Der Hebel muss zurück auf Normalbetrieb

Immer mehr junge Menschen scheinen vom Leben überfordert zu sein. Vor allem im Beruf haben sie große Probleme. Ist dies Resultat der schnellen Zeit, in der wir leben? Und resultiert das Burn-out-Syndrom aus der ewigen Verfügbarkeit der Arbeitnehmer? TV-Mitarbeiterin Verena Schüller sprach darüber mit dem Bestsellerautor Michael Winterhoff.

Der Hebel muss zurück auf Normalbetrieb
Foto: dpa

Wieso scheitern so viele junge Menschen heutzutage im Beruf?

Winterhoff: Es mangelt ihnen als psychischer Reife. Und das wiederum liegt an den gesellschaftlichen Ver änderungen in den vergan genen zwei Jahr zehnten. Aus einer ruhigen, analogen Welt ist eine schnelllebige, digitale Welt geworden. Die Eltern leben dabei das, was ihnen fehlt, über ihre Kin der aus - und diese ent wi ckeln sich dadurch negativ.

Und was genau fehlt den Erwachsenen heute?

Winterhoff: Wir befinden uns in einem Zustand des dauerhaften Katastrophen alarms. Wir erwarten immer die nächste schlech te Nachricht, die nächste Krise, die nächste Kata strophe. Wir sind immer in Bewegung, immer hoch gedreht, immer in Hab- Acht-Stellung. Das lässt sich nicht einfach so abstellen.

Und wie müssten Eltern sein, um ihren Kindern etwas Gutes zu tun?

Winterhoff: Sie müssen wieder in sich ruhen, ihre Intuition zurückerlangen, denn das bedeutet, ein Gespür dafür zu bekommen, wie man mit Kindern um geht. Eltern, die in der Intiution sind, können sich zu ihrem spielenden Kind setzen und auf das Spiel eingehen. Doch stattdessen sehen viele Eltern schon kleine Kinder als Partner an und wollen das umsetzen, was sie in dem Moment als das Richtige empfinden. Bereits im Kindergarten haben die Kleinen heute die Entscheidungsfreiheit, oft werden sie sogar in wichtige Entscheidungen in der Familie miteinbezogen. Doch es gibt einfach Dinge, die Kinder erst lernen müssen: Gewissensinstanz, Pflichtbewusstsein, Arbeitshaltung und vieles mehr. Sie sind eben noch keine fertigen Individuen, sondern Kinder. Da reicht kein partnerschaftliches Erklären.

Sondern?

Winterhoff: Erst einmal müssen wir realisieren, dass wir uns im Katastrophen modus befinden. Im zwei ten Schritt müssen wir uns dann selbst zur Ruhe bringen - mit einem fünf stündigen Waldspaziergang vielleicht. Und dann müssen ernsthaft Maß nahmen ergriffen werden, die unseren Alltag ändern, damit wir uns den Kindern gegenüber anders verhalten können.

Was aber wird aus diesen Kindern, die zurzeit mit Eltern im Katastrophen- Modus aufwachsen?

Winterhoff: Diese Kinder haben vieles nicht gelernt. Sie können später nicht pünktlich sein, Autoritäten anerkennen, Prioritäten setzen und vieles mehr. Diese Kinder werden - so hart es klingt - arbeits unfähig sein. Und das wiederum hat weit reichende Folgen.

Auch für unsere Gesellschaft …

Winterhoff: Ja, wir haben jetzt schon große Probleme, aber das will man ja nicht sehen. Es wird lieber Geld in Fördermaßnahmen gesteckt. Ich kann nur warnen: Wenn wir nicht bald kritisch hingucken ... Denn die emotionale Psyche ist das Wichtigste, das wir haben, um im Leben klar zukommen. Und wenn das nicht gefördert wird, bleiben die Kinder ent wicklungsmäßig immer früher stehen.

Ist Burn-out ebenfalls eine Folge dieser digitalen Zeit, in der wir leben?

Winterhoff: Das war früher eine Krankheit, die nur Topmanager traf. Aber inzwischen haben es viele - und es werden immer mehr Betroffene. Wünschenswert wäre es, wenn die Betriebe mithelfen würden, alles etwas runterzufahren - kranke Mitarbeiter schaden ja auch wiederum den Betrieben. Aber Burn-out kommt nicht nur durch die Digitalisierung, sondern auch durch den ständigen Katastrophenalarm.

Und durch die ständige Erreichbarkeit? Sie schreiben, wir seien "ein Volk von Notärzten mit Piepern" geworden.

Winterhoff: Es gibt sicher hohe Positionen, in denen es sich nicht vermeiden lässt, ständig erreichbar zu sein. Aber alle anderen haben es selbst in der Hand. Die Frage ist: Beherrscht das Blackberry mich oder beherrsche ich es? Kann ich den Aus-Knopf finden? Es entsteht ein Zwang zur permanenten Erreichbar keit. Da lautet die Frage, die man sich selbst stellen muss: Bin ich in der Lage, es freitagabends auszu stellen und erst montag morgens wieder anzu schalten?

So einfach ist es? Zur Ruhe kommen, die innere Mitte finden? Das ist die Lösung?

Winterhoff: Das ist nichts Esoterisches. Es geht um das Bewusstmachen, die Reflexion, die Erkenntnis. Nur dadurch können Eltern Kinder erziehen, deren Psyche sich ungestört entwickeln kann. Oder anders: Glückliche Erwach sene sorgen für glückliche Kinder. Das Übliche, mit dem es früher getan war, reicht heute aber nicht mehr, um zur Ruhe zu kom men. Eine Stunde spazieren gehen, ist nicht genug. Es muss eine längere Zeit sein - plus weitreichende Kon sequen zen für den Alltag. Nur dann kann der Hebel wieder auf Normalbetrieb umgestellt werden.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort