Infrastruktur Rollende Märkte nutzen statt das Auslaufmodell des Dorfladens fördern

Wie Nebelschwaden zieht die Nostalgie über den ländlichen Raum, lässt Wunschträume entstehen und erschwert den Durchblick. Allenthalben feiern die Tante-Emma-Läden ein furioses Comeback - wenigstens in den Schlagzeilen.

Die Einwohner wollen ihre Dorfläden zurück, als sichere Nahversorgung und als dörfliches Kommunikationszentrum, als Mittelpunkt oder als Herz des Dorfs. Schon haben sich Dorfladen-Netzwerke gegründet, gibt es Hunderte von Neugründungen. Sie heißen Um's Eck oder MarktTreff, haben sich Genossenschaften gebildet. Öffentliche Fördermittel oder Anteilsscheine der Genossen sichern das Überleben der Dorfläden, zu mindest für kurze Zeit.

Bei der Wiederentdeckung des Dorfherzens gerät leicht in Vergessenheit, dass es die Veränderung der Einkaufsgewohnheiten der mobilen Dorfbewohner war, die Fahrt zu den Supermärkten, Drogerie- und Baumärkten in den größeren Schwerpunktgemeinden, die den früheren Dorfläden reihenweise den Garaus machte. Diese Einkaufsgewohnheiten werden sich so schnell nicht ändern. Geiz ist zwar nicht so geil, wie die marktschrei erische Werbung suggeriert. Aber Sonderangebote, das größere Warenangebot, vielfältige Besorgungsmöglichkeiten lassen die Verbraucher auch Wege von zehn und 15 Kilometern in Kauf nehmen. Shopping, das Einkaufserlebnis, lockt viele.

Nun wächst mit der Zahl der älteren Menschen die Zahl der weniger mobilen. Sie sind stärker als die Jüngeren auf eine sichere Nahversorgung angewiesen, nicht nur auf den Lebensmittelladen, sondern auf Ärzte, Apotheken, Banken, auf soziale Kontakte und nicht nur soziale Netzwerke im seltener genutzten Internet. Ziehen sie nicht in Schwerpunktgemeinden, sondern bleiben in einem häufig schrumpfenden, wenige Einwohner zählenden Dorf, sind sie auf die rollenden Märkte, den rollenden Bäcker, die rollende Bank oder auf Nachbarn angewiesen, die sie zum gelegent lichen Einkauf oder Arzt besuch in die Stadt mitnehmen. Bevor der Dorfladen subventioniert wird, sollten zweimal die Woche außerhalb der Schulbuszeiten eingerichtete Busverbindungen in die Schwerpunktgemeinden gefördert werden. Selbst wenn der kleine Dorfladen zugleich Getränkeshop, Stehcafé, Post- und Lottoannahmestelle ist, sichert er selten die wirtschaftliche Existenz des Betreibers. Von Klein- und Kleinstmengen, vom Brötchen- und Zeitungsverkauf kann der Ladenbesitzer kaum leben. Und das Herz des Dorfs schlägt auch bei Dorf- und Musik- oder Weinfesten und im vielleicht noch existierenden Wirtshaus.

Die rollenden Märkte und Bäcker florieren eher, liefern in den weitläufigen Streudörfern bis vor die Haustür. Zwischen Hof läden, Supermärkten in den großen Dörfern mit weitem Einzugsgebiet und in den Kleinstädten sowie (internetgestütztem) Versandhandel bleibt eine zu enge Nische, um dem kleinen Dorfladen ein nicht sub ventioniertes Comeback zu ermöglichen. Eine gute, hilfsbereite Nachbarschaft ist nicht auf einen Dorf laden angewiesen.

Der Autor ist ehemaliger Handelsblatt-Chefredakteur.

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