Ein Abschied mit Wehmut - Am 1. Juli kommt das Ende für den Bergbau im Saarland

Kein Industriezweig hat das Saarland so sehr geprägt wie der Kohlebergbau. 250 Jahre lang stand der Kumpel, wie der Bergmann genannt wird, wie kaum ein anderer für die Identität des Gebiets. Am 30. Juni wird dieses Kapitel der Geschichte im Saarland wohl für immer geschlossen.

In 1275 Metern Tiefe scheint alles noch so zu sein wie früher. "Glück auf", schallt es an jeder Ecke am Nordschacht bei Lebach, der letzten saarländischen Grube, die noch Kohle fördert. Vom traditionellen Bergmannsgruß geht man auch kurz vor dem Ende nicht ab. Die Bergleute sehen aus wie immer: Die Gesichter oft verkniffen und schwarz vom Kohlestaub, die Kleidung genauso. Bei knapp 30 Grad Umgebungstemperatur interessiert es sie nicht, dass an der Oberfläche Minusgrade herrschen. Sie arbeiten weiter, holen mit einem modernen Hobel die letzte Kohle aus der Tiefe.Am 30. Juni wird zum letzten Mal im Saarland Steinkohle abgebaut. Es ist das Ende einer Ära, deren Ursprünge bis ins 7. Jahrhundert vor Christus reichen, in die Zeit der keltischen Be8siedelung - eine Ära, in der Zigtausende von Menschen für und mit der Kohle gelebt haben.Bergleute sind stolzauf das, was sie tunEinige, die es noch heute tun, können das Ende nur schwer begreifen. "Für unsere Kinder sehe ich keine Perspektive", sagt beispielsweise Wolfgang Nauerz. Der 48-Jährige ist Bergmann, seit er 16 Jahre alt wurde. Für ihn gab es nie etwas anderes. Wie bei vielen Bergleuten schwingt dieser Tage in jedem Satz eine gewisse Wehmut mit. Sie sind Traditionalisten und stolz auf das, was sie tun. Sie trauern, dass ihnen das genommen wird, schimpfen noch heute auf den ehemaligen Ministerpräsidenten Peter Müller und bezeichnen ihn als "Totengräber des Bergbaus". Auch Nauerz sagt diesen Satz, auch er glaubt, dass der Ausstieg nicht notwendig sei. Zumindest noch nicht. Ursprünglich war im Steinkohlefinanzierungs8gesetz von 2007 der deutschlandweite Ausstieg aus der subventionierten Steinkohleförderung bis 2018 festgeschrieben worden. Im Saarland kam es anders: Nach einem schweren Grubenbeben der Stärke 4,0 bei Saarwellingen am 23. Februar 2008 - ausgelöst durch den Abbau unter der mit geologischen Besonderheiten behafteten Primsmulde - geriet die saarländische Landesregierung unter starken Druck. Sie verfügte einen sofortigen Abbaustopp. Schließlich einigte sich die Regierung mit dem Betreiber, der Essener RAG (ehemals Ruhrkohle AG), auf einen sozialverträglichen Auslaufbergbau. Stufenweise wurden die Fördermengen herabgesetzt und die Zahl der Beschäftigten gesenkt.Zum 31. Dezember 2011 lag die Jahresfördermenge noch bei 1,4 Millionen Tonnen, und 1329 Bergleute waren im Einsatz. Zum Vergleich: 1957 lag die Förderung noch bei 16,3 Millionen Tonnen, und fast 65.000 Menschen waren im Bergbau beschäftigt, der damals in 18 Bergwerken betrieben wurde.Seit etwa 1750 konnte im Saargebiet von einem planmäßigen Abbau der Kohle gesprochen werden. Damals kaufte Fürst Wilhelm-Heinrich von Nassau-Saarbrücken sämtliche Gruben auf, und private Kohlegewinnung war fortan unter Strafe gestellt. Bis 1790 arbeiteten bereits etwa 270 Bergleute an den staatlichen Gruben, die rund 50.000 Tonnen förderten. Als drei Jahre darauf das linke Rheinufer von den Franzosen erobert wurde, bewirkte dies einen wirtschaftlichen Aufschwung: Napoleon benötigte für seine Kriege viel militärisches Material, die Eisenhütten waren stark ausgelastet. Nach dem Sturz Napoleons 1815 wurden die Saargruben größtenteils unter Preußen und Bayern aufgeteilt.Der Aufschwung der Eisen- und Stahlindustrie im Zuge der Industrialisierung bescherte auch der Steinkohlewirtschaft an der Saar einen kaum geahnten Boom. Alle Industrien, die in ihren Öfen mit hohen Temperaturen arbeiteten, waren auf Kohle oder Koks angewiesen. Erste Kokereien wurden unter anderem in Dudweiler und Neunkirchen gebaut. Auch die Glasindustrie lebte größtenteils von der Kohle, da Glasöfen besser und günstiger mit Koks anstelle von Holzkohle befeuert werden konnten. Das galt auch für die Keramikindustrie: Der Aufschwung der Firma Villeroy & Boch wäre ohne die Saarkohle nicht denkbar gewesen.Der deutsch-französische Krieg 1870/71 brachte wieder einen Sprung: Der Bedarf an Arbeitern wurde so groß, dass aus den angrenzenden Regionen angeworben wurde und das Saargebiet einen starken Bevölkerungszuwachs vermeldete. 1913 förderten knapp 57.000 Bergleute etwa 14 Millionen Tonnen Kohle.Der Erste Weltkrieg bedeutete eine Zäsur. Der Versailler Friedensvertrag von 1919 übertrug Frankreich das Eigentum an den Saargruben für genau 15 Jahre. Bis 1929 stieg die Kohleförderung wieder auf etwa 13 Millionen Tonnen, doch die Weltwirtschaftskrise machte auch vor dem Saargebiet nicht halt: Bis 1934 verloren knapp 30.000 Kumpel ihre Arbeit. Eine Belegschaftszählung aus dem Jahr 1925 ergab derweil, dass insgesamt über 210.000 Menschen ihren Lebensunterhalt direkt aus dem Saarbergbau bezogen.Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm eine französische Militärregierung die Verwaltung des Saarlands. Da es vor allem darum ging, Kriegsschäden zu ersetzen, legte die Besatzungsmacht großen Wert darauf, die Bergwerke so schnell wie möglich wieder aufzubauen. Bereits 1948 wurden etwa 85 Prozent der Vorkriegsleistung erreicht.Letzte kurze Blütein den 1950er JahrenDoch eine Wirtschafts- und Währungsunion, auf die es Frankreich abgesehen hatte, wollte die Bevölkerung nicht: Sie lehnte 1955 das sogenannte Saarstatut ab, das aus dem Saargebiet einen europäischen Staat gemacht hätte, dessen Wirtschaft unter französischer Kontrolle geblieben wäre. Daraufhin wurde das Saarland am %1. Januar 1957 an Deutschland angeschlossen. Die Saargruben verwaltete fortan die neu gegründete Saarbergwerke AG, die zu 74 Prozent in Staatsbesitz war.Kurzzeitig erlebte die Steinkohle noch einmal eine Blüte und eine Spitzenförderung von 17 Millionen Tonnen im Jahr, danach ging es langsam bergab. In der folgenden Kohlekrise verschlechterte sich die Absatzlage für die deutsche Steinkohle zusehends. Ölheizungen lösten Kohleöfen ab. In den neuen Kohlekraftwerken wurde mehr und mehr Importkohle zur Strom8erzeugung genutzt. Diese ließ sich meist günstiger - da oberflächennäher - abbauen als die saarländische Kohle, die meist aus großer Tiefe geholt werden musste.Der Abbau der Saarkohle wurde nach und nach zum Verlustgeschäft. Innerhalb weniger Jahre fiel die Zahl der Beschäftigten von 65.000 auf knapp 30.000 im Jahr 1968.In dieser Zeit gab es auch das schwerste Gruben8unglück in der Geschichte des Saarbergbaus: Am 7. Fe8bruar 1962 ereignete sich in der Grube Luisenthal eine verheerende Schlagwetterexplosion, bei der 299 Bergleute starben. Grubengas war, nachdem es sich mit Luft gemischt hatte, explodiert. Das wirbelte Kohlenstaub auf, der sich dann ebenfalls entzündete. Noch heute wird am Jahrestag der Explosion der Ver8unglück8ten gedacht.Subventionen vom Staathalten Gruben am LebenDie Stahlkrise verstärkte auch die Krise der Steinkohle, weil weit weniger Koks benötigt wurde. So musste der Bergbau schließlich staatlich subventioniert werden. Auf den deutschen Kohlehalden türmten sich 1983 mehr als 34 Millionen Tonnen. Immer mehr Bergwerke schlossen oder wurden zusammengelegt, bis 1992 mit den Gruben Warndt/Luisenthal, Göttelborn/Reden und Ensdorf nur noch drei von ehemals 18 nach dem Zweiten Weltkrieg übrig waren. Vor zwölf Jahren wurden Göttelborn/Reden geschlossen und die beiden anderen zum Bergwerk Saar zusammengefasst. Zu dieser Zeit betrug die Förderung gerade noch 3,6 Millionen Tonnen bei 5600 Beschäftigten.Zum Zeitpunkt des Ausstiegs aus der Steinkohle galt es, für etwa 4800 Beschäftigte neue Perspektiven zu schaffen. Ein Teil davon arbeitet mittlerweile in der Automobil- oder Stahlindustrie. Insgesamt 1700 nehmen eine Versetzung in eine Grube im Ruhrgebiet oder nach Ibbenbüren bei Osnabrück hin. Die ersten 175 wurden 2010 dorthin geschickt, weitere 1260 werden es bis Ende 2012 sein. Etwa 600 Mitarbeiter bleiben noch bis Mitte 2013 im Saarland und übernehmen die Nacharbeiten in den Gruben. Unter anderem demontieren sie Förderbänder unter Tage und befreien das Bergwerksgelände von wassergefährdenden Stoffen. Dann werden die Schächte mit Beton aufgefüllt und verschlossen.Wenn damit das Kapitel Bergbau im Saarland geschlossen wird, wird ein großes Stück Identität und Kultur verloren gehen. Doch vergessen wird der Bergmann, der für die Lebensart ganzer Generationen im Saarland steht, nicht. Extra

Steinkohle dient überwiegend als Brennstoff. Bei der Stromproduktion wird meist mit Hilfe der Wärme Wasserdampf erzeugt, der dann Turbinen antreibt. Ein Teil der Kohle wird auch zu Koks weiterverarbeitet, der einen höheren Brennwert hat. Er beheizt vor allem Hochöfen zur Eisengewinnung.Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts war zudem der bei der Verkokung entstehende Steinkohlenteer Hauptrohstoff für die chemische Industrie. Kleines Bergbau-Lexikon

Kumpel: Bezeichnung für den Bergmann, insbesondere im Ruhrgebiet.Flöz: Eine im Sediment entstandene Lagerstätte eines Rohstoffs. Sie verläuft parallel zur Gesteinsschicht. Flöze können bis zu drei Meter dick werden, Kohleflöze werden ab etwa 60 Zentimetern abgebaut.Strecke: Grubenbau mit geringer Neigung und fast gleichbleibendem Querschnitt, der in einen Schacht mündet. Vor allem für Förderung und Transport der Kohle sowie Wetterführung.Wetter: Alle im Grubenbau eines Bergwerks befindlichen Gase, inklusive Luft.Alter Mann: Bezeichnung für ausgediente Abbauflächen. Diese Hohlräume stürzen meist ein oder werden aufgefüllt. Sie können an der Oberfläche zu Bodensenkungen führen. Museen

Im saarländischen Bergbaumuseum in Bexbach, 1934 gegründet und seitdem ständig erweitert und weiterentwickelt, sind Originalexponate aus dem Zeitraum zwischen dem 15. Jahrhundert und den 1980er Jahren zu sehen. Dort lässt sich ein genauer Einblick in die Geschichte des saarländischen Bergbaus gewinnen. Es ist in der Wintersaison wochentags von 9-16 Uhr, am Wochenende von 13 bis 17 Uhr geöffnet. Vom 1. März bis 30. September wochentags von 9-17 Uhr, am Wochenende von 10-18 Uhr.www.bergbauerbesaar.dewww.saarl-bergbaumuseum-bexbach.de

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