"Das geplante Steuerabkommen hat gravierende Mängel"
Mit dem Kauf sogenannter Steuer-CDs haben Bund und Länder ein probates, aber auch umstrittenes Mittel im Kampf gegen Steuerflucht ins Ausland gefunden. Auch das Finanzamt Trier profitierte von den daraus resultierenden Selbstanzeigen vieler Steuersünder.
Macher, Menschen + Märkte-Mitarbeiter Uwe Hentschel hat mit dem Leiter, Jürgen Kentenich, gesprochen.
Bundesjustiz ministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat angekündigt, den Ankauf von Steuer-CDs mittels eines Gesetzes zu verhindern. Die rheinland-pfälzische Landesregierung hingegen hält den Kauf solcher Daten für sinnvoll und ist aktuell auch in Verhandlungen mit einem Anbieter. Handelt das Land damit auch in Ihrem Sinne?
Kentenich: Ich würde mir wünschen, dass es mit der Schweiz - wie mit der Mehrzahl der EU-Mitgliedsstaaten - einen automatischen Datenaustausch gibt. Damit wäre die Anonymität der Anleger nur gegenüber den Finanzbehörden aufgehoben, was angesichts des Steuergeheimnisses, das die Steuerbehörden beachten, aber einen genügenden Schutz der Anleger sicherstellen würde. Den Ankauf von Steuer-CDs halte ich selbst als "Notwehr" für zulässig und sinnvoll. Zu einem gesetzlichen Verbot des Ankaufs von Steuer-CDs, wie kurzzeitig einmal in der politischen Diskussion angesprochen, wird es meiner Meinung nach nicht kommen.
Aber es gibt doch ein geplantes Steuerabkommen mit der Schweiz, auf das immer wieder verwiesen wird. Hat das keine Bedeutung?
Kentenich: Das geplante Steuerabkommen hat gravierende Mängel. Abgesehen von der zu geringen nachträglichen Besteuerung der Kapitalerträge ist das Problem des Abschleichens besonders gravierend. Denn bis zum 1 Januar 2013 könnten die Anleger ihr Geld unbemerkt aus der Schweiz abziehen, was sie derzeit schon kräftig tun. Dabei verlagern sie das Geld keineswegs immer zu anderen Banken in anderen Ländern. Oftmals geht das Geld zu Niederlassungen der Schweizer Banken in anderen Ländern, so dass die Banken die Geldanlage für sich retten können.
Ein anderes großes Pro blem ist die weiterhin vorgesehene Anonymität der Anleger. Dadurch kann vor allem die Herkunft der Geldanlage nicht aufgeklärt werden. Auch die Abzugssteuer selbst ist ein Pro blem. Wir wissen, dass Anlageformen gewählt und empfohlen werden, die der pauschalierten 25-prozentigen Abzugssteuer nicht unterliegen. Das wissen wir auch aus Luxemburg. So wird Kapital weiterhin versteckt in Stiftungen oder zu diesem Zweck gegründeten Gesellschaften, zum Beispiel in mittelamerikanischen Ländern, die ein Treuhänder mit Sitz in Luxemburg verwaltet.
Zum Kauf angeboten wurden bislang überwiegend Datensätze von Kunden der Schweizer Finanzinstitute, aber auch schon welche aus Luxemburg, das mit Deutschland kein Steuerabkommen hat. Wie steht es also um den Kauf von Daten aus dem Großherzogtum?
Kentenich: Im Verhältnis zum EU-Mitglied Luxemburg gilt die Europäische Zinsrichtlinie. Sie besagt, dass Luxemburg eine Abzugssteuer von derzeit 35 Prozent einbehält und von diesem Betrag 75 Prozent ohne Nennung der Konteninhaber nach Deutschland abführt. Die anonyme Abführung gibt es innerhalb der EU im Verhältnis zu Luxemburg, Österreich und Belgien. Die Übereinkünfte sehen aber vor, dass mit diesen Ländern darüber verhandelt wird, dass sie wie die übrigen EU-Mitglieder schon jetzt künftig einen automatischen, nicht anonymen Datenaustausch vornehmen sollen.
Die Frage der Anonymität zeigt: Die betroffenen Länder beziehungsweise Banken wollen möglichst lange daran festhalten, die Namen der Kapitalanleger nicht zu nennen. Auch im Verhältnis zu Luxemburg gilt: Die Abzugssteuer ist keine wirkliche Lösung, da Anlageformen ausgewählt werden, die der Abzugssteuer gerade nicht unterliegen.
Angekündigte oder ins Auge gefasste Käufe von Steuer-CDs werden ja meist von einer Welle an Selbstanzeigen begleitet. Wie sieht das in unserer Region aus?
Kentenich: Seit 2010 bis heute haben sich im Bereich des Finanzamts Trier 263 Bürger selbst angezeigt und auf die Steuerschulden bisher 13,8 Millionen Euro bezahlt. Die überwiegende Zahl der Selbstanzeigen betraf Konten in der Schweiz und in Luxemburg.
Wer sich als Steuerhinterzieher selbst anzeigt, muss zwar nachzahlen, aber nicht mit einer Strafe rechnen. Jemand, der im Geschäft etwas klaut und sich dann der Polizei stellt, hat diese Möglichkeit nicht. Finden Sie das gerecht?
Kentenich: In der Tat ist die Steuerhinterziehung im deutschen Strafrecht das einzige Delikt, bei dem es trotz Vollendung der Tat dann keine Strafe gibt, wenn der Täter sich selbst anzeigt und die Steuer entrichtet. Das ist sicher auch dem Umstand geschuldet, dass der Nachweis von Steuerhinterziehung nicht immer einfach ist und die Wege der Hinterziehung vielfältig sind. Da die Tat eben oft auch über Grenzen hinweg durchgeführt wird, ist die Aufklärung nochmals schwerer. Die Straffreiheit ist nach meiner Ansicht der Realität geschuldet und vertretbar. In erster Linie sind wir an der vollständigen Abführung der Steuerschuld interessiert, nicht an einer Bestrafung. Erste Regelungen zur Straffreiheit bei Selbst anzeige gab es aber auch schon in der Reichsabgabenordnung von 1919, ja sogar im Sächsischen Einkommensteuergesetz von 1874
Unabhängig von allen Steuerhinterziehungen sorgt derzeit auch wieder die von einigen Seiten befürwortete Anhebung des Spitzensteuersatzes für Diskussionen. Aus Sicht des Finanzamts wäre das doch sicher erfreulich, oder?
Kentenich: Mit Steueranhebungen gehen an sich alle Kenner der Materie vorsichtig um. Wenn aber für eine Gesellschaft die Frage der Finanzierung ihrer öffentlichen Aufgaben besonders virulent ist, muss politisch entschieden werden, wer welche Steuerlasten tragen kann. Dann kann es durchaus Sinn machen, für hohe und sehr hohe Einkommen auch eine Anhebung des Steuersatzes zu überlegen. Wenn in einer Gesellschaft auch immer mehr privates Vermögen vorhanden ist, stellt sich schon die Frage, ob man nicht stärker auch das Vermögen, etwa durch eine Vermögenssteuer oder -abgabe, zur Finanzierung der Lasten heranzieht.
Zurzeit scheint mir persönlich gerade das Einkommen aus Arbeit im Vergleich zum Faktor Vermögen einseitig stark durch Steuern und Sozialabgaben belastet zu sein. Allerdings sollten vor jeder Steuer erhöhung zur Einnahmesteigerung die Ausgaben kritisch hinterfragt werden.
Wenn Sie die Möglichkeit hätten, etwas am deutschen Steuersystem zu ändern: Wo würden Sie anfangen?
Kentenich: Das viel zu komplexe und viel zu personalintensive Steuerrecht einfach aus dem Fenster zu werfen, das geht nicht. Steuervereinfachung ist keine einfache Angelegenheit. Anfangen würde ich persönlich beim immer undurchschaubarer werdenden Umsatzsteuerrecht. Die vielen Ausnahmen vom Regelsteuersatz - Stichwort Hotelsteuer - würde ich abschaffen. Das wäre ein kleiner Anfang. Wenn das Steuerrecht einfacher werden soll, dann muss man als Bürger aber auch mit mehr Pauschalierungen und weniger Abzugsmöglichkeiten einverstanden sein. Dann kann nicht jede Berufsgruppe für sich Sonderregelungen fordern. Anders ist Vereinfachung nicht möglich. Das wird aber sehr schwierig.
ZUR PERSON
Jürgen Kentenich wurde 1952 in Köln geboren und lebt heute in Gusterath (Landkreis Trier-Saarburg). Nach zwei juristischen Staatsprüfungen war er zunächst Sachgebietsleiter beim Finanzamt Trier und in den Jahren 1985 bis 1991 stellvertretender Vorsteher des Finanzamts Bitburg sowie Vorsteher der Finanzbehörden Prüm und Bernkastel-Kues. Anfang der 1990er Jahre wechselte er in den gehobenen Dienst der Oberfinanzdirektion Koblenz, bis er 2003 schließlich Vorsteher des Trierer Finanzamts wurde.