Schatzsucherin in alten Mauern

Sie gilt international als Impulsgeberin für nach haltige Restaurierung his torischer Bauten: Marie- Luise Niewodniczanska, Archi tekturprofessorin und Trägerin des Bundes verdienst kreuzes. Die Tochter der Inhaberfamilie der Bitburger Braugruppe engagiert sich auch im Ruhestand weiter für die Kultur der Region.

Bitburg. Das Wort Ruhestand kommt einem partout nicht in den Sinn, wenn man mit der 72-jährigen Marie-Luise Niewodniczanska spricht. Sie ist von so viel spürbarer und temperamentvoller Begeisterung für kulturelle Themen und die architektonischen Schätze ihrer Heimat beseelt, dass der Funke schnell überspringt. Zwar endeten ihre Lehraufträge an der Fachhochschule Trier, wo sie Veranstaltungen zur Kunst- und Baugeschichte und Denkmalpflege im ländlichen Raum hielt, im Jahr 2008. Doch bis heute ist sie auf Kreis- und Bezirksebene als Jurorin des Wettbewerbs "Unser Dorf hat Zukunft" aktiv, darüber hinaus seit zehn Jahren in der entsprechenden luxemburgischen und seit sechs Jahren in der belgischen Kommission der deutschsprachigen Gemeinschaft.
Die eigene Mitte finden, wo man lebt

Wohl niemand kennt die teils vorbildlich restaurierten, teils noch wachzuküssenden architektonischen Schönheiten der gesamten Großregion so gut wie die Architektin aus Bitburg, die zunächst in Freiburg im Breisgau Kunstgeschichte und dann an der renommierten Hochschule ETH Zürich Architektur mit Diplom abschluss studierte.

Für die Tochter der Familie Simon, welcher die Bitburger Brauerei gehört, war ein berufliches Engagement im Unternehmen dennoch nie Thema. "Ich habe meine Studienfächer aus Neigung gewählt. Und da war es mir wichtig, vor allem das Sehen zu lernen und die Formensprachen; eine Technikerin war ich nie", sagt sie. Insbesondere das relativ verschulte Studium an der ETH habe ihr gut getan: "Ich war so jung und froh darüber, eine Orientierung vorgegeben zu bekommen. Seit damals weiß ich, wie wichtig es ist, die eigene Mitte dort zu finden, wo man ist, und in dem, was man tut." Eine Einstellung, die sich als Bodenständigkeit durch ihr gesamtes Leben zieht - und als Leitmotiv des Wettbewerbs zur Dorferneuerung, der sich nicht zuletzt dank Niewodniczanskas Engagements von der reinen Ver schö nerungs initiative zu einem ganzheitlichen Ansatz wandelte, der die Lebensqualität im ländlichen Raum in den Mittelpunkt rückt.

Wichtige Weichenstellungen ergaben sich in ihrer Züricher Zeit: zum einen die Lebensmaxime, sich auf die Sprache von Bildern und Formen einzulassen und sich dabei auf Wesentliches zu konzentrieren. Noch heute sieht sie nicht fern: "Ich bin ein Büchermensch, und ich liebe gutes Radio. Es hilft bei einem großen Arbeitspensum, sich nicht im Konsum von zu vielen Bildern zu verlieren." Zum anderen lernte sie an der ETH ihren Ehemann Thomasz Niewodniczanski kennen, der dort in Kernphysik promovierte.

1960 heirateten die beiden, drei Jahre später gingen sie nach Warschau in eine Plattenbausiedlung. "Damals habe ich gelernt, mit sehr wenigen materiellen Dingen auszukommen und damit glücklich zu sein", sagt sie rückblickend. Sie arbeitete als Übersetzerin für einen Bau- und Architekturverlag und blieb so ihrem Fachgebiet treu. Niewodniczanskas Schwiegervater, ein renommierter Physiker, prägte ihre aufkommende liberale Haltung.

Hinzu kamen negative Erfahrungen mit dem damaligen politischen Regime, die das Paar 1968 zur Übersiedlung nach Deutschland bewogen. Sie sei anfangs nicht aus Leidenschaft politisch aktiv gewesen. "Aber ich war immer ein unabhängiger Geist, und letztlich führten auch Zufälle dazu, mich parteipolitisch einzubinden", erläutert sie ihren Werdegang jenseits des Engagements für die Architektur. Das allerdings blieb bestimmend. Zunächst fand ihr Ehemann eine Anstellung als Kernphysiker in einem Forschungszentrum bei Darmstadt, während sie bei einem Bauinstitut als Teilzeitkraft beschäftigt war. "Damals war es schwierig, mit drei Kindern Beruf und Familie zu vereinbaren. Zugleich suchte mein Vater einen Nachfolger für die Brauerei in den Bereichen Personal und Finanzen." Die Wahl fiel auf ihren Ehemann Thomasz, "Also gingen wir 1973 nach Bitburg."

Zurück in der Heimat, erhielt sie ihren Lehrauftrag an der FH Trier. Zunächst ging es ihr vornehmlich um Kunst- und Baugeschichte. Doch 1981 lieferte der Kontakt zum luxemburgischen Landeskonservator Georges Calteux die Initialzündung für das Thema, das sie fortan fesselte: die Erhaltung und Sanierung historischer Bauten, insbesondere in den Dorfkernen der Region.

"Gemeinsam mit Kollegen oder auch allein bin ich durch die gesamte Eifel gewandert und habe fotografiert: Wo gibt es welches alte Haus, wem gehört es? Das war eine umfassende Bestandsaufnahme und echte Fleißarbeit, bis in die Nächte hinein", erinnert sie sich an die Fundamente ihrer nun folgenden Aufgabe, mit unzähligen Vorträgen und Ausstellungen aufzuklären über die materiellen und immateriellen Werte, die in den alten Bauten stecken und wieder zu Tage gefördert werden. Niewodniczanska spricht von einem "Schneeballsystem der Begeisterung", das sich für die historische Bausubstanz entwickelt habe.
Keine Spur von Ruhestand

Sie hat für ihren unermüdlichen Einsatz viele Auszeichnungen bekommen, so 1988 die Silberne Halbkugel des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz oder das Bundesverdienstkreuz am Bande 2008. Sie ist in etlichen Gremien der Denkmalpflege vertreten und erfuhr, wie sie sagt, so viel Bestätigung in ihren Zielen, dass es sie motiviert, immer weiterzumachen.

So arbeitet sie unter anderem das Archiv ihres 2010 verstorbenen Ehemanns auf, und sie ist engagiert in einer deutsch-polnischen Stiftung, die den Erhalt ehemals deutscher Guts häuser in Schlesien und Ostpreußen zum Zweck hat. Sie veranstaltet Exkursionen durch die Eifel, etwa mit dem Maschinenring Daun, um für die thermische Sanierung historischer Gebäude zu sensibilisieren.

Die moderne Kunst liegt ihr derweil ebenfalls am Herzen: Sie hat kürzlich einen Ausstellungskatalog für den aus Mayen stammenden Maler Emil van Hauth zusammengestellt, dessen Werke unter anderem in der Kreissparkasse Bitburg zu sehen waren. Auch dieses eine Arbeit, die sie viele Stunden am Tag beanspruchte. Trotz der guten Resonanz auf ihr Engagement bleibt die "Architekturschatzjägerin" bescheiden: "Ich erfinde nichts neu. Ich liege nur auf einer Welle, die sowieso auf der Tagesordnung steht, und kann sie nutzen. Das macht den Erfolg aus.

ZUR PERSON

Marie-Luise Niewod niczanska, geborene Simon (Jahrgang 1938) ist unter anderem Jurorin des Wett bewerbs "Unser Dorf hat Zukunft" und FDP-Fraktions vorsitzende im Kreistag Bitburg-Prüm. Sie initiierte ehrenamtlich Ausstellungen wie "Denkmäler der Zukunft", "Dorfwelten - Innerdörfliche Räume" oder "Neue Nutzung in alten Gebäuden". Sie engagiert sich nicht nur in Rhein land-Pfalz für die Dorf erneuerung, sondern auch in Luxemburg, Lothringen und den belgischen Ostkantonen. Bis 2008 war sie Lehr beauftragte an der Fach hochschule Trier. Seit 1992 ist sie Mitglied des Kura toriums der Kulturstiftung Rheinland-Pfalz. Als ihre Hobbys nennt sie Studien reisen, Lesen, Tennis, Rad fahren, Volleyball und Singen im Kirchenchor.

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