Die Qual der Wahl an der Zapfpistole
Die Einführung des Biosprits E 10 im Frühjahr 2011 hat eindrucksvoll gezeigt, wie wichtig eine gezielte Aufklärung im Vorfeld geplanter Veränderungen sein kann. Die von der Bundesregierung forcierte Umsetzung einer EU-Vorgabe hat die Autofahrer ver unsichert. Mittlerweile ist E 10 längst flächen deckend erhältlich. Getankt wird es aber wenig - und im Nachbarland Luxemburg nach wie vor erst gar nicht angeboten.
Zugegeben: Dieser Einstieg ist etwas klischeehaft, aber man hätte es wissen müssen. Man kann den Deutschen ja so ziemlich alles servieren, doch beim Auto hört der Spaß auf. Der Motor ist eben kein plumper menschlicher Organismus, sondern ein sensibles Hightech-Aggregat. Und während einem der eigene Körper quasi als Geschenk in die Wiege gelegt wird, muss beim Kauf des Autos richtig tief in die Tasche gegriffen werden. Vielleicht ist das auch der Grund, warum vielen die fehlerfreie Funktion der Einspritzpumpe mehr am Herzen liegt als die Herzpumpe selbst.
Verwirrung und Ärger
Man hätte es sich also denken können - oder die Einführung von Anfang an besser vermarkten müssen: Dass dies weder der Bundesregierung noch der Mineralölwirtschaft gelungen ist, steht außer Frage. Denn die bundesweite Einführung des Kraftstoffs E 10 sorgte im vergangenen Jahr für viel Verwirrung und Ärger. E 10 bedeutet, dass dem konventionellen Ottokraftstoff zehn Prozent Ethanol beigemischt werden.
Wer jetzt denkt, Nicolaus August Otto würde bei dieser Vorstellung im Grab für Umdrehungen sorgen, der irrt gewaltig. Denn der Erfinder des Ottomotors verwendete bereits in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts Äthylalkohol, also sogenannten Kartoffelsprit, als Kraftstoff in den Prototypen des nach ihm benannten Verbrennungsmotors. Und auch der Automobilhersteller Henry Ford konzipierte sein berühmtes und fast 20 Jahre lang gebautes Modell T auf der Grundlage, dass Agrar alkohol der Treibstoff der Zukunft sei. Möglicherweise ist er das auch. Doch der Weg, den Deutschland in diese Zukunft eingeschlagen hat, war holprig wie der Lauf eines Motors mit Zünd aussetzern.
Von Anfang an wurde die Einführung des E 10-Kraftstoffs von der Sorge begleitet, der Sprit könne dem Motor schaden - eine Sorge, die sich bislang noch nicht bestätigt hat. "Seit mehr als einem Jahr fahren drei Millionen Fahrzeuge regelmäßig mit E 10 auf unseren Straßen, und es sind seitdem keinerlei Motorschäden aufgrund der Nutzung des Biokraftstoffs bekannt geworden", sagt Klaus Bräunig, Geschäftsführer des Verbands der Automobilindustrie (VDA). Jeder Autofahrer habe die Möglichkeit, sich rasch und umfassend darüber zu informieren, ob sein Fahrzeug mit E 10 getankt werden könne, fügt er hinzu. Dass sich ein Großteil der Autofahrer für eine andere, teurere Kraftstoffsorte entscheide, liege also nicht an mangelnder Information über die Verträglichkeit, meint der VDA-Chef, sondern eher daran, dass viele Kunden offenbar erhebliche Zweifel an dem ökologischen Nutzen von E 10 hätten.
Schäden an Fahrzeug motoren, die sich auf die Verwendung von E 10 zurückführen lassen, sind auch den großen Automobilclubs nicht bekannt. "Was im Umkehrschluss aber nicht heißt, dass es keine gibt", wie Dirk Vincken, Pressesprecher des AvD (Automobilclub von Deutschland) erklärt. Ein malige "Fehlbetankungen" würden auch bei nicht ge eigneten Fahrzeugen meist ohne Folgen bleiben. Erst der dauerhafte Einsatz von E 10 führe bei diesen Fahrzeugen dann mit Sicherheit zu Schäden an Motor oder Kraftstoffsystemen.
"Fest steht: Rund zehn Prozent der Autos vertragen den Kraftstoff nicht", sagt Vincken. Hinzu komme, dass Kraftstoffe im Ausland oft eine andere chemische Zusammensetzung hätten als in Deutschland. Deutsches E 10 entspreche zwar der europäischen Norm, doch gelte die damit verbundene Gewähr nur in der Bundesrepublik. "Deshalb können sich die Autofahrer im Ausland auch nicht auf die von den Fahrzeugherstellern gemachten Zusagen zur E 10-Verträglichkeit verlassen", erklärt der AvD-Sprecher. Er rät dazu, im Ausland eher konventionelles Benzin zu tanken: "Die momentane Situation der inhomogenen Verteilung und Qualitäts frage in Europa lässt aus unserer Sicht keine anderen Empfehlungen zu als die der Zurückhaltung bei Auslandsaufenthalten."
Luxemburg plant kein E 10
Wie inhomogen diese Verteilung ist, merken Autofahrer schon beim Besuch des Tankparadieses Luxemburg, wo der dortige Automobilclub ACL schon seit längerem vor französischem Biosprit warnt. Im Großherzogtum sucht man E 10 bislang noch vergebens. Und in absehbarer Zeit wird sich daran auch nichts ändern. "Es gibt momentan keine produktspezifische Planung in diese Richtung", erklärt ein Sprecher des luxemburgischen Wirtschaftsministeriums auf Anfrage, dafür aber eine Vorgabe, dass alle Kraftstoffe einen Bioanteil von mindestens zwei Prozent haben müssen. Wie das Großherzogtum die von den EU vorgegebene Quote, wonach bis 2020 der Anteil der erneuerbaren Energien im Verkehr bei zehn Prozent liegen müssen, nun konkret erreichen will, dazu gibt es seitens des Ministeriums keine Angabe. Möglich wäre aber auch ein höherer Anteil an Elektromobilität. Denn der Weg zum Ziel ist den Ländern weitgehend selbst überlassen.
"Die Mineralölunternehmen hatten mit der Einführung im Februar 2011 damit gerechnet, dass Super E 10 die neue große Kraftstoffsorte für Benziner wird", sagt Karin Retzlaff vom deutschen Mineralölwirtschaftsverband (MWV). Tatsächlich aber weise die Absatz entwicklung nur einen sehr langsamen Anstieg aus. So lag der E 10-Anteil am gesamten Absatz der Benzinkraftstoffe im ersten Monat bei acht Prozent. Im April 2012 waren es 13,8 Prozent. Von den 90 Prozent, die Mineralöl- und Autoindustrie sowie Politik angepeilt hatten, ist Deutschland also noch ein gutes Stück entfernt. "Wir müssen die Nutzung von E 10 vorantreiben. Und dazu muss es endlich gelingen, das Vertrauen der Verbraucher zu erhalten", forderte deshalb auch kürzlich der ADAC-Präsident Peter Meyer. Auch ihm sei kein Fall eines technischen Schadens durch E 10 bekannt, erklärte Meyer.
Doch kann es ohnehin nicht nur die Furcht vor einem Motorschaden sein, die Autofahrer an der Tanke davon abhält, zur E 10-Zapf pistole zu greifen. Schließlich gibt es für rund 90 Prozent der Fahrzeuge, die auf deutschen Straßen unterwegs sind, Unbedenklichkeitsbescheinigungen der Hersteller. Und ein kurzer Blick ins Internet reicht aus um zu erfahren, ob das eigene Auto E 10-tauglich ist oder nicht. In diesem Punkt kann also jeder Fahrzeughalter für klare Verhältnisse sorgen.
In einem anderen Punkt allerdings nicht. "Viele Menschen sind nicht mehr bereit, durch den hohen Bio-Ethanol-Anteil von zehn Prozent indirekt mit dafür Verantwortung zu tragen, dass weltweit landwirtschaftliche Großflächen für die Herstellung solcher Spritsorten ,missbraucht' werden müssen und der Ernährung von Menschen nicht mehr zur Verfügung stehen", sagt AvD-Sprecher Vincken. "Das Schreckgespenst von den riesigen Brandrodungen in Indonesien sitzt noch heute tief im Bewusstsein der aufgeklärten Autofahrer", fügt er hinzu und verweist auf die äußerst umstrittene Herstellung von E 10.
So wird Bio-Ethanol in Deutschland fast ausschließlich aus Getreide - vor allem Weizen - und Zuckerrüben produziert. Etwa zwei Prozent der gesamten Acker fläche werden dafür genutzt. Doch allein im vergangenen Jahr, in dem der Absatz von E 10 bis zu 80 Prozent unter den Erwartungen lag, musste zur Deckung des Ethanolbedarfs zusätzlich rund die Hälfte an Rohstoffen importiert werden. Sollte sich E 10 in Deutschland also wirklich etablieren, dann wäre der Beitrag, den deutsche Landwirte dazu leisten, schon bald im einstelligen Prozentbereich.
Deutschland verlagert also die Abhängigkeit vom Erdöl- auf den Agrarsektor und unterstützt damit ungewollt eine Entwicklung, die Hilfs organisationen wie Brot für die Welt als sehr bedenklich einstufen. "Wie ein Flächenbrand dehnen sich Mono kulturen in Afrika, Asien und Lateinamerika aus und verhindern notwendige Agrarreformen, vertreiben bäuerliche Familien und rauben Indigenen die Lebensgrundlage", kritisiert das Hilfswerk. Statt weiter über Wege zur Erfüllung politisch festgesetzter Beimischungsquoten zu diskutieren, solle eher darüber nachgedacht werden, wie der immense und wachsende Energiehunger der Indus trieländer im Norden gestillt werden könne.
Für E 10-Skeptiker, zu der mit Blick auf die Statistik ja anscheinend noch die Mehrheit der Ottomotornormalverbraucher gehört, gibt es also genügend Gründe, den Biokraftstoff zu meiden. Dass E 10 trotz der berechtigten Kritik unterm Strich dazu beitragen kann, den Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxid erheblich zu reduzieren, wird vielfach ausgeblendet.
Uwe Hentschel
Fahrzeugliste im Internet unter
www.dat.de/e10liste /e10vertraeglichkeit.pdf
Meinung
E 10 sollte kein Ladenhüter bleiben
Von Rainer Nahrendorf Mehr als ein Jahr nach seiner cha8otischen Einführung ist der Biokraftstoff E.10 mit 13 Prozent Marktanteil am gesamten Kraftstoffabsatz immer noch ein Ladenhüter. Die in aller Regel unbegründete Sorge der Autofahrer um die Verträglichkeit des Kraftstoffs für den Motor, die geringe Kostenersparnis, der etwas höhere Verbrauch, die Teller-statt-Tank-Diskussion, die Zweifel an der positiven Ökobilanz, lassen die meisten Autofahrer immer noch zögern, E.10 zu tanken.
Nach dem Kommunikationsdesaster bei der Einführung und auflagensteigernder Skandalisierungsversuche vieler Medien ist es höchste Zeit, die Diskussion zu versachlichen und der Kritik von Greenpeace und des BUND mit Argumenten entgegenzutreten, die der Frankfurter Biosprit-Experte Eckhard Boles, das Bundesumweltministerium und der ADAC nennen. Für das Tanken von Super E.10 statt Super E.5, das Tankstellen weiterhin anbieten müssen, sprechen:1. Das in Deutschland verwendete Bioethanol verringert den Ausstoß des Klimakiller-Gases CO2 merklich. Die Biokraftstoffnachhaltigkeitsverordnung gewährleistet, dass Biokraftstoff umweltverträglich ist, dass er unter Einbeziehung der Herstellungs- und Lieferkette im Vergleich zu fossilen Kraftstoffen mindestens 35 Prozent an Treibhausgasen einspart. Die für seine Erzeugung in Europa genutzten Pflanzen, vor allem Getreide, Zuckerrüben und zehn Prozent Zuckerrohr, wachsen auf überschüssigen %Agrarflächen. Es gibt kaum Importe aus Übersee, es werden keine Regenwälder gerodet, die Artenvielfalt wird nicht bedroht. Der Vorrang der Ernährungspflanzenproduktion vor dem Energiepflanzen8anbau ist gewährleistet.2. Über 90 Prozent aller benzingetriebenen PKW können problemlos E.10 tanken. Die E.10-Verträglichkeit älterer Fahrzeuge kann leicht bei den Herstellern erfragt oder anhand der offiziellen Liste überprüft werden. Schäden bei Wechselbetankung von Super E 5 und Super E 10 sind nicht bekannt, die PKW-Wartungsintervalle verändern sich nicht.3. Bioethanol verringert die Abhängigkeit vom Öl, das vor allem aus dem unruhigen Nahen Osten stammt, und schont die begrenzten Erdölreserven.4. Die Produktion von Bioethanol schafft Arbeitsplätze in Deutschland und nützt den Bauern.5. Selbst bei einem Mehrverbrauch von zwei Prozent lohnt sich das Tanken von E.10 finanziell.
Das Tanken von E.10 und das Einführen eines Tempolimits, wie es dies in den meisten europäischen Ländern gibt, sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden. Wenn die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h auf Autobahnen eingehalten wird, senkt dies CO2-Ausstoß und Unfallzahlen. Wer umweltbewusst ist, rast nicht, holt die Brötchen mit dem Fahrrad oder E-Bike. Er nutzt für Fernstrecken den Zug und steigt, sobald es erschwinglich wird, für Kurzstrecken auf das abgasfreie Elektroauto um. Der Absatz von E-Autos verläuft schleppend, doch das könnte sich noch im Lauf dieses Jahres ändern, wenn der Elektro-Smart auf den Markt kommt. Die rollende Einkaufstasche reicht für die Fahrt zur Arbeit, in den Supermarkt und zum Arzt, schont die Umwelt und den Geldbeutel. Elektromobil mit grünem Strom - alles Science Fiction? Die Zukunft der Elektromobilität ist näher als wir ahnen.
Der Autor ist ehemaliger Chefredakteur der Handelsblattes. EXTRA
Der Anteil von E 10 am Benzinabsatz in Deutschland (Werte in Prozent) 2011 Februar 8,0 März 10,2 April 9,2 Mai 9,3 Juni 9,3 Juli 10,0 August 9,5 September 10,2 Oktober 10,8 November 11,6 Dezember 12,4 2012 Januar 11,9 Februar 14,3 März 12,9 April 13,8 (Quelle: deutscher Mineralölwirtschaftsverband)