Fünf vor zwölf auf der Stechuhr

Bitburg/Trier/Ludwigshafen · Es lässt sich darüber speku lieren, was zuerst da war: Arbeit oder Familie. Fakt ist, dass es immer schwierig war, beides unter einen Hut zu bekommen. Doch demo grafischer Wan del und drohender Fach kräfte mangel sorgen für ein Umdenken. Die Bitburger Braugruppe und das Modehaus Marx küm mern sich um die soge nannten Lebensphasen ihrer Mitarbeiter und beteiligen sich an einem Projekt.

Den Biorhythmus eines anderen in den richtigen Takt zu bekommen, ist nicht immer einfach. "Da müssen wir zum Teil gegen subjektives Empfinden ankämpfen", sagt Theo Scholtes. Für ihn ein sensibles Thema, "weil viele die enorme Belastung nicht wahrhaben wollen". Die Belastung, der Menschen ausgesetzt sind, die über Jahre, oft über Jahrzehnte hinweg im Schichtdienst arbeiten. Das geht an die Substanz.

Wann und wie ein Mensch schläft und wovon er sich in der Zeit dazwischen ernährt, sind für ihn ganz wichtige Komponenten. Müssen sie auch sein, schließlich ist Scholtes Personalchef der Bitburger Braugruppe, die allein am Standort Bitburg rund 1000 Mitarbeiter beschäftigt.

Im Schnitt ist jeder dieser Mitarbeiter 15 Jahre dabei. Scholtes hat bereits 18 Jahre hinter sich und in dieser Zeit schon vielen Mitarbeitern zu ihrem 25. oder 40. Dienstjubiläum gratuliert. "Die Fluktuationsquote liegt bei unter einem Prozent", sagt er nicht ganz ohne Stolz. Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Gesundheitsmanagement, Arbeitsorganisation oder aber Vorruhestand sind für ihn die Herausforderungen der Zukunft. Und dass sich die Bitburger Braugruppe diesen Herausforderungen bereits seit mehreren Jahren stellt, ist möglicherweise ein Grund für die geringe Abgangsrate. Dazu zählen beispiels weise die betriebsinterne Übergangsrente, die Einrichtung von Telearbeitsplätzen, regelmäßige Weiterbildungs- und Gesundheitsangebote oder aber flexible Arbeitszeitmodelle. So machten derzeit rund 400 Mitarbeiter, vor allem aus den Abteilungen Verwaltung und Vertrieb, von der angebotenen Vertrauensarbeitszeit Gebrauch, sagt Scholtes. Ein großer Freund von Stechuhren sei er noch nie gewesen. "Die Qualität des Arbeitens ist schließlich nicht allein von der Anwesenheit am Arbeitsplatz abhängig." Und in denen es vor allem auch auf den körperlichen Einsatz ankommt. Wie beispielsweise in der Produktion oder aber in der Verladehalle, wo deshalb auch versucht wird, die Belastung für den Körper so gering wie möglich zu halten. "Wir haben die Gabelstapler mit Rückfahrkameras ausgerüstet", erklärt der Personal leiter. Damit können die Staplerfahrer sehen, was hinter ihnen passiert, müssen sich also nicht jedes Mal umdrehen. Wer das am Tag mehrere Hundert Mal machen muss, weiß jede Optimierung zu schätzen. Vor allem, wenn er schon etwas älter ist.

66 von 70 Mitarbeitern sind Frauen



So laut und hektisch wie in der Verladehalle der Bitburger Brauerei geht es im Trierer Modehaus Marx nicht zu. Dort sind 70 Mitarbeiter beschäftigt - bis auf vier Ausnahmen alles Frauen. Geschäftsführerin Karin Kaltenkirchen kennt das Problem, mit dem vor allem die weiblichen Arbeitnehmer konfrontiert sind. "Frauen, die in Teilzeit arbeiten, sind oft zerissen: Sie haben ein schlechtes Gewissen gegenüber der Familie und gegenüber dem Arbeitgeber." Die Befürchtung, es weder dem einen noch dem anderen recht zu machen. Doch für Kaltenkirchen gibt es dazu keinen Grund. Zumindest nicht in ihrem Unternehmen. "Die Wochenarbeitszeiten werden im Lauf eines Arbeitsverhältnisses oft mehrfach geändert", sagt sie, und somit den jeweiligen Lebensphasen angepasst. Schwangerschaft, Familie, Krankheit oder Pflege von Angehörigen. Die angestrebte Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben stößt auf viele Herausforderungen. Und für jedes dieser "Probleme" gibt es eine Lösung, ist die Modehaus-Chefin überzeugt. Selbst wenn Personal der Führungsebene aus familiären Gründen kürzertreten will oder muss und nur noch Teilzeit arbeiten kann. "Egal wie groß ein Unternehmen ist: Es ist vieles machbar, wenn man nur will. Und die Mitarbeiter wissen das auch zu schätzen" , sagt sie. "Für junge Menschen gibt es heutzutage kein ,Entweder-oder' mehr, sie wollen beides zugleich realisieren: berufliche Karriere und Kinderwunsch. Unternehmen werden sich also darauf einstellen müssen, wenn sie nicht auf gut qualifizierte Männer und Frauen verzichten wollen", erklärt die Professorin Jutta Rump vom Institut für Beschäftigung und Employability (IBE) in Ludwigs hafen.

Für Konzerne und Kleinbetriebe wichtig



Das Institut betreut das Projekt "Strategie für die Zukunft - Lebensphasenorientierte Personalpolitik", das vom rheinland-pfälzischen Wirtschaftsministerium ins Leben gerufen wurde und an dem elf Unternehmen aus dem Land teil nehmen. Darunter sind große Konzerne wie BASF oder das Pharma-Unternehmen Boehringer, aber eben auch die Bitburger Braugruppe und das Modehaus Marx. In gemeinsamen Workshops, die von Mitarbeitern des IBE betreut werden, stellen sich die teilnehmenden Betriebe den arbeitsmarktpolitischen Herausforderungen. Dazu zählt beispielsweise die Steigerung der Arbeitsproduktivität, aber auch die Kunden- und Mitarbeiterbindung oder aber die Attraktivität als Arbeitgeber. Das Projekt zielt also auch darauf, Mitarbeiter so einzusetzen, wie es ihre individuelle Lebens situation erfordert.

"In einer Zeit der Vernetzung von Wirtschaftsräumen und Märkten wird das Überleben im Wettbewerb lediglich dadurch gesichert, sich immer schneller durch neue und verbesserte Produkte und Dienstleistungen auf veränderte Kundenwünsche einzustellen", erklärt Rump. "Wissen und Kompetenzen sind damit zum knappen und umkämpften Gut geworden." Für Firmen sei es deshalb wichtig, die immer knapper werdenden Fachkräfte an das Unternehmen zu binden und ihnen "über den gesamten Erwerbslebenszyklus Anreize und Möglichkeiten zu bieten, ihre Beschäftigungsfähigkeit und ihr Engagement aufrechtzuerhalten".

Nachwuchs ein Stück weit selbst sichern



Über einen Mangel an Engagement und Fach kräften können sich Modehaus-Chefin Kaltenkirchen und Brauerei-Personalleiter Scholtes bislang noch nicht beschweren. Das liegt auch daran, dass beide Unternehmen Ausbildungs betriebe sind und somit den personellen Nachwuchs ein Stück weit selbst sichern. Doch die mit allen arbeitsmarktpolitischen Flüchen beladene "Demografische Entwicklung" hat viele Gesichter. Und deshalb sind sowohl Scholtes als auch Kaltenkirchen davon überzeugt, dass die zunehmende Knappheit an Fachkräften auch für sie zum Problem werden könnte. Ein schwacher Trost ist da, dass sie mit dieser Befürchtung nicht allein sind.

Rump schätzt, dass sich mittlerweile fast alle Großunternehmen und mindestens auch die Hälfte der mittelständischen Betriebe mit lebensphasenorientierter Personalpolitik auseinandersetzen. So hat eine von ihrem Institut vor kurzem erstellte Studie mit 400 Unternehmen gezeigt, dass die Alterung der Be legschaften, die zunehmende Knappheit an Nachwuchskräften und Fachkräfte engpässe durchaus Themen sind, die viele Betriebe beschäftigen und bei denen sie Handlungs bedarf sehen.

Extra Im Umgang mit lebensphasenorientierter Personalpolitik gelten laut Institut für Beschäftigung und Employability die skandi navi schen Länder als Vorreiter. Dort würden schon seit Jahren be triebliche sowie infrastrukturelle Voraussetzungen ge schaf fen, um Männern und Frauen die Teilnahme am Er werbsleben zu ermöglichen und nicht gleichzeitig den Kinder wunsch zu be graben, erklärt Instituts leiterin Jutta Rump. So nutzten die se Länder das Potenzial gut aus gebildeter Frauen deutlich stär ker als dies bislang in Deutschland noch der Fall sei. "Was die Beschäftigungsquoten älterer Arbeitnehmer anbelangt, kön nen Dänemark, Finnland und die Niederlande seit den 90er Jahren als Vorreiter angesehen werden", sagt Rump. In Finn land sei die Beschäftigungsquote der 55- bis 64-Jährigen al lein von 1997 bis 2006 um 18,9 Prozent gesteigert worden (in Deutschland lediglich um 10,3 Prozent). "Darüber hinaus liegt die Akademikerquote durch eine entsprechende Aus rich tung der schulischen und beruflichen Ausbildung be zie hungs weise des Studiums in diesen Staaten deutlich über der deut schen, so dass auch hier Fachkräftepotenzial gezielt gefördert wird."Das Projekt Ziel des vom Land Rhein land-Pfalz getragenen und von der EU geförderten Modellprojekts "Strategie für die Zukunft - Lebens phasenorientierte Personal politik" ist es, ausgereifte und nicht zuletzt handlungs orientierte Kon zepte und Strategien für (vor allem mittelständische) Unter nehmen zu entwickeln. Im Rahmen eines Wett bewerbs wurden elf Modell betriebe ausgesucht, die zwei Jahre lang ihre Unter nehmens- und Personal politik auf den Prüf stand gestellt haben. Unter der Projektbegleitung von Ex perten des Ludwigs hafener Instituts für Beschäftigung und Employability IBE sollten die Firmen nach weisen, ob und wie sie - trotz Wirt schafts krise - der ange spann ten Konkurrenz um knap pe Fachkräfte durch attrak tive Arbeits bedin gungen begegnen und damit ihre Wettbewerbs fähigkeit am Standort Deutsch land festigen oder ausbauen können. Die Ergebnisse des Modell projekts werden am 3. Februar bei einem Sym posium in Ludwigs hafen präsen tiert. Größter Teilnehmer ist mit rund 32 600 Mitarbei tern das Chemie-Unter nehmen BASF aus Ludwigshafen. Lediglich 22 Angestellte hat hingegen die Sabath Media Design agentur (Kandel), die damit der kleinste Modell betrieb des Projekts ist. Aus der Region Trier haben sich die Bitburger Braugruppe und das Modehaus Marx für die Teilnahme qualifiziert. Infos zu einem noch lau fenden weiteren Projekt auf Seite 26

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