"Ohne den Tropfen Goldwasser geht es nicht"

Jo Meurer, Modedesigner und Professor an der Hochschule Trier, hat mit Macher, Menschen + Märkte-Mitarbeiterin Ariane Arndt-Jakobs über Jobchancen und Arbeitsbedingungen in der Modebranche gesprochen sowie über das Rüstzeug für den Erfolg und seine Arbeit für die Olympischen Spiele.

An der Hochschule Trier werden seit mehr als 40 Jahren Modedesigner ausgebildet. Welche Chancen haben die Absolventen auf dem hart umkämpften Markt?

Meurer: Unsere Absolventen bekommen häufig einen Job. Wie gut unsere Studenten sind, zeigt sich zum Beispiel auch an den Auszeichnungen der Wilhelm-Lorch-Stiftung. Die Stiftung des Deutschen Fachverlags, der die Zeitschrift TextilWirtschaft herausgibt, vergibt einmal im Jahr einen Förderpreis für Abschlussarbeiten. Zum 20-jährigen Bestehen der Stiftung 1998 hat die Hochschule Trier als eine der ambitioniertesten Hochschulen den mit 10 000 Euro dotierten Sonderpreis erhalten. In den vorherigen fünf Jahren trug circa ein Viertel der 200 eingereichten Bewerbungen im Bereich Kreation einen Stempel der Hochschule. Sieben Arbeiten wurden in diesem Zeitraum als Preisträger gewürdigt, was meiner Meinung nach die Hochschule und Stadt Trier als die älteste mit den kreativsten Köpfen auszeichnet.

Was braucht man außer Kreativität, um in der Modebranche Fuß zu fassen?

Meurer: Talent muss man voraussetzen, das kann man nicht kreieren. Ich sage immer: 80 Prozent ist Talent, den Rest lernen die Studenten an der Hochschule. Das ist eine sehr intensive Arbeit. Da ich selbst als Designer für das Herrenmode-Label Wilvorst Kollektionen entwerfe, kann ich den Studenten vermitteln, wie es "draußen" zugeht. Das Allerwichtigste ist, dass sie lernen, ihre Modelle über das Experiment hinaus in die Serienreife zu bringen. Und das auf höchstem Designniveau. Die Serienreife einer Kollektion ist wichtig, um Gewinn zu generieren, um damit weitere Kollektionen machen zu können. Und natürlich auch, um davon zu leben beziehungsweise wenn es gut läuft, gut davon zu leben.

Sich gleich nach dem Studium selbstständig zu machen, bedeutet wahrscheinlich, ins kalte Wasser springen, oder?

Meurer: Das kalte Wasser Selbstständigkeit kann zum freien Fahrtenschwimmer und schließlich zum Langstreckenschwimmer führen. Aber das ist sehr schwierig, am Anfang fehlen die Verbindungen. Wenn die Studierenden abgeschlossen haben, sollten sie mit ihrem vertieften aber auch generalistischen Wissen erst einmal einige Jahre in mehreren Firmen Erfahrungen sammeln. Erfahren, wie die Stoffentwicklung funktioniert, was eine Schnittabteilung macht, wie viel Zeit für Entwürfe bleibt, wie eine Kollektion entwickelt und wo der Stoff bestellt wird. Da geht es um Produktmanagement. Nach diesen Firmenstationen kann man die Selbstständigkeit wagen. Aber auch da muss man die Parameter kennen: Was kostet das, wie bekomme ich meine Teile verkauft? Über Vertreter? Habe ich einen Laden mit Mitarbeitern in einer größeren Stadt? Habe ich einen guten Kontakt zur Presse? Kenne ich Promis? Oder Halb-Promis, die Promis werden wollen? Also nicht solche, die nachher nur noch Viertel-Promis sind, das wäre kontraproduktiv.

Mit der Welt von Haute Couture und Prêt-à-porter verbindet man ebenso Glamour wie Skandalnachrichten, etwa über Hunger models. Wie kann man in diesem Milieu bestehen?

Meurer: Es ist ein hartes Business. Für Models ebenso wie für Designer. Es läuft nur, wenn man es als Berufung sieht. Wenn es mit Biss, Talent, Können und Gelerntem ausgeübt wird. Das Quäntchen Glück gehört aber auch dazu. Ohne diesen Tropfen Goldwasser geht es nicht. Aber es gibt immer wieder welche, die diese Mine entdecken.

Das Modegeschäft ist wahnsinnig schnell geworden. Kaum ist ein Trend auf dem Laufsteg zu sehen, schon hängt er in günstigeren Versionen in den Geschäften. Wie lange kann dieses Tempo gehalten werden?

Meurer: Armani hat was, Zara empfindet womöglich den Stil nach. So läuft das Geschäft. Es gibt Tausende von Trendscouts, die nach Neuem Ausschau halten. Da reicht es schon, dass sich einer einen Hut geflochten hat und dreimal damit in der Disco oder bei einer Veranstaltung gesehen wurde, schon heißt es: "Trendverdächtig, das müssen wir machen, das ist ein Thema, ein Trend." Die neuen Medien haben das Tempo zusätzlich erhöht. Fast Fashion bedeutet, dass etwas ganz schnell umgesetzt wird. Da gibt es bis zu acht Kollektionen im Jahr. Laufstege und die darauf gezeigten Kollektionen sind auch Futter für die Presse. Es werden auch Kollektions teile präsentiert, die nachher gar nicht in den Geschäften auftauchen. Dort findet man dann Sachen, die ein bisschen zurückhaltender sind. Wobei, das ist das falsche Wort ...

... meinen Sie tragbarer?

Meurer: Nein, das Wort will ich ja vermeiden ... Es sind tolle Ideen, die über das Experiment in die deutliche Serienreife weiter entwickelt wurden. So, dass sie für viele augenfreundlich und vertretbar sind. Zur Frage, wie lange das Tempo gehalten werden kann: Der Wunsch nach neuen Sachen, nach einem neuen Erlebnis, ist immer da. Auch wenn der Kleiderschrank gut gefüllt ist. Die Menschen wollen mit dem Zeitgeist gehen und nicht als Mit-Alten-Klamotten-Rumlaufender gelten. Wobei es da natürlich Unterschiede gibt: Manche machen sich weniger daraus, ergänzen und ersetzen eher. Aber in der Regel ist der Wunsch nach Neuem immer präsent. Die Medien und das Marketing sind gut beim Wecken von Bedürfnissen.

Hat der Konsument eine Chance, Einfluss zu nehmen?

Meurer: Es gab eine Art Demokratisierung der Mode in den 1968er und 1970er Jahren. Davor hieß es: Das ist der neue Trend. Und danach: Wenn Sie das so haben wollen, dann bekommen Sie es so. Die Demokratisierung hat bewirkt, dass es verschiedene, vielfältige Linien gibt. Trotzdem geht es nicht ohne ein Leitbild.

Im April 2013 sind in Bangladesch mehr als 1000 Menschen beim Einsturz einer Textilfabrik umgekommen. Das kurbelte erneut die Debatte um die Arbeitsbedingungen in Billiglohnländern an, wo gerade die Textilindustrie viel produziert. Wird sich etwas verbessern?

Meurer: Diese Anti-Haltung hält immer so lange an, so lange sich die Wirtschaft gut entwickelt. Sobald die persönliche, finanzielle Situation sich verschlechtert wird auto matisch eine Bremse im Kopf ausgelöst. Dann wird wieder das Preiswerte gekauft. Es war aber auch schon schlimmer. Fehlendes Qualitätsbewusstsein befördert oftmals eine solche Situation. Da ist der Konsument nicht ganz unschuldig.

Lohnt sich "Made in Germany" überhaupt noch?

Meurer: Es gibt Hersteller wie Marc Cain aus dem Schwäbischen, die in Deutschland oder im engeren Europa herstellen lassen. Sie werben mit dem Label "Made in Germany". Das muss dann aber Top-Mode sein. Die Kollektion muss den Hauch des ganz Besonderen ausstrahlen. Auch Wilvorst produziert nach wie vor circa ein Drittel in Deutschland. Das ist inzwischen eine positive Seltenheit. Darüber hinaus haben wir Produktionsstandorte in Europa, also bei unseren Textilnachbarn. Vor etwa acht Jahren machte der Textilbereich zum Beispiel in der Türkei circa 40 Prozent des Brutto inlandsprodukts aus. Das geht vom Weben bis hin zum Fertigprodukt. Als Lohnfertigung, aber auch als eigene Produktion. Mittlerweile ist es etwas weniger geworden. Aber die Türkei ist nach wie vor ein riesiger Markt.

Spielt das Stichwort Nachhaltigkeit in der Mode industrie eine Rolle?

Meurer: Nachhaltigkeit ist im Aufwind - nicht nur, was Fair Trade und Bio angeht. Ein Stichwort ist Recycling. Wobei nicht alles wiederverwertet werden kann. Schwierig ist es, wenn in einem Kleidungsstück verschiedene Materialien verarbeitet wurden, etwa Wolle mit Polyamid und Viskose - das lässt sich beim Recyceln nicht sauber trennen. Aber reine Poly esterfasern etwa bei Sportswear oder Outdoorkleidung lassen sich gut zurückführen. Da wird vielleicht eine Plastikflasche draus. In manchen Städten gibt es bereits Sammelstellen, damit alte Kleidung nicht in den Restmüll wandert.

Bedrohen die zahlreichen Modeportale online die Läden in den Städten?

Meurer: Solche Befürchtungen gab es bereits, als die Versandkataloge zum Beispiel von Neckermann und Otto auf den Markt kamen. Diese sind ja nichts anderes als das Internet auf Papier. Damals wurde auch gesagt: "Die Konsumenten kaufen über Kataloge ein und gehen nicht mehr in die Läden." Das ist nicht passiert. Selbst die ganz jungen Kunden gehen in die Geschäfte und kommen mit riesigen Tüten wieder her aus. Sie wollen einen Nachmittag lang shoppen gehen, anprobieren, zwischendurch einen Kaffee trinken. Shoppen nur am Computer ist uncool. Und: Was wären Städte ohne die Modeläden? Sie wären tot. Allerdings gibt es Kunden, die im Laden etwas entdecken und dann schauen, ob sie es im Internet günstiger bekommen. Einige große Läden sagen mittlerweile den Herstellern: "Wenn ihr eure Waren ins Internet stellt, könnt ihr sie bei uns nicht verkaufen." Auf der anderen Seite jedoch belebt Konkurrenz das Geschäft.

Insgesamt viermal haben Sie die deutschen Olympioniken eingekleidet, das erste Mal für die Spiele 1988 in Seoul. Damals waren Sie gerade einmal 32 Jahre alt. Wie kommt man an einen so tollen Job?

Meurer: Das ging über das Deutsche Institut für Herrenmode. Der damalige Geschäftsführer, Professor Herbert Piedboeuf, hatte mich gefragt, ob ich mir das vorstellen könnte. Er kannte mich von der Herren-Mode-Woche/Inter-Jeans in Köln. Und schließlich haben auch dem Nationalen Olympischen Komitee (NOK) meine Entwürfe gefallen. Sie waren damals fast schon ein bisschen zu futuristisch. Meine schönsten Olympischen Spiele waren aber 1992 in Barcelona, die Eröffnungsfeier war an meinem Geburtstag - das war formidabel. Die Erkennungsmelodie war der Song "Barcelona" von Freddie Mercury und Montserrat Caballé. Mercury war im November zuvor gestorben. Seine Stimme wurde von Band eingespielt, Montserrat Caballé sang live. Davon schwärme ich noch heute.

Interview: Ariane Arndt-Jakobs

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort