"Qualität gibt es in jedem Genre"

Tawern · Der Trakt", "Das Wesen", "Das Skript" - so lauten die Titel der Psychothriller von Arno Strobel, der in Tawern nahe Trier lebt. Alle drei sind beim Fischer Taschenbuch Verlag erschienen - und alle sind Bestseller.

 Im Jahr 2011 brachten deutsche Verlage insgesamt 82 084 neue Bücher auf den Markt. Der Stapel mit diesen Neu erscheinungen wäre etwa 16-mal so hoch wie der Kölner Dom, hat das Börsenblatt errechnet. In den S. Fischer Verlagen erscheinen pro Jahr etwa 1000 Novitäten, darunter etwa 20 Prozent gebundene Bücher sowie je 40 Prozent Taschenbücher und E-Books. Der Gesamtumsatz der S. Fischer Verlage lag 2011 bei 73,4 Millionen Euro. Fotos: istock/Andrzej Tokarski, © S. Fischer Verlage / Foto: Milena Kahlcke

Im Jahr 2011 brachten deutsche Verlage insgesamt 82 084 neue Bücher auf den Markt. Der Stapel mit diesen Neu erscheinungen wäre etwa 16-mal so hoch wie der Kölner Dom, hat das Börsenblatt errechnet. In den S. Fischer Verlagen erscheinen pro Jahr etwa 1000 Novitäten, darunter etwa 20 Prozent gebundene Bücher sowie je 40 Prozent Taschenbücher und E-Books. Der Gesamtumsatz der S. Fischer Verlage lag 2011 bei 73,4 Millionen Euro. Fotos: istock/Andrzej Tokarski, © S. Fischer Verlage / Foto: Milena Kahlcke

Doch was ist das eigentlich, ein Bestseller? Wie wird ein Buch erfolgreich? Und was bedeutet es für Verlage, Autoren wie Arno Strobel im Programm zu haben? Ein Interview mit Martin Spieles, Pressechef der S. Fischer Verlage.

Nur ein verkauftes Buch ist ein gutes Buch … stimmt das?

Spieles: Richtig ist, dass ein Verlag im Interesse der Autoren dafür sorgen muss, dass Bücher auch gelesen werden. Wenn man den Satz allerdings so versteht, dass Verlage sich allein am Verkauf von Büchern orientieren, greift man zu kurz. Die Qualität ist - im Interesse der Autoren und der Verlage - genauso wichtig.

Und wenn Sie den Satz aus rein unternehmerischer Sicht sehen?

Spieles: Verlage sind in der Regel Privatunternehmen, die zwar gewisse Kennzeichen von kulturellen Institutionen haben können, aber nicht subventioniert werden wie Theater- oder Opernbetriebe. Insofern muss ein Verlag auch ökonomisch vernünftig geführt werden. Das Entscheidende ist die Mischkalkulation: In einem gesunden Verlagshaus muss es Bücher geben, die sich gut verkaufen und die für die ökonomische Existenzgrundlage des Verlags sorgen. Auf der anderen Seite ermöglichen diese Titel, dass auch Bücher gemacht werden können, bei denen nicht nur das ökonomische Kriterium zählt. Bei uns trifft das auf die Mehrheit zu. Nur auf gesunder ökonomischer Grundlage kann der Verlag sich um Autoren, Themen, Editionen kümmern, bei denen es um literarische Qualität oder zum Beispiel politisches Engagement geht. Solche Bücher können auch Bestseller werden, aber sie werden es sicher nicht in jedem Fall - und man will sie trotzdem machen. Auch, weil man ein Genre für besonders wichtig hält - wie die Lyrik, die heute in der Regel keine hohen Auflagen mehr erzielen kann. Wir sind aber trotzdem der Meinung, dass es wichtig ist, Lyrik zu publizieren, und tun das auch weiterhin.

Zu den S. Fischer Verlagen gehören auch die Verlage Scherz und Krüger mit Bestsellerautoren wie Cecelia Ahern und Tommy Jaud. Finanzieren solche Autoren das Programm des Stammverlags mit?

Spieles: Das sind sehr wichtige Autoren für uns. Es ist aber nicht so, dass immer Titel aus dem Bereich der sogenannten Unterhaltung literarische Titel der sogenannten Hochliteratur quersubventionieren. Der Traditionsverlag S. Fischer ist auch in ökonomischer Hinsicht erfolgreich. Auf den Bestseller-Listen wird man - hoffentlich - immer unterhaltende Titel aus unserem Haus finden, aber eben auch literarische. Wie zum Beispiel den Roman "Die hellen Tage" von Zsuzsa Bánk, der gerade hoch auf der Taschenbuchliste steht.

Aber wo ist die Grenze? Der Traditionsverlag S. Fischer hat einst als erster "Die Buddenbrooks" veröffentlicht, Hugo von Hofmannsthal gehört zu den Haus autoren. Und jetzt erscheint unterm gleichen Verlagsdach Susanne Fröhlich. Ab wann tut es einem Verleger weh?

Spieles: Das tut überhaupt nicht weh. Qualität gibt es in jedem Genre. Und Qualität ist ein Maßstab, der für unser Haus wichtig ist. Ein unterhaltender, humorvoller Titel verkauft sich nur dann, wenn er qualitativ gut ist. Es gelten vielleicht andere Kriterien als die, die im Hochfeuilleton angelegt werden, aber die Qualität spielt die Hauptrolle. Die Leser sind bei der Lektüre allein - man kann das Publikum nicht betrügen. Im Grunde ist das nicht zu trennen: Das eine bedingt das andere.

Wann darf ein Buch Bestseller genannt werden?

Spieles: Die Vokabel ist nicht genau definiert. Man könnte sagen, ein Bestseller ist das, was auf der Bestseller-Liste steht. Es gibt mehrere Listen, aber die verkäuferisch wichtigste ist die des Magazins Der Spiegel (siehe Extra), die inzwischen auf Verkaufszahlen basiert. Sie hat 50 Plätze, nicht nur die 20, die abgedruckt werden. Die engere Definition wäre dann: Ein Bestseller ist das, was unter die ersten 20 kommt und auf Plakaten und in Bestsellerregalen landet. Eine verkäuferische Definition wäre es, die Grenze bei 20 000 oder, was auch relativ üblich ist, bei 50 000 verkauften Exemplaren zu ziehen. Dann kommt noch dazu, dass es einen Hardcovervorlauf und eine Taschenbuchausgabe gibt. Beispiel Zsuzsa Bánk: Sie hat diesen Bestsellerstatus mit ihrem neuen Roman in der Taschenbuchausgabe erreicht. Zudem sind es im Sachbuch und in der Literatur ganz unterschiedliche Verkaufszahlen, die zu guten Platzierungen führen. Die Zahlen differieren wiederum übers Jahr: In Monaten, in denen gleichzeitig mehrere verkaufsstarke Titel in verschiedenen Verlagen erscheinen, ist es viel schwieriger, vordere Positionen zu erreichen. Kurz gesagt: Die Definition von Bestsellern ist fließend.

Hat sich die Situation auf dem Buchmarkt in den vergangenen Jahren noch zugespitzt?

Spieles: Es hat einen Konzentrationsprozess gegeben: Immer weniger Titel machen immer mehr Anteil am Gesamtumsatz aus. Das bedeutet: Es genügt nicht, auf der Bestsellerliste zu sein, man muss auf den vorderen Plätzen sein. Hinter den ersten fünf, sechs Titeln auf der Liste fallen statistisch die Verkäufe erheblich zurück.

Wie wurden die Psychothriller von Arno Strobel zu Bestsellern?

Spieles: Wenn ein Buch bei Fischer, Krüger oder Scherz erscheint, haben sich vorher kompetente Leser dafür begeistert. Auch Lektoren sind nämlich - wie das Wort schon sagt - Leser. Es ist ihre Aufgabe, mit ihrer hohen Kompetenz zu erspüren, welches Potenzial in einem Buch liegt. Beispiel Arno Strobel: Auch wir Verlagsmitarbeiter sind fasziniert, wie er es schafft, raffinierte Plots zu erfinden und so wahnsinnig spannend zu erzählen, dass seine Literatur nicht nur in Deutschland heraussticht, sondern absolut ein internationales Niveau der Spannungsliteratur erreicht. Zu unserem Verlag kam Arno Strobel übrigens über die renommierte Literarische Agentur Thomas Schlück.

Wie weit lässt sich der Verkaufserfolg eines Buches denn planen?

Spieles: Der Verkaufserfolg eines Buches lässt sich nicht wirklich planen, es lassen sich allenfalls günstige Startbedingungen schaffen. Verlage "machen" keinen Bestseller. Verlage sind wie ein Filtersystem, sie sind vorausgreifende Leser, die versuchen, das Richtige auszuwählen und dem Buch die besten Möglichkeiten zu schaffen. Am Anfang steht die Begeisterung für den Text und für das Talent eines Autors - und dann erst traut man sich, ein Buch zu machen und eine Kampagne aufzusetzen. Ob dann ein großer Bestseller entsteht, ob der Funke überspringt, ob Menschen begeistert sind, das Buch weiterempfehlen, weiterverschenken - das ist von den Verlagen nur eingeschränkt beeinflussbar.

Erst mal muss das Buch aber ja Leser finden, die sich ein Urteil bilden können. Wie positioniert man Autoren und Werke in der Flut von Neuerscheinungen?

Spieles: Wir verfahren nicht schematisch. Wir versuchen, in der Zusammenarbeit der Abteilungen, also Lektorat, Herstellung, Marketing, Vertrieb und Öffentlichkeitsarbeit, den richtigen Mix an Maßnahmen für das einzelne Buch zu bestimmen. Der Akzent kann auf dem Onlinebereich liegen, bei den Anzeigen, bei vertrieblichen Maßnahmen wie Aufstellern und Plakaten in der Buchhandlung. Es kann eine große Lesereise oder die klassische Pressearbeit sein. Die Planung ist sehr aufwendig und das Instrumentarium sehr differenziert. Wir versuchen, möglichst gut abzuschätzen, auf welchem Weg ein Buch, ein Autor, ein Thema transportiert werden kann. Bücher und Autoren sind sehr individuell, und entsprechend individuell muss man sie inszenieren.

Am 17. Januar 2013 erscheint "Der Sarg", das neue Buch von Arno Strobel. Was erhoffen Sie sich?

Spieles: Das ist ein ganz wichtiger Titel für uns. Das Publikum, das diesen Typus von Spannungsliteratur lesen möchte, ist sehr anspruchsvoll. Wir sind sehr optimistisch, dass der Roman einschlagen wird. Das wird ein extrem spannendes, packendes und originelles Buch.

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