In der Glockengießerei: Die Formel für die richtigen Töne ist ein Familiengeheimnis

Brockscheid · Jeder Guss einer Glocke birgt ein Geheimnis. Dieses wird in der Eifeler Glockengießerei in Brockscheid (Landkreis Vulkaneifel) von Generation zu Generation weitergegeben. Doch nicht das Gießen der Glocken, sondern die Wartung in den Kirchen ist heute das Hauptgeschäft des Familienbetriebs Mark-Maas.

Ein satter, weicher Klang erfüllt die Werkstatt der Glockengießerei in Brockscheid. Der 20-jährige Juniorchef Julius Maas demonstriert den Besuchern ein fertiges Werk. Die Kupferglocke klingt angenehm, mehrere Tonlagen sind auch für ein nicht geschultes Ohr wahrnehmbar. Bei dieser Glocke stimmt alles. Sie hängt als Demonstrationsobjekt in der Werkstatt der Gießerei. Direkt darüber eine Stahlglocke, so wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg in vielen Kirchen gebräuchlich war. Auch diese Glocke lässt? Julius Maas anklingen. Hart, wenig differenziert sind ihre Töne. Der Unterschied zwischen Stahl- und Kupferglocke ist nicht nur zu hören, sondern durch die Schwingungen auch zu spüren.

Dass der Betrieb in Brockscheid genügend Aufträge hat, geht immer noch auf den vergangenen Weltkrieg zurück. Damals wurden viele Kupferglocken eingeschmolzen und zu Waffen weiterverarbeitet. Die Kirchen bekamen Stahlglocken, die nach dem Krieg dann allmählich durch Bronzeglocken ersetzt wurden, was einen Aufschwung für die Manufakturen brachte: Es entstanden neue Glockengießereien.

Doch mittlerweile ist das Geschäft wieder rückläufig. Nur wenige Betriebe haben sich gehalten. Meist Familienunternehmen wie auch die Firma in der Eifel. Hier werden wie vor fast 400 Jahren in alten Handwerkstechniken Glocken in Handarbeit gefertigt. Obwohl der Betrieb seine Arbeiten in ganz Deutschland und sogar bis nach Südamerika liefert, liegen die Haupteinnahmen heute bei der Wartung von Glocken und Glockenstühlen. Der hohe Preis für Bronze und der Arbeitsaufwand lassen die Gewinnspannen schrumpfen.
Seit 1620 gibt es den Familienbetrieb. 1840 hat sich das Unternehmen in Brockscheid niedergelassen. Nach wie vor sind es vor allem die Handarbeit und das nötige Wissen, die die Qualität einer Glocke ausmachen. Julius Maas erklärt, dass die Erzeugung der Glockentöne eine besondere Wissenschaft ist.

Ob jeder Ton stimmt, entscheiden die Berechnungen für die Schablone, die der Glocke die Form gibt. Und genau dort liegt das Geheimnis - ähnlich der Rezeptur von Coca-Cola. Dieses Wissen ist nirgendwo aufgeschrieben, es wird von Generation zu Generation weitergegeben. Zurzeit kennen nur Cornelia Mark-Maas und ihr Sohn Julius die Formel für die richtigen Töne. Das ist, wie Julius Maas bestätigt, in anderen Glockengießereien genauso. Jede Werkstatt arbeitet anders, aber allen gemeinsam ist das Überliefern der geheimen Formel an die nächste Generation.
In der Brockscheider Werkstatt werden nur etwa viermal im Jahr Glocken gegossen. Dennoch gibt es immer Arbeit. Auf Ziegelsteinen stehen die noch unfertigen Formen aus Lehm, die ? später die Gestalt der Glocke bestimmen sollen. Wie das funktioniert, zeigt Julius Maas, der in der siebten Generation in dem Familienbetrieb tätig ist, an kleineren Modellen. Erst wird mit Ziegelsteinen eine Glockenform gemauert, der sogenannte Ziegelkern.

Diesen verkleidet er mit Lehm. Eine aufgesetzte Holzschablone wird im Zentrum der Form fixiert und dann kreisförmig außen herum geführt. Nach etwa vier bis fünf Lehmschichten schließt eine Trennschicht aus Grafit diesen ersten Produktionsprozess ab.

Dann wird die sogenannte falsche Glocke ebenfalls mit Lehmschichten ?aufgebaut. Sie ist ein Platzhalter für die spätere richtige Glocke. Den Abschluss dieses Arbeitsgangs bildet eine Schicht aus flüssigem Rinderfett. Auf diese falsche Glocke kommen die Inschriften und Ornamente, die fast jede Glocke schmücken.
Wenn die falsche Glocke fertiggestellt und mit den Ornamenten versehen ist, folgt die letzte Schicht - der Glockenmantel, ebenfalls aus Lehm. Jetzt wird, so beschreibt es Maas, der Lehmaufbau bis zu zehn Stunden im Feuer gehärtet. Dabei schmelzen die Wachsornamente und hinterlassen im Glockenmantel Vertiefungen, also Negativabdrücke. Dann wird der Glockenmantel entfernt und nach dem Zerschlagen der falschen Glocke wieder aufgesetzt. Der nun verbleibende Raum wird später mit Bronze ausgegossen.

Das passiert in der großen Grube im Zentrum der Werkstatt. Gegossen wird aber nur etwa viermal im Jahr. Deshalb bleiben an diesem Morgen die drei großen Öfen neben der Grube kalt. Der älteste von ihnen steht schon seit 1840 in der Werkstatt und wird noch mit Holz beheizt. Er ist nur noch sehr selten im Einsatz. Maas erklärt, dass es zwei bis drei Tage dauert, bis er die richtige Temperatur von 1100 Grad hat, um das Metall zu schmelzen. Zum letzten Mal benutzt wurde dieser Ofen 1999 für die Josephsglocke im Kölner Dom. Diese durfte nur mit Hilfe eines Holzofens gegossen werden. Aber auch die anderen zwei Öfen, die mit Öl beheizt werden, brauchen zehn Stunden, um die nötige Hitze zu entwickeln.

Wenn der große Moment des Gießens gekommen ist, befinden sich rund zehn der Lehmformen in der Grube und werden mit Erde bedeckt. Oben an den Formen gibt es drei Öffnungen, die sogenannten Windpfeifen, durch die später das glühende Metall in die Form fließt. Ein großer Moment für alle Beteiligten.
Jetzt muss alles stimmen. Ob es wirklich gelungen ist, zeigt sich aber erst vier Wochen später. So lange kühlen die Glocken unter der Erde ab.
Erst dann werden sie das erste Mal erklingen.
GLOCKENGIEßEREIEN

Nur noch eine Handvoll Glockengießereien gibt es in Deutschland, gleich zwei davon im kleinen Ort Brockscheid bei Daun. Außer der Eifeler Glockengießerei produziert dort auch Hermann Schmitt. Weitere Betriebe befinden sich in Bochum, Karlsruhe, Ulm, Schwäbisch Hall, Lauchhammer (Brandenburg), Maria Laach bei Koblenz, Gescher (NRW), Passau und Sinn (Hessen). Letzterer wurde 1590 gegründet. Damit ist er der
älteste noch aktive Betrieb.
EIFELER GLOCKENGIEßEREI

 Noch sind die Glocken nicht fertig.

Noch sind die Glocken nicht fertig.

Foto: Klaus Kimmling
 Juniorchef Julius Maas am alten Holzofen und beim Prüfen des Klangs einer fertigen Glocke.

Juniorchef Julius Maas am alten Holzofen und beim Prüfen des Klangs einer fertigen Glocke.

Foto: Klaus Kimmling

Der Familienbetrieb Mark-Maas in Brockscheid beschäftigt 13 Mitarbeiter. Hergestellt werden neben Glocken auch Glockenstühle, die meist aus Eichenholz gefertigt sind. Eine Glocke von etwa einer Tonne Gewicht kostet zwischen 12?000 und 15?000 Euro. Zwei Drittel davon entfallen auf das Material, das zu 78 Prozent aus Bronze und 22 Prozent aus Zinn besteht. Glockengießer ist ein anerkannter Lehrberuf. Eine Berufsschule
dafür gibt es in Bayern.

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