Spagat zwischen Wettbewerb und Engagement

Per Pflichtquote sollen Arbeitgeber angehalten werden, mehr schwerbe hinderte Menschen zu beschäftigen. Integrations projekte wie das im Dezember vom Diako nischen Werk eröffnete Trierer Hotel Vinum über treffen die gesetzlichen Vorgaben um ein Vielfaches - und müssen sich zugleich auf dem Markt behaupten.

 Mitarbeiterin Adriana Van Samang bei ihrer Arbeit im Frühstücksraum.

Mitarbeiterin Adriana Van Samang bei ihrer Arbeit im Frühstücksraum.

Foto: Friedemann Vetter

Trier. "Bislang ist mir nichts heruntergefallen", sagt Adriana Van Samang und lacht - erleichtert und stolz zugleich. Sie arbeitet im Frühstücksservice im Hotel Vinum am Bahnhofsplatz in Trier. Tische eindecken und Geschirr wegräumen gehört unter anderem zu ihren Aufgaben. Für die 54-Jährige eine Herausforderung: Sie ist Rheumatikerin, hat oft keinerlei Gefühl in den Händen und kann nur schwer greifen. Durch eine Krebserkrankung vor etwa neun Jahren wurden diese Symptome noch verstärkt. Hoch konzentriert und sehr bewusst führt sie jede Handlung aus, nimmt eine Tasse hoch oder gießt Milch in ein Kännchen.

Van Samang ist eine von zwei körperlich behinderten Mitarbeiterinnen, die derzeit im Hotel Vinum angestellt sind, das vom Diakonischen Werk der Kirchenkreise Trier und Simmern-Trarbach betrieben wird. Sukzessive soll die Belegschaft des Integrationsprojekts (siehe Extra) auf sechs behinderte und sieben nicht behinderte Mitarbeiter wachsen. 46 Prozent der Belegschaft wird dann aus schwerbehinderten Menschen bestehen - weit mehr also als die gesetzlich vorgeschriebenen fünf Prozent für Betriebe mit mindestens 20 Angestellten (siehe Extra).

Anders als Behindertenwerkstätten, die auf dem zweiten Arbeitsmarkt angesiedelt sind, bieten Inte grationsprojekte Menschen mit Handicap Beschäftigungen auf dem regulären, sogenannten ersten Arbeitsmarkt an. "Wir sind ein Wirtschaftsbetrieb", sagt Bernd Baumgarten bestimmt. Er ist Geschäftsführer des Diakonischen Werks. Dieses hatte das Hotel Monopol gekauft, umgebaut und schließlich als erstes Trierer Integrationshotel unter neuem Namen im Dezember eröffnet.

"Zu arbeiten tut einfach gut. Nicht ausgeschlossen und wieder Teil der Gesellschaft zu sein", sagt Adriana Van Samang. Zahlreiche Bewerbungen hatte sie zuvor verschickt - und ebenso viele Absagen bekommen. "Zu alt" oder "Sie gehen besser in Rente", zitiert die 54-Jährige einige Reaktionen.

Schwerbehinderte Menschen in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren ist primäre Aufgabe des Hotels. Baumgarten spricht von einem Spagat. Denn auf dem regulären Markt muss sich das soziale Projekt auch dem Wettbewerb stellen, sich etablieren und halten - wenn auch unter anderen Vorzeichen. Gewinnmaximierung sei nicht das vorrangige Ziel, betont der Geschäftsführer: "Es geht nicht darum, soviel wie möglich zu verdienen", fügt er hinzu. Das Erfolgskonzept beschreibt er so: "Wenn der Betrieb wirtschaftlich funktioniert, der Gast und der behinderte Mensch zufrieden sind - dann ist auch der Hotelbetreiber zufrieden."

Geführt wird das Hotel Vinum als gemeinnützige GmbH - das bedeutet unter anderem, dass, sobald Gewinn erwirtschaft wird, dieser ins Hotel zurückfließt. Oder satzungsgemäß der Mutter, dem Diakonischen Werk, für soziale Projekte zugute kommt.

Gefördert wird das Projekt von unterschiedlichen Stellen (siehe Extra). "Ohne Unterstützung könnten wir nicht existieren", meint Baumgarten. Für die Beantragung von Fördermitteln musste das Konzept, das seit 2008 entwickelt wurde, mehrfach geprüft werden. "Wir sind ein bestgeprüftes Projekt", sagt Baumgarten lächelnd. Dadurch habe auch er selbst besser schlafen können.

Die finanzielle Unterstützung entlastet das Diakonische Werk und damit indirekt auch die Hotelmitarbeiter. Druck sei bei der Arbeit mit behinderten Menschen kontraproduktiv, meint Baumgarten: "Ein behinderter Mensch braucht seine Zeit."

"Wenn man an Grenzen stößt, kann man das sagen. Man bekommt Hilfe und wird nicht zurückgewiesen", sagt Van Samang. Das Miteinanderreden nimmt im Arbeitsalltag einen hohen Stellenwert ein. Es gibt regelmäßige Gesprächstermine für die behinderten wie auch für die nicht behinderten Mitarbeiter, um die Fachkräfte für den Umgang mit den Kollegen zu sensibilisieren.

Das sei fast wie eine Supervision, meint Hoteldirektorin Bettina Munding. Auch für sie ist die Arbeit in einem Integrationshotel eine neue Erfahrung. Gelernt hat die 49-Jährige in einem Fünf-Sterne-Hotel, zuletzt leitete sie eine Jugendherberge. Für ihre Arbeit im Hotel Vinum gelte oft: Learning by Doing. Die soziale Komponente mit ihrem Beruf zu vereinen, sei ihr ein Bedürfnis gewesen, sagt Munding.

Sehr viel Zeit investiert die Chefin in die Auswahl der Mitarbeiter, beispielsweise in die Bewerbungsgespräche. Eine Vorauswahl allein anhand der schriftlichen Bewerbungen sei nicht möglich. So muss beispielsweise herausgefunden werden, ob das Aufgabenpensum mit der Behinderung gemeistert werden kann. Und ob den Bewerbern die Arbeit Spaß macht.

Auf das Hotel aufmerksam werden die Bewerber beispielsweise über Wohlfahrtsverbände. Interessenten hätten sich auch aufgrund der Öffentlichkeitsarbeit, also nach Berichten im Radio, Fernsehen und der Zeitung gemeldet, berichtet Baumgarten. Und schließlich arbeitet das Hotel eng mit der Arbeitsagentur zusammen, bei der es eine extra Abteilung für die Vermittlung behinderter Menschen gibt.

Nicht alle Bewerber haben eine Ausbildung in der Hotelbranche absolviert. Teil des Auswahlverfahrens ist ein Probearbeitstag, bei dem der Bewerber die Arbeit in der Praxis kennenlernen kann.

Van Samang beispielsweise kommt aus der Druckindustrie. "Jetzt mache ich das, was ich eigentlich wollte", sagt sie. Gleichzeitig absolviert sie noch eine Weiterbildung zur Hauswirtschafterin. Das Gelernte kann sie direkt bei der Arbeit umsetzen - und weitergeben. "Die Temperatur der Kühlschränke muss jeden Tag überprüft und in eine Liste eingetragen werden", erklärt die Angestellte einer Praktikantin. Die 26-Jährige, die Van Samang begleitet, ist schwerhörig. Ganz genau schaut sie ihre Kollegin an, wenn diese etwas erklärt: Das Lippenlesen ist für die gelernte Bürokauffrau eine wichtige Unterstützung.

Im Frühstücksservice und bei der Reinigung werden die Mitarbeiter mit Handicap eingesetzt. Sie erhalten eine unbefristete Dreiviertelstelle. Einer Anstellung muss das Integrationsamt des Landes Rheinland-Pfalz zustimmen. Dabei prüft die Behörde, ob sich die Behinderung des Bewerbers für eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt außerhalb eines Integrationsprojekts besonders nachteilig auswirkt.

Das Amt zahlt der Diakonie zudem einen sogenannten Minderleistungsausgleich: Es übernimmt die anteiligen Lohnkosten von schwerbehinderten Menschen, deren Arbeitsleistung aufgrund der Behinderung erheblich hinter dem Durchschnitt vergleichbarer Arbeitnehmer zurückbleibt.

"Jetzt kann unser Gast kommen", sagt Adriana Van Samang zufrieden beim Blick auf die bereits erledigte Arbeit. Um die 70 Gäste haben in den ersten sechs Wochen in dem Hotel Garni übernachtet. Familien, Touristen, Geschäftsleute auf Reisen nennt Baumgarten als Zielgruppe. Dabei präsentiere sich das Haus wie ein ganz normales Hotel: "Der Kunde will ein sauberes Zimmer, einen guten Service, ein tolles Frühstück." Dazu komme dann das Plus eines Integrationshotels: "Der Gast weiß, dass mit dem Geld, das er investiert, soziale Arbeit unterstützt wird. Er tut also gleichzeitig etwas Gutes." Und es gebe viele Menschen, die mitdächten: "Deutschland ist keine soziale Wüste", betont Baumgarten.

Für das erste Jahr plant das Diakonische Werk eine Auslastung von 42,5 Prozent. "Das wäre aber noch nicht im Gewinnbereich", sagt Baumgarten. Ein positives Rechnungsergebnis wird für das zweite Geschäftsjahr angestrebt. Dafür wäre eine Auslastung von 47,5 Prozent notwendig.

Adriana Van Samang ist optimistisch: "Wir steigern uns", sagt sie. "Bis zum Sommer haben wir ein volles Haus."

DIE FINANZIERUNG

"Bis wir den Schlüssel umdrehen und die Hoteltüren öffnen konnten, hatten wir bereits etwa 1,6 Millionen Euro investiert", berichtet Bernd Baumgarten (Foto links), Geschäftsführer des im Dezember eröffneten Integrations hotels Vinum. Für etwa 1,1 Millionen Euro hatte das Dia konische Werk das Hotel Monopol gekauft. In die Renovierung und den behindertengerechten Umbau flossen 500 000 Euro. Von der Aktion Mensch erhielt das Diakonische Werk 250 000 Euro für Kauf und Umbau. Die gleiche Summe, verteilt auf fünf Jahre, stellt die Förderorganisation für den laufenden Betrieb zur Verfügung. Vom Land Rheinland-Pfalz kamen 135 000 Euro, von den Arbeitslosenfonds der Evangelischen Kirche im Rheinland und der Diakonie insgesamt 50 000 Euro. Aus Eigenmitteln flossen 110 000 Euro. Außerdem hat das Diakonische Werk ein Darlehen aufgenommen.

INTEGRATIONSPROJEKTE

Das Hotel Vinum ist ein sogenanntes Integrations projekt. Dies sind besondere Beschäftigungsfirmen für schwerbehinderte Men schen, deren Eingliederung auf dem allgemeinen Arbeits markt auf besondere Schwierigkeiten stößt. Die Projekte sehen sozialver sicherungspflichtige Arbeits verhältnisse vor, stehen aber de facto zwischen den beschützenden Werkstätten für behinderte Menschen und dem normalen Arbeits markt. (Quelle: Bundes arbeits gemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen)

DAS HOTEL IN ZAHLEN

Das Hotel Vinum verfügt über 28 Zimmer mit ins gesamt 60 Betten. Die Preise liegen je nach Saison für Einzelzimmer zwischen 49 und 84 Euro, für Doppel zimmer und Suiten zwischen 80 und 120 Euro pro Nacht. Ein Einzel zimmer ohne Dusche kostet 25 Euro. Das Hotel hat sich dem "Verbund der Embrace Hotels" angeschlossen, einer Koope ration mehrerer inte gra tiver Hotelbetriebe aus Deutsch land. Aufgaben des Ver bunds sind unter ande rem eine gemeinsame Außen darstellung, die Positio nierung auf dem Markt und der Erfahrungs austausch. www.hotelvinum.de, www.embrace-hotels.de

INTEGRATIONSHOTEL IN NEUERBURG

Im Euvea Freizeit- und Tagungshotel in Neuerburg (Eifelkreis Bitburg-Prüm) werden die Gäste bereits seit April 2001 von behinderten und nicht behinderten Menschen betreut. Euvea steht für "Europäische Vereinigung für Menschen mit einer Behinderung aus Eifel, Ardennen sowie angrenzenden Regionen". Das Kooperationsprojekt wurde im Jahr 1991 als gemeinnützige GmbH gegründet, Gesellschafter sind zehn Behindertenorganisationen aus Deutschland, Belgien, Frankreich und Luxemburg. Das Ziel: die Behindertenarbeit in der Grenzregion stärker vernetzen, um gemeinsam an der Förderung und Integration behinderter Menschen zu arbeiten. Das barrierefreie Hotel steht behinderten wie nicht behinderten Gästen offen und bietet für Mitarbeiter mit Handicap Arbeitsplätze im Hotel- und Gastronomiebereich. www.euvea.de

BESCHäFTIGUNGSPFLICHT

Private und öffentlich- rechtliche Arbeitgeber, die im Jahresdurchschnitt über mindestens 20 Arbeitsplätze verfügen, sind gesetzlich verpflichtet, fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Beschäftigten zu besetzen. Wird diese Quote nicht oder nicht vollständig erfüllt, erhebt das Integrationsamt eine Ausgleichsabgabe. Diese dient dazu, einen finanziellen Ausgleich gegenüber den Arbeitgebern zu schaffen, die schwer behinderte Menschen beschäftigen und denen dadurch erhöhte Kosten entstehen. www.integrationsaemter.de

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