"Es ist naiv zu glauben, dass Ärzte sich kaufen lassen"

Pharmakonzerne entwickeln Medika mente, die dann in Studien von Ärzten getestet werden: Es geht einerseits um finanzielle Erfolge und andererseits um das Wohl der Patienten. Doch passen diese beiden Interessen stets zusammen? Immer wieder wird über die Verflechtung von Industrie und Ärzteschaft berichtet.

Niels Bergemann, der lange Zeit der Arzneimittelkom mission der Deutschen Ärzteschaft angehört hat, sprach mit unserer Mitarbeiterin Angelika Koch über das komplexe System.

Es hat einen strengen Geruch, wenn sich Ärzte von Pharma konzernen bezahlen lassen, etwa für Vorträge über bestimmte Medikamente, die frisch auf den Markt kommen. Ist unser Gesundheitssystem korrupt?

Bergemann: Da werfen Sie gleich viele Dinge durch einander. Aber das tun die Medien für ein bisschen Sen sation ja nicht eben un gern (lächelt). Im Ernst: Na türlich gibt es Kollegen, die ein Fehlverhalten an den Tag legen und nicht die notwendige Objektivität auf bringen. Nach meiner Ein schätzung sind das für unseren ganzen Berufs stand äußerst ärgerliche und bedauerliche Fälle, die sich damit keinen Gefallen tun, weil sie so ihre wissen schaftliche Reputation be schädigen. Es spricht sich herum, wenn sich jemand auffällig einseitig für be stimm te Medika mente oder Verfahren einsetzt. Und nur weil es sich her um spricht, werden auch die Medien auf diese schwarzen Schafe auf merk sam. Aber an den Pranger gehört das Gros der Mediziner sicher nicht.

Gut, dann erklären Sie bitte der sensationslüsternen Presse, wie die Ver bin dungen zwischen Industrie und Medizin vernünftiger weise gestaltet sind.

Bergemann: Zunächst einmal ist es vom Prinzip her eine sinnvolle Ver bindung - gerade im Sinne der Patienten. Denn die brauchen schließlich wirk same Medikamente mit mög lichst geringen Neben wirkungen. Ob ein Medi kament in dieser Hinsicht ideal ist oder eben nicht, erweist sich doch nicht nur im Labor eines Pharma unternehmens, sondern in der klinischen Prüfung. Also ist es ein Muss, dass sich die Pharmahersteller an die forschenden Ärzte wenden und bei ihnen Studien in Auftrag geben. Das bekommen die Firmen selbstverständlich nicht gratis. Ärzte an den Uni versitätskliniken sind sogar durch den Dienstherrn gehalten, Drittmittel etwa über die Honorare für diese Studien einzuwerben. Also schlicht Geld, damit For schung überhaupt statt finden kann. Klinische Studien sind auch ein Faktor für den Wissen schafts standort Deutsch land.

Mit anderen Worten: Die Verflechtungen sind unumgänglich?

Bergemann: Die Verflechtungen unterliegen vor allem klaren Regeln.

Die Verträge zwischen den Kliniken und der Industrie sind vollkommen trans parent, sie unterliegen nachprüfbaren ethischen Standards. In der Regel funktioniert das, so dass eine öffentliche Dis kri minierung der Koopera tionen zwischen Kliniken und Pharmaindustrie keinesfalls gerechtfertigt ist. Bei Fachkonferenzen, wo einzelne Ärzte über bestimmte Krankheits bilder, Diagnostik oder Wirkstoffe referieren und damit einen Beitrag zur Fortbildung ihrer Kollegen leisten, wird offengelegt, welche Sponsoren diese Honorare aufbringen. Insofern ist die Einfluss nahme seitens der Kon zerne, welche kritisiert wird, nichts Verstecktes, sondern allen Beteiligten in ihren Dimensionen bekannt.

Ist der Glaube an die Neu tralität von Medizinern also naiv?

Bergemann: Nein, über haupt nicht. Naiv ist es zu glauben, dass Ärzte so dumm wären, sich von ein zel nen Pharma herstellern "kaufen" zu lassen. Natür lich gibt es Verlockungen, gerade für medizinischen Nachwuchs - die Klinik träger finanzieren ihnen ja oft nicht einmal die Reise kosten zu Fort bildungs kongressen. Aber die forschenden Ärzte stellen Krankheitsbilder in den Mittelpunkt ihres Inter esses und untersuchen dann, welche neuen Medi kamente die effi zientesten und neben wirkungsärmsten sind. Insofern sind immer gleich mehrere Hersteller an einer Kooperation mit einem renommierten Wissen schaftler und Arzt interessiert. Das heißt, es bestehen keine Abhängig keiten zu Gunsten eines Präparates oder eines Herstellers, sondern es ergibt sich eine Objek tivität: Das beste Medi ka ment macht das Rennen, nicht Konzern XY.

Aber rein zufällig ist das beste Medikament auch ziemlich teuer und wird zum Kassenschlager für Konzern XY. Und wer sagt überhaupt, dass es ein lang bewährtes Medikament nicht genauso gut tut?

Bergemann: Auf die Preis gestaltung haben wir Ärzte doch gar keinen Einfluss. Da ist die Politik gefragt, da sind die Kassen gefragt. Ob die ihren Job immer gut erledigen, ist eine ganz andere Sache, daran kann man zweifeln. Ärzte haben nicht das geringste Inter esse an unnötig teuren Medikamenten. Im Gegen teil, das macht die Praxis budgets der im ambulanten Bereich tätigen Kollegen zu eng oder erhöht die Sach kosten in den Kliniken - Gelder, die für andere Zwecke dann nicht zur Verfügung stehen. Ihre zweite Frage zielt auf die Notwendigkeit von phar ma kologischer Forschung ab - es wäre absurd, diese Not wendigkeit zu igno rieren. Der Bedarf an neuem Wissen und neuen Arznei mitteln ist nach wie vor groß, ein Optimum ist längst nicht erreicht und noch immer ergeben sich wichtige neue Erkenntnisse. Denken Sie nur an die Möglichkeiten der zur Zeit entwickelten individuali sierten Medizin, die pass genau auf den Einzel nen abgestimmte Wirk stoffe zum Einsatz bringt, oder an die zunehmenden Anti biotikaresistenzen, die andere Medikamente er fordern. Die Patienten selbst wollen auch neue Präparate, die Kassen sind da allein aus Kosten gründen zurückhaltender.

Die grundlegenden Medikamente sind doch längst entwickelt. Wozu immer neue Produkte auf den Markt bringen, die nur geringfügig anders wirken?

Bergemann: Ich stimme Ihnen zu, dass das Potenzial in bestimmten Medizin bereichen als ausgereizt gilt, da ist weniger mehr und da fehlt es eher an der menschlichen Komponente als an der Machbarkeit. Aber was Sie geringfügig anders nennen, ist für den betroffenen Patienten etwa bei der Einnahme mancher Psychopharmaka der Unter schied, ob er mit Gewichts zunahme, Apathie, motori schen Störungen, Sucht gefahr, sexuellen Funk tions störungen und ähn lichem als Neben wirkung konfrontiert wird oder nicht. Die neuen Genera tionen von Anti depressiva folgen völlig anderen Wirk prinzipien im Gehirn als die Vorgänger, die jahrzehnte lang den Markt dominier ten. Sollen seelisch Kranke auf die zur Zeit best mögliche medikamentöse Versorgung verzichten, nur weil Pharmakonzerne Geld damit verdienen? Wenn Sie das in Frage stellen, stellen Sie nicht nur unser Wirt schafts-, sondern auch das Wertesystem in Frage. Das mag man mit Fug und Recht tun, nur hilft das nicht den Patienten. Aber dafür sind wir da.

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