Damit der Abfall nicht verkommt

Birkenfeld · Komplizierter Name, klare Aufgaben: Das Institut für angewandtes Stoffstrommanagement (Ifas) am Umweltcampus Birkenfeld berät Gemeinden und Firmen, wie diese Emissionen vermeiden und damit sogar Geld verdienen können. Davon profitieren die regionale Wirtschaft und die Umwelt.

Wäre Deutschland eine Fabrik, so käme deren Controller rasch zu dem Ergebnis, dass sie nicht effektiv arbeitet: Mehr als die Hälfte aller verwendeten Rohstoffe werden nach der Produktion zu Abfall. Sie werden - ob in fester Form oder als Energie - nicht weiterverwendet, sondern weggeworfen, in Bäche und Flüsse gespült oder in die Atmosphäre geblasen. "Wir haben in Deutschland bei unseren Ressourcen eine gigantische Ineffizienz. 40 Prozent nutzen wir, 60 Prozent gehen weg", sagt Peter Heck vom Umweltcampus in Birkenfeld.
Ihm ist diese Verschwendung an Energie und Rohstoffen schon immer ein Dorn im Auge gewesen. "Emissionen kosten Geld. Das wollen wir abstellen", fasst er die Ziele des Instituts für angewandtes Stoffstrommanagement (Ifas) zusammen, das er vor zehn Jahren am Umweltcampus gegründet hat. Heck ist heute geschäftsführender Direktor des Instituts. Unter Stoffstrommanagement versteht er das Optimieren bestehender Systeme mit dem Ziel, Abfallprodukte nicht wegzuwerfen, sondern weiterzuverwenden.
Ein Beispiel, wie Abfallprodukte anderen Betrieben als Rohstoffe dienen, findet sich in der Morbacher Energielandschaft (MEL). Diese sei eines der ersten Projekte, die das Ifas begleitet habe, sagt Michael Grehl von der Morbacher Gemeindeverwaltung. Im November 2001 habe die Zusammenarbeit begonnen, sagt er. Sie verknüpft mehrere Betriebe miteinander. In einer Biogasanlage wird elektrische Energie erzeugt und in den Stromkreislauf eingespeist.Dabei entsteht als Nebenprodukt Wärme, die bei zahlreichen anderen Biogasanlagen in die Umwelt abgegeben wird und verloren geht. Nicht so in der MEL: "Die Wärme wird genutzt, um Holzhackschnitzel zu trocknen", erklärt Grehl. Aus diesen werden dann Holzpellets gepresst. Die Holzhackschnitzel sind in der Energielandschaft bei einem Unternehmen, das Blockhäuser baut, als Reststoff angefallen.
Forscher aus aller Welt sind interessiert
Der von der MEL praktizierte Stoffstromkreislauf ist Anschauungsobjekt für Wissenschaftler und Politiker aus der ganzen Welt. Vertreter aus 90 Ländern haben sich in Morbach schon informiert. Beispielsweise haben sich schon Gäste aus Marokko für die Biogasanlage interessiert. Grund seien die Abfälle, die in dem afrikanischen Land beim Anbau und der Verarbeitung von Orangen entstehen, sagt Grehl.
Peter Heck und seine Mitstreiter vom Ifas gehen in Unternehmen oder Kommunen und untersuchen dort, wo Ressourcen besser genutzt werden können. Dabei werden der Energie- und der Stoffumsatz analysiert.Der Umweltcampus ist vor kurzem bei einer Umfrage des Internetportals Utopia unter 200 bewerteten Universitäten und Fachhochschulen zu Deutschlands grünster Hochschule gewählt worden. Auch Formulierungen wie Emissionsvermeidung und Umweltcampus lassen bei dem Begriff Stoffstrommanagement einen rein ökologischen Hintergrund vermuten. Aber der Ansatz des Ifas ist rein wirtschaftlich. "Wir denken unternehmerisch und wählen einen ökonomischen Managementansatz für unsere Arbeit", sagt Heck. Nachdem die Mitarbeiter des Ifas ermittelt haben, wo und warum ein Unternehmen ineffizient arbeitet, unterbreiten sie technische und wirtschaftliche Lösungsvorschläge. Dabei gehen die Mitarbeiter des Instituts unternehmerisch vor: Ziele und Zwischenziele setzen, Zeitpläne und Finanzpläne erstellen und die Emissionen möglichst auf null setzen.
Der Begriff Emissionen steht in den Augen des Leiters des Instituts für fehlende Innovation, nicht genutzte Optionen, steigende Kosten und zu wenige Arbeitsplätze. Erst dann komme für ihn der Umweltschutz. Ökologie ist für Heck lediglich ein "positiver Kollateralschaden". "Wir machen das nicht aus umweltpolitischen, sondern aus wirtschaftlichen Gründen", sagt Heck.
Emissionen wie Abwasser und Abfälle seien misshandelte Rohstoffe, die Umweltschäden und Kosten erzeugen, sagt Heck. Man müsse sie stattdessen als Rohstoffe begreifen und daraus Werte generieren. Heck wählt ein anschauliches Beispiel: "Schweine und Menschen haben biologisch viel Ähnlichkeit", berichtet er. Die Schweinegülle werde in Biogasanlagen genutzt, und mit der Energie werde Geld verdient. Die Fäkalien der Menschen dagegen ."spülen wir erst weg und trennen sie dann wieder mit Energie und Kosten an der Kläranlage. Das ist stoffstromtechnisch Unsinn."Europa habe die Fehler gemacht, Emissionen einfach wegzuwerfen, abzuleiten oder in die Luft zu blasen. Andere Länder, die nun wirtschaftlich aufholten, könnten das vermeiden, sagt er. Das fasziniere Vertreter fremder Länder wie der Türkei, Marokko oder China, die Kontakt zum Ifas suchen.
Bei seiner Arbeit misst Heck der regionalen Wertschöpfung einen sehr hohen Stellenwert zu. Als Beispiel nennt er die Energiewende. Eine Kilowattstunde Energie, die von einer Ölheizung erzeugt werde, koste etwa zwölf Cent. Davon verbleiben zehn Prozent in Deutschland, das restliche Geld fließe ins Ausland.
Hingegen sei bei einer Kilowattstunde Energie, die aus regionalen Ressourcen wie Windkraft oder Biogas stamme, das Verhältnis genau umgekehrt: 60 Prozent des Gelds verblieben bei den Gemeinden, weitere 30 Prozent ebenfalls in Deutschland, sagt er. "Das ist ein ökonomischer Gewinn für die Region."
Die 10.000 Einwohner große Gemeinde Nalbach im Landkreis Saarlouis hat in Zusammenarbeit mit dem Ifas ein regionales Klimaschutzkonzept entwickelt. "Wir wollen bis 2050 eine Null-Emissions-Gemeinde sein", sagt Martin Wörner, Klimaschutzmanager in Nalbach. Fossile Brennstoffe sollen bis zu diesem Datum durch regional erzeugte Energie ersetzt sein und sämtliche Möglichkeiten der Einsparung von Energie wie Dämmung von Häusern genutzt werden.
"Wir wollen mehr Energie produzieren als verbrauchen", sagt Wörner. Der Mehrwert für die Gemeinde: Sie erreiche ihre Klimaschutzziele. Aber sie generiere zudem eine regionale Wertschöpfung. Denn einheimische Unternehmen verdienten durch den Umbau der bestehenden Heizungen Geld und seien durch die vermehrte Nachfrage in der Lage, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Zudem müssten die heimischen Anlagen wie Windräder oder Nahwärmenetze gewartet werden, die zur Erzeugung von Energie dienen, sagt Wörner. Handwerker erhielten dadurch Arbeitslöhne, mit denen sie in ihrem Umfeld wieder ihre Lebenshaltungskosten bestreiten, sprich: von denen wieder einheimische Firmen profitieren.Doch die regionale Wertschöpfung hört für Peter Heck hier noch lange nicht auf. Wenn er an Windräder denkt, hat er die Schulden8situation der Kommunen im Kopf. Immer mehr Gemeinden stellten den Betreibern von Windanlagen Flächen zur Verfügung, um von den Pachteinnahmen zu profitieren. Doch das ist Heck zu kurz gegriffen. Warum die Gemeinden die Windräder nicht selbst betreiben, fragt er. "Wenn sie eine Ölquelle hätten, würden sie diese auch nicht verpachten, sondern selbst Öl fördern." Er rechnet die möglichen Mehreinnahmen für die Gemeinden am Beispiel eines Windrads vor: Verpachtet eine Gemeinde Land, auf dem ein Betreiber eine 2,3 Megawatt-Anlage aufstellt, so bringt dies der Kommune in den kommenden 20 Jahren eine Wertschöpfung von 600.000 Euro. "Gründet sie aber eine Gesellschaft und betreibt das Windrad selbst, so steigen die Einnahmen aus dem Windrad um das zehnfache", sagt er. "Der Hunsrück könnte sich so selbst entschulden."
Zudem steige die Motivation für Kommunalpolitiker, die wegen der Schulden ihrer Gemeinden kaum etwas investieren könnten. "Sie würden so von Verwaltern zu Machern und Gestaltern", sagt Heck. Hinzu kommen die Zinserträge der Banken, die das Geld verleihen, und wieder die zusätzlichen Einnahmen der ört8lichen Handwerker, von denen das gesamte Umfeld profitiere. www.stoffstrom.org www.utopia.deZur Person Der 49-jährige Peter Michael Heck ist Professor am Umweltcampus Birkenfeld. Dort leitet der Doktor der Geografie als geschäftsführender Direktor das Institut für angewandtes Stoffstrommanagement (Ifas), das er 2001 mitgegründet hat. Nach dem Studium war er Umweltberater in Wallerfangen (Landkreis Saarlouis) und Dormagen (Rhein-Kreis Neuss), bevor er 1999 als Professor für Umwelt- und Betriebswirtschaftslehre, Umweltrecht, Umweltpolitik und internationalen Handel nach Birkenfeld wechselte.
Heck ist Gastprofessor an der Kunming Universität für Wissenschaft und Technik in China und Professor für den Studiengang Master für internationales Stoffstrommanagement an der Ritsumeikan Asia Pacific University in Beppu (Japan). Er berät Kommunen im In- und Ausland zum Thema Stoffstrommanagement. Darunter befinden sich Projekte in chinesischen Städten, in Antalya (Türkei) und in Curitiba (Brasilien). ExtraDer Umweltcampus Birkenfeld ist ein Standort der Fachhochschule Trier. 1996 begannen 550 junge Menschen auf dem Gelände eines ehemaligen amerika8nischen Armeege8ändes mit ihrem Studium. Heute gibt es etwa 2400 Studierende am Umweltcampus in elf Bachelor-Studiengängen, drei dualen BachelorStudiengängen und elf Master-Studiengängen in den Fachbereichen Umweltwirtschaft, 8Umwelt8recht und Umweltplanung sowie Umwelttechnik. Zudem gibt es 14 Forschungsinstitute und Kompetenzzentren. Der Umweltcampus beschäftigt 217 Mitarbeiter. 55 Professoren lehren am Campus. Das Institut für angewandtes Stromstoffmanagement (Ifas) gehört seit 2001 zur FH Trier am Umweltcampus Birkenfeld. Das Ifas beschäftigt derzeit 59 fest angestellte Mitarbeiter, sechs freie Mitarbeiter, 28 Hilfswissenschaftler, 12 Praktikanten, acht Bachelor- und sechs Masterstudenten. Es finanziert sich selbst und hat keinen externen Träger. Dienstleistungen werden den beratenen Kommunen in Rechnung gestellt.

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