"Meine Vision ist eine Regionalisierung"

Trier · Das Kleine um des Großen willen stärken - Der Trierer Soziologe Bernd Hamm über die Region, ihre Wirtschaftskraft und kommunale Strukturen

Der Trierer Soziologe Bernd Hamm übt im Interview scharfe Kritik an der Politik: Ob Bildung, Wirtschaft, Steuern oder Kommunalreform - er sieht die Schwerpunkte in vielen Bereichen falsch gesetzt und fordert klare Perspektiven und Visionen. Nach 35 Jahren als Professor in Trier verlassen Sie jetzt die Stadt. Was hat sich aus der Sicht eines Soziologen an der Universität verändert?Hamm: Als ich nach Trier kam, war die Universität sehr klein, noch auf dem Schneidershof. Es gab immer wieder Gerüchte, sie würde geschlossen. Davor habe ich zwar heute keine Angst, doch das, was die Bundesregierung gemacht hat, ist verheerend: Die Eliteförderung zielt darauf ab, das System umzukrempeln. Da sollen wieder Herren und Knechte gezüchtet werden nach dem Vorbild der USA oder Frankreichs. Das ist im Kern undemokratisch und bildungspolitisch falsch.
Wohin wird diese Entwicklung führen?Hamm: Die Folge wird sein, dass immer mehr Geld an die Elitehochschulen fließt, die anderen werden zu kleinen Provinzklitschen heruntergespart. Wer wissen will, wie das ausgeht, der soll sich einmal amerikanische Provinzhochschulen anschauen. Das alles hat mich auch dazu bewogen, die Uni 2008 vorzeitig zu verlassen. So wird die Universität zerstört. Selbstkritisch muss man sagen: Wir haben uns auch zu wenig gewehrt, haben das Gefühl gehabt, mit einem deutschen Beamten macht man so etwas nicht.
Was hätte man stattdessen tun sollen?Hamm: Ich habe mich gefragt: Was kann man machen, um die Uni zu stabilisieren, und wie kann man die Uni mit der Region enger verheiraten? Wir hatten beispielsweise einen Sonderforschungsbereich zum Thema Umwelt und Region. Dessen Einstellung nach drei Jahren war eine Katastrophe. Die Uni sollte, über die Ausbildung hinaus, Verantwortung in und für die Region übernehmen, globales Wissen für die lokale Entwicklung fruchtbar machen: ein Motor für nachhaltige Regionalentwicklung sein.
Wie schätzen Sie die wirtschaftliche Situation der Stadt Trier und der Region ein?Hamm: Die Stadt profitiert von ihrer klein- und mittelbetrieblichen Struktur, die Region auch. Das hat der Region gutgetan, nur ist sie - wie andere periphere Regionen - ärmer geworden. Das gilt sowohl für die Reallohneinkommen der Beschäftigten als auch für die kommunalen Kassen. Von etwa 6000 Betrieben in der Stadt zahlen nur noch etwa 2000 Gewerbesteuer. Die Lage der Kommunalfinanzen ist skandalös - aber sie ist politisch gewollt und politisch zu verantworten. Die Steuerpolitik früherer Regierungen ist vor allem daran schuld. Wenn Sie an die Entwicklung der Region denken: Welche Fehler hat man gemacht?Hamm: Ein Fehler war die Abschaffung der Bezirksregierung. Man hätte sie zu einer regional starken Organisation ausbauen können. Das setzt man jetzt mit der Kommunalreform fort: Das ist ohne Perspektive, ohne Vision.
Wie sähen Ihre Visionen aus?Hamm: Die Regierung muss doch irgendwie eine Vorstellung davon haben, wohin sich das Land entwickeln soll, ob es beispielsweise mehr zentralistisch oder eher dezentral organisiert sein soll. Wenn man besser darüber nachgedacht und gesagt hätte, wir folgen dem Trend in der Bevölkerung und machen es dezentral, das wäre ein Teil einer Vision. Wir haben ja eine ganz starke Entwicklung hin zu regionalen Marken, zu regionaler Orientierung. Aber jetzt hat man diese unselige Kommunalreform angefangen, bei der die wichtigen Themen gar nicht angesprochen werden.
Zum Beispiel?Hamm: Kommunale Finanzen, das Stadt-Umland-Problem, die Ehrenamtlichkeit, die Vereinfachung der Bürokratie, %E-Government - alles das hat keine Rolle gespielt. Stattdessen hat man alles reduziert auf die territoriale Neugliederung, genauer: die Veränderung einiger Verbandsgemeinden. Das ist kleinkariert und kurzsichtig, und dabei sparen wir überhaupt nichts. Der Tiger ist gesprungen und als Bettvorleger gelandet. Was bringt die Kommunalreform?Hamm: Ministerpräsident Kurt Beck hat in seiner Regierungserklärung 2006 gesagt, wir brauchten die Reform wegen der demografischen Verschiebungen und wegen der Globalisierung. Dann kam das Gutachten Junkernheinrich (Anm. der Redaktion: gemeint ist ein vom Land bei dem Kaiserlauterner Professor Martin Junkernheinrich in Auftrag gegebenes Gutachten) und jetzt sagten alle, es geht ums Sparen. Angeblich basiert es auf einer Aufgabenkritik, dabei gibt es dafür keinen Beleg. Jeder, der ein bisschen Ahnung davon hat, weiß, diese Kritik hätte nicht auf die Ebene der Verbandsgemeinden beschränkt werden dürfen. Ich glaube, dass die jetzige Territorialreform allenfalls marginal etwas bringt: Man spart einen Bürgermeister, aber braucht einen neuen hauptamtlichen Beigeordneten. Wenn man das mit der Zwangsphase abschließt, dann ist das arrogant und obrigkeitsstaatlich und löst keines der anstehenden Probleme. Allerdings ist das Thema Kommunalreform dann für viele Jahre tot.
Wie können die Kommunen dann ihre Finanzen verbessern?Hamm: Man behandelt das Thema immer nur unter dem Aspekt, die Gemeinden hätten zu viel ausgegeben. Das ist Unsinn. Die Misere ist ein Ergebnis der Steuerpolitik im Bund, die zu einer skandalösen Unterfinanzierung der Kommunen geführt hat, und der fortgesetzten Übertragung von Aufgaben, die nicht finanziert waren. Man muss vor allem an der Einnahmeseite drehen. Man könnte die Grundsteuer zur Grundlage der kommunalen Finanzen machen. Man kann nicht vernünftig über eine Neugestaltung der Kommunalfinanzierung nachdenken, wenn man nicht gleich-zeitig über die Kommunalreform diskutiert. Und man muss eine Vorstellung haben, wohin die Reise gehen soll. Eine ganz neue Chance für eigene Einnahmen eröffnen die erneuerbaren Energien.
Welche Richtung schlagen Sie vor?Hamm: Meine Vision wäre eine Regionalisierung, das wäre mittelfristig richtig, ich würde wahrscheinlich an der Struktur- und Genehmigungsdirektion (SGD) und die Aufsichts- und Dinestleistungsdirektion (ADD) ansetzen und überlegen, wie man die bestehenden regionalen Bestrebungen zusammenfasst und stärkt. Ich würde vielleicht fünf Regionen in Rheinland-Pfalz entwickeln und würde ihnen jeweils einen Regionalrat als legislatives Gremium geben. Das wäre nicht ein Überwachungs- und Kontrollorgan, sondern ein selbstständiges politisches Gremium, das auch eine demokratische Legitimation braucht. Ich würde an der Gemeindeebene nicht viel ändern, man sieht, dass die Menschen mit dieser Struktur ganz zufrieden sind. Von den 163 Verbandsgemeinden haben ungefähr 100 weniger als 15 Ortsgemeinden und 30 oder 40 haben weniger als 12.000 Einwohner - und manchen geht es prächtig. Die Landesregierung unterschätzt auch die Rolle der Ortsbürgermeister: Die sind nahe beim Volk, das ist Demokratie zum Anfassen. Die Initiative für Veränderungen sollte aus den Gemeinden selbst kommen. Die Hochzeitsprämie ist nicht falsch, aber die Zwangsverheiratung ist Unsinn. Wie kann der demografische Wandel erfolgreich gestaltet werden?Hamm: Der Fehler in dieser ganzen Diskussion ist, dass man den demografischen Wandel als eine feste unbeeinflussbare Größe ansieht, der man sich anpassen muss. Daraus wird eine sich selbst erfüllende Prophezeiung: Wenn ich in einem Dorf eine Schule, die Bankfiliale, den Einzelhändler schließe, dann zieht da keiner mehr hin. Ich glaube, dass die Frage lauten muss: Wie kann man denen, die hier leben wollen, ein ausreichendes Einkommen sichern. Der Schlüssel dazu ist die Beschäftigung, und das ist im Kern eine Frage der Verteilung. Wer Wenigen viel gibt, der schürt nur die Spekulation und stärkt die Rolle der Finanzkreisläufe. Wer aber Vielen ausreichende Mittel zum Leben gibt, der fördert Kaufkraft und Beschäftigung. Beispiel Tourismus: Viel klüger als große Hotelketten ist eine kleinteilige dezentrale Versorgung, dann haben wir ein breiter gestreutes Einkommen. Man sollte ein gut ausgestattetes Programm für die ökologische Sanierung des Baubestandes auflegen. Das darf man auch über Schulden finanzieren - weil man in langfristig wirksames Einkommen investiert.
Sie ziehen jetzt nach Berlin, was werden Sie an Trier vermissen?Hamm: Ich habe noch nie so lange an einem Ort gelebt wie hier. Ich habe mich mit großer Begeisterung engagiert, in der Lokalen Agenda 21 und der Energiegenossenschaft. Dass man solche Dinge bewegen und mithelfen kann, das finde ich wunderbar. Ich fühle mich schon sehr verwurzelt hier und werde Trier sicherlich vermissen - nicht zuletzt auch die Weinkultur. Die vielen Freunde werden mir besonders fehlen. Aber ich gebe zu, dass beim Umzug nach Berlin auch ein wenig Lust auf Neues eine Rolle spielt. Zur Person
Bernd Hamm, Jahrgang 1945, arbeitete als Schriftsetzer, bevor er ab 1969 in Bern Soziologie studierte. 1977kam er als Professor an die Universität Trier. Sein Schwerpunkt ist die Siedlungs-, Planungs- und Umweltsoziologie. 2008 ging er vorzeitig in den Ruhestand - aus "Protest gegen die politisch erzwungene Zwangsamerika-nisierung und Schädigung unseres Hochschulsystems" und um sich stärker im Verein Lokale Agenda 21 zu engagieren, dessen Vorsitzender er ist. Außerdem ist er Aufsichtsratsvorsitzender der Trierer Energiegenossenschaft Treneg. Nun zieht Hamm nach Berlin, Heimat seiner zweiten Frau Sabine Hamm, mit der er zwei erwachsene Söhne hat.

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