In Sport und Beruf am Hammer

Er wusste, dass er als Hammerwerfer in den 1980er Jahren nicht reich werden konnte. Deswegen blieb der Konzer Karl-Hans Riehm bei seinen Leisten und übernahm 1990 die elterliche Schreinerei - ein Porträt.

 Bilder aus zwei Karrieren: Karl-Hans Riehm als Athlet (links) und heute in seiner Möbelschreinerei. Fotos: Horstmüller Pressebilderdienst, Björn Pazen

Bilder aus zwei Karrieren: Karl-Hans Riehm als Athlet (links) und heute in seiner Möbelschreinerei. Fotos: Horstmüller Pressebilderdienst, Björn Pazen

Konz. Mit der 7,25 Kilogramm schweren, an einem Metallseil befestigten Eisenkugel betritt er den Käfig. Drei schnelle Drehungen, im richtigen Moment loslassen - und dann nur noch der Flugbahn hinterher schauen. So kennen die meisten Menschen Karl-Hans Riehm, den erfolgreichsten deutschen Hammerwerfer, der 1975 (mit 78,50 Metern) und 1978 (als letzter Deutscher überhaupt, 80,32 Meter) zwei Weltrekorde aufstellte und 1984 im letzten Wettkampf seiner Karriere Olympia-Silber in Los Angeles gewann.

Den Hammer hat der Konzer auch heute noch gelegentlich in der Hand, allerdings jenen, mit dem er Holz bearbeitet. Denn nach dem Ende seiner äußerst erfolgreichen Karriere fand Riehm den fließenden Übergang in seine berufliche Zukunft, der er aber schon ganz früh den Weg bereitet hatte. "Dass ich den elterlichen Betrieb übernehmen würde, war schon klar, bevor ich meine Laufbahn als Hammerwerfer begann", sagt Riehm heute.

Als der "Hammer-Macher" Ernst Klement ihn als Schüler entdeckte und fürs Hammerwerfen begeisterte, war Riehm talentierter Tischtennis- und auch begabter Klavierspieler. "Und als ältester Sohn war auch mein Beruf vorgezeichnet", berichtet Riehm. Sein Großvater hatte nach dem Krieg eine Bau- und Möbelschreinerei in Konz aufgebaut, dort begann Karl-Hans mit 15 seine (verkürzte) Lehre, die er mit der Note 1 abschloss. "Ich war sehr ehrgeizig, in allen Bereichen." Dann schloss sich gleich ein Studium der Innenarchitektur an - parallel gab es nur eins: Training, Training, Training.

"Andere Konkurrenten hatten viel mehr Kraft, aber ich hatte schon immer eine gute Feinmotorik und auch eine gute Auffassungsgabe. Ich konnte mir bei anderen schnell etwas abschauen, um es dann selbst zu verbessern." Feinmotorik ist auch heute gefragt, eine schnelle Auffassungsgabe ebenfalls, wenn Riehm als Chef seiner sechs Mitarbeiter in der Werkstatt steht oder Pläne anfertigt - das Wichtigste, was er aber aus seiner langen sportlichen Karriere mit in den Beruf nahm, war aber "meine Disziplin. Ich muss heute nicht der beste Schreiner sein, diesen übertriebenen Ehrgeiz habe ich nicht mehr, aber man muss alle Dinge diszipliniert zu Ende führen."

Diese Disziplin führte Riehm in seiner Glanzzeit an die Weltspitze. Unvergessen sind seine Duelle mit den sowjetischen Dauerkonkurrenten. Mal war er vorne, mal die Gegner. "Wir hatten immer ein tolles Verhältnis untereinander. Wir haben ihre Trainingspläne kopiert, sie unsere."

Und trainiert wurde wie Berserker. "Wir haben uns unsere eigenen Kraftmaschinen zusammengeschweißt, zwischendurch waren wir Hammerwerfer auch in der Trierer Gewichtheber-Mannschaft." Später, als Sportsoldat, standen bis zu 13 Trainingseinheiten in der Woche an. "Aber ich habe früh gesehen, dass selbst der größte Ruhm einen Hammerwerfer nicht reich machen kann. Daher war die handwerkliche Ausbildung für mich so wichtig." Nach seiner Karriere, in der Riehm zehn deutsche Meistertitel feierte, aber im besten Jahr seiner Karriere, 1980, auch den Olympia-Boykott erleben musste, hätte der Konzer Trainer werden können - aber er ging seinen Weg dort weiter, wo er ihn begonnen hatte: in der elterlichen Schreinerei.

Nach seiner Bundeswehrzeit versuchte Riehm zunächst, volles Training und Schreinerei unter einen Hut zu bringen. "Aber das ging nur drei Monate gut, das hielt man nicht aus". So setzte er vor Großereignissen in seinem Beruf aus, wurde dann von der Sporthilfe unterstützt. "Ich konnte meine Familie ernähren, mehr nicht", sagt er heute - und ist stolz darauf, dass "meine Frau den ganzen Sport immer unterstützt hat. Sonst wäre es nicht möglich gewesen." Noch heute steht sie ihm in der Schreinerei zur Seite.

Und als am 6. August 1984 in Los Angeles der Hammer bei 77,98 Metern - und damit zehn Zentimeter hinter dem siegreichen Finnen Juha Tiainen - liegen blieb, war die sportliche Karriere Riehms mit der seit 1972 ersehnten Olympia-Medaille beendet. Das Leben nach dem Hammerwurf hatte mit der schrittweisen Übernahme der Schreinerei begonnen. "Wir haben in dieser Zeit sehr viel investiert und die Schreinerei ausgebaut." 1990 wurde Karl-Hans dann Besitzer, führte die Familientradition fort - und machte sich fortan, analog zum Sport, in einer "Nischendisziplin" einen bekannten Namen. Denn neben dem Komplettangebot für den Innenausbau von Häusern ist die Riehm'sche Schreinerei auf Denkmalschutz, vor allem die Rekonstruktion von historischen Fenstern, spezialisiert. "Das ist nichts von der Stange."

Und der 61-Jährige blickt zufrieden zurück: "Ich würde fast alles wieder so machen." Mit den heutigen Spitzensportlern sei das damalige Athletenleben nicht zu vergleichen: "Da musst du doch Profi sein, musst dich vermarkten. Da ist sehr viel Geld, aber auch sehr viel Egoismus im Spiel. Da waren wir damals schon eine ganz andere Gemeinschaft."

ZUR PERSON



Karl-Hans Riehm wurde am 31. Mai 1951 in Konz geboren. Als Schüler wurde er von Ernst Klement entdeckt und begann seine Karriere als Hammerwerfer. Riehm wurde zehnmal deutscher Meister, stellte mehrere Weltrekorde auf und trat bei drei Olympischen Spielen an: 1972 wurde er Zehnter, 1976 Vierter, 1984 gewann er Olympia-Silber. 1978 wurde er zudem EM-Dritter, gewann mehrere Welt- und Europacups. Riehm ist verheiratet, hat zwei Kinder und ist seit 1990 Besitzer der von seinem Großvater gegründeten Bau- und Möbelschreinerei in Konz.

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