"Es gibt keine Überschwemmung ohne Wasser"

Die Politik wirkt überwiegend hilflos angesichts der Schuldenkrisen in der Eurozone und in den USA, die Bürger sind es erst recht. Macher, Menschen + Märkte sprach mit dem Volkswirt Adalbert Winkler über Rettungsschirme, die Auswirkungen auf die Realwirtschaft und das gestörte Vertrauen in das Wirtschaftssystem.

Sind die über den Globus verteilten Finanzkrisen unausweichlich angesichts der Normalität des Schuldenmachens und des Zinssystems?

Winkler: Es gibt keine Überschwemmung ohne Wasser. Dennoch würde niemand das Wasser ab schaffen. Schulden und Kredite sind zwar eine notwendige Voraussetzung für Finanzkrisen, aber daraus folgt nicht um gekehrt, dass Krisen eine zwingende Konse quenz einer auf Kredit basiere nden Volkswirtschaft sind. Dies gilt auch für Kredite an den Staat. Die Staats ver schu ldung in entwickel ten Industriegesellschaften folgt prinzipiell den be kannten Mustern, die sich seit dem zweiten Weltkrieg herausgebildet haben: Schuldenanstieg in der Rezession, Schulden rück gang im Aufschwung. Dies gilt auch für die Eurozone als Ganzes, die im Ver gleich zu anderen Indus trie ländern, was Schulden stand und Neu ver schul dung betrifft, sogar ver gleichs weise gut dasteht.

Was ist dann das Besondere der aktuellen Krise der Eurozone?

Winkler: Wie in jeder Finanzkrise sind es Zweifel der Gläubiger an der Sol venz, also der wirtschaft lichen Leistungs fähigkeit der Schuldner. Diese Zweifel werden jedoch nicht von konkreten Summen oder beim Über schreiten bestimmter Grenzwerte ausgelöst. So haben Spanien und Groß britannien vergleich bare Schulden lasten, aber nur in Spanien beobachten wir eine Krise auf den staat lichen Anleihemärkten. Viel hängt eben von den Um ständen und deren Be wertung ab. Und hier leidet die Eurozone darunter, über keine einheitliche Finanz politik zu verfügen, die ge meinsam Bedenken gegen über der Solvenz einzelner Euro-Staaten zerstreuen könnte.

Welche Veränderungen im System sind notwendig, um die Schuldenkrise zu meistern?

Winkler: Wünschenswert wäre eine deutlich besser abgestimmte, gemeinsame Wirtschaftspolitik der Euro zone. Wir müssen begreifen, dass wir eine gemeinsame Währung haben und damit in einem Boot sitzen. Deshalb halte ich es für richtig, Ent scheidungen über die Neuverschuldung der einzel nen Mitgliedsstaaten zu zentralisieren und dann gemeinsame Euroanleihen zu begeben. Dass Griechen land praktisch über ein Jahrzehnt Defizite fahren konnte, die weitaus höher lagen, als jene, die das Land nach Brüssel meldete, wurde ja auch dadurch möglich, dass die Finan zierung dezentral erfolgte.

Und worin liegt unsere eigene Mitbeteiligung an der Entstehung des Problems?

Winkler: Wir in Deutsch land müssen uns stärker darüber bewusst sein, dass unsere Überschüsse im Handel mit den anderen Eurozonen-Staaten das Gegenstück zu den Defi ziten sind, die wir in diesen Ländern beklagen. In einer hoch integrierten Welt wirtschaft gibt es wechsel seitige Abhängig keiten. Nehmen Sie das Beispiel USA und China. Das von Exportüberschüssen ge triebene Wachstum in China wäre ohne das US- Leistungsbilanzdefizit, also die Verschuldung in den USA, in diesem Ausmaß nicht möglich gewesen. Wir in der Eurozone müssen diesen Wechselwirkungen sogar noch stärkere Auf merksamkeit schenken, weil innerhalb der Euro zone den Defizit ländern das An pas sungs instrument Wäh rungs abwertung nicht mehr zur Verfügung steht.

Können wir denn wenigstens hoffen, dass die Staats schuldenkrise nicht auf die Realwirtschaft übergreift?

Winkler: Nein, das können wir nicht. Eine Staatspleite wäre eine echte Katas tro phe für die Realwirtschaft. Denn nach wie vor sind die Bedingungen, zu denen Staaten Kredit erhalten, die zentrale Bestimmungsgröße für Kredite an Unter nehmen. Beides kann man nicht voneinander ab koppeln. Deshalb bleibt die Politik aufgefordert, Staats pleiten zu verhindern. Bei einem Crash wäre auch der Konsum stark betroffen, weil ein erheblicher Teil privaten Vermögens direkt oder indirekt in Form von Staatsanleihen angelegt ist. Aber es gibt auch keinen Grund zur Panik, weil die Probleme auf den europäischen Märkten für Staatsschuldtitel mit den richtigen Instrumenten durchaus zu lösen sind.

Welche Instrumente sind das? Reicht der Rettungs schirm?

Winkler: Der Rettungs schirm ist sinnvoll, weil er die Refinanzierung der Krisenländer zu einem angemessenen Zinssatz ermöglicht. Mittel- und langfristig wird er aber nicht ausreichen, wenn die betroffenen Länder nicht schnell wieder Wirtschafts wachstum erzielen können. Um es am Beispiel Grie chen lands zu verdeutlichen: Solange die griechische Wirtschaft schrumpft, bringen niedrige Zinsen zwar eine Entlastung, sie sichern aber nicht die lang fristige Zahlungs fähigkeit des Landes. Und da die Zweifel an der Sol venz mittlerweile auch große Eurostaaten erreicht haben, gerät das Instrument Ret tungsschirm volumen mäßig an seine Grenzen. Daher plädiere ich in der jetzigen Situation für die Ein führung von Eurobonds (siehe Extra), weil sie den Anlegern klar signalisieren, dass die Gemeinschaft der Euro-Staaten den Konkurs eines einzelnen Staates auf keinen Fall zulassen wird.

Welche Stellschrauben gibt es überhaupt, um unsere Volkswirtschaft stabiler zu machen?

Winkler: Die Grund voraussetzung für mehr Stabilität ist es, im Boom nicht alles nur rosig und in der Krise nicht alles nur negativ zu sehen. Wir müssen wieder mehr über Zyklen hinweg denken. Derzeit laufen wir Gefahr, in der Krise zu hart, zu restriktiv zu sein. Umge kehrt wird die Nachfrage im Aufschwung oft durch Steuergeschenke oder zusätzliche Ausgaben weiter angeheizt. Auch dafür sind die Krisenländer, in den Jahren vor 2008, ein Bei spiel. Der Staat muss in seinen ökonomischen Aktivitäten also das Gegen teil der oft zitierten schwäbischen Hausfrau sein. Er muss in guten Zeiten sparen, um in schlech ten Zeiten prob lemlos Gas zu geben.

Reichen Regulierungen noch aus? Die Krise führt längst zu sozialen Verwerfungen und Protesten, die ihrerseits die Lösung nicht einfacher machen.

Winkler: Das ist richtig, aber das ist ein Argument, das eher für als gegen eine kraftvolle Krisen bekämp fung spolitik spricht. Denn je tiefer die Krise, desto größer werden die Ver teilungs konflikte, weil der Kuchen, den es zu ver teilen gibt, schrumpft. Diese Verteilungskonflikte muss die Politik angehen, unter anderem dafür wählen wir unsere Abge ordnete. Öko nomen können da auch nur begrenzt Rat schläge geben, weil unsere Modelle Ver teilungs fragen in der Regel ausblenden.

Immer häufiger wird der Glaube an ein Wachstum, das den Kuchen größer macht, in einer "endlichen Welt" kritisiert. Wie stehen Sie als Volkswirt dazu?

Winkler: Ich sehe keine generellen Wachstums grenzen. Es wird auch künftig Produktivitäts steigerungen geben, die Wachstum ermöglichen. Und die Marktwirtschaft ist ein hervorragendes System, diese Möglichkeiten zu entdecken, auch und gerade vor dem Hintergrund gegebener Ressourcen probleme. Der Preis als Knappheitsindikator befeuert die Innovations fähigkeit, so dass neue Lösungen gefunden werden. Es sei daran erinnert, dass der Wachstumseinbruch von 2008/2009 nicht von einem Mangel an Ressour cen, sondern von einem Mangel an Vertrauen aus gelöst wurde. Wenn wir dieses Vertrauensdefizit überwinden, wird das markt wirtschaftliche System zum Wachstums pfad zurückfinden und damit auch zur Über win dung der Schuldenkrise beitragen.

Das Interview führte Angelika Koch

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