zu engen Hosen oder Leggings. Dieses Teil bewährt sich in sehr vielen Lebenssituationen. Oversized-Jacken, die wieder da sind, gab es schon in den 1990ern ebenso wie Grunge.

Was bedeutet dieser Rückgriff?

Dirk Wolfes: Bei Grunge sehe ich vor allem die Auseinandersetzung mit der Nachhaltigkeit. Es ist das Einbeziehen von Trecking, Camping und eben das Bewusstsein für Natur, das über die Kleidung dokumentiert und in die Städte hereingeholt wird. Es ist der große Trend, Dinge aufzuarbeiten und zu Recyceln. Den Grunge-Trend befeuert sehr der Gedanke, die Wertigkeit der Teile aus anderen Epochen zu betonen. Es steht für das Bewusstsein, dass wir mit der Natur haushalten müssen. Rein modisch gesehen ist der große Mehrwert der Grunge-Mode das Layern gewesen. Mode wird in Schichten getragen und bekommt eine Funktion, die sie ursprünglich nicht hatte. Altes und Neues wird kombiniert. Das gilt auch unter anderem für die Surfer-Szene, die ihren Stil in die Städte getragen und dort manifestiert hat. Kleidung, die aus einem anderen Lebenszusammenhang kommt, wird stilistisch umgeformt und zu einem Modetrend. Die Vielfalt mit ihren sehr unterschiedlichen Richtungen ist es, die uns Hoffnung gibt – Hoffnung ist die Stärke der Modeschöpfer.

Das Interview erschien in der Dezember-Ausgabe des Magazins „Stilvoll“.

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