Von Anstiftern, Stoffeln und Lügnern

Kurioses und Ernstes aus dem deutschen Büroalltag: Martin Wehrle lässt in seinem Irrenhausbuch die Menschen, die sich via E-Mail an ihn als Autor und Karrierecoach gewandt haben, selbst zu Wort kommen. Hier einige Kostproben aus seinen "Irrenhaus-Sprechstunden" - jeweils gekennzeichet mit einem Betreff. Die Namen sind geändert.

Betr.: Wie mir mein Chef einen sexuellen Übergriff einreden wollte



Jeder wusste, wofür der Geschäftsführer unseren Kollegen Jens Heigel hielt: für einen Störenfried. Jens hatte drei Fehler: Er war Gewerkschaftsmitglied, er sagte die Wahrheit, und er sagte sie auch noch laut. So hatte er bei einer Betriebsversammlung gegen eine Nullrunde bei den Gehältern protestiert. Die meisten Kollegen fanden sein Engagement gut, waren aber zu feige, es zu unterstützen. In den letzten Jahren hatten Kündigungen und Outsourcing ein hässliches Loch in unsere Personaldecke gerissen.

Jens hatte schon mehrere Abmahnungen und sogar eine Entlassung kassiert. Aber der Arbeitsrichter erkannte wohl, dass sein einziges Vergehen darin bestand, anderer Meinung als die Geschäftsleitung zu sein. Ein paar Monate später kam er nach einer erfolgreichen Kündigungsschutzklage zurück in die Firma.

Offenbar empfand unser Geschäftsführer das als persönliche Niederlage. Jedenfalls boykottierte er Sitzungen, wenn er Jens am Tisch sah. Er behandelte ihn wie einen schlimmen Feind. Dienstlich hatte ich schon seit Jahren mit Jens zu tun. Kurz nach seiner Rückkehr unternahmen wir eine Dienstreise zu einem Kongress. Dabei war seine gescheiterte Entlassung das Hauptthema: Er schilderte mir, wie sich die Firma vor Gericht in Widersprüche verwickelt und blamiert hatte. Direkt nach der Reise bat mich unser Geschäftsführer in sein Büro: "Sie waren ja mit Herrn Heigel unterwegs. Sie wissen, welche Schwierigkeiten wir mit ihm haben?" Ich nickte.

In väterlichem Ton fuhr er fort: "Ich glaube, es wäre gut für den Betriebsfrieden, wenn er uns verließe. Aber es fehlt noch der Tropfen, der das Fass zum überlaufen bringt." Erwartungsvoll blickte er mich an. Ich sagte schnell: "Auf unserer Fahrt hat er nichts Schlimmes über die Firma gesagt." (Das war gelogen!) "Das meine ich auch nicht", sagte er. "Aber Sie waren doch im Auto allein mit ihm. Ich frage mich, ob er sich Ihnen gegenüber korrekt verhalten hat." "Wie meinen Sie das?"

Er rutschte unruhig auf seinem Stuhl. "Nun, er könnte ja - wie soll ich mich ausdrücken? Er könnte ja etwas Unsittliches getan haben." "Hat er aber nicht!" "Denken Sie einfach noch mal darüber nach. Es wäre nicht zu Ihrem Nachteil, wenn Ihnen etwas einfiele. Und behandeln Sie dieses Gespräch bitte vertraulich."

Ich ging. Der Zorn pochte in meinen Schläfen. Hatte er ernsthaft geglaubt, ich würde einen sexuellen Übergriff erfinden, um mich zur Henkers-Gehilfin zu machen? Und woher nahm er eigentlich die Sicherheit, dass ich nicht direkt zu Jens liefe, um ihn über diese Sauerei zu informieren? Aber als alleinerziehende Mutter war ich auf meinen Arbeitsplatz angewiesen. Außerdem gab es für das Gespräch keine Zeugen. Er hätte mich der Lüge bezichtigen können. Drei Wochen später sprach mich mein Büronachbar auf dem Flur an: "Schon gehört? Jens ist entlassen worden!" "Mit welcher Begründung diesmal?", fragte ich. Er rückte näher. "Man sagt, er habe eine Kollegin belästigt: Tina." Ich fiel aus allen Wolken. Sofort war mir zweierlei klar: Der Chef hatte doch noch eine Dumme gefunden. Und Tina würde bald Karriere machen. Mir wurde übel. Ich ging aufs Klo.

Anita Albrecht, Projektleiterin

Betr.: Warum mein Bewerbungsgespräch mit einem Knall endete



Als Bewerberin habe ich schon die unglaublichsten Dinge erlebt. Einmal saß ich im Vorstellungsgespräch mit einem Personaler und dem Inhaber einer mittelständischen Firma. Der Personaler führte das Gespräch in freundlichem Ton. Der Inhaber saß, im wahrsten Sinne entrückt, einen guten Meter vom Tisch entfernt. Es war unheimlich, weil er kein Wort sagte und das Schauspiel nur beobachtete - wie ein hungriger Löwe, der unbewegt unter einem schattigen Baum liegt und auf die Antilopen-Wiese starrt. Er kommentierte meinen Auftritt auf seine Weise: nonverbal. Als ich meinen Berufsweg schilderte, atmete er ganz tief ein, als wollte er sagen: "Langweil mich nicht!"

Als ich meine Freude am Umgang mit Menschen als Stärke nannte, ließ er zischend Luft durch seine Zähne entweichen, vielleicht hieß das: "Damit kannst du hier nichts werden!" Und als ich davon erzählte, was ich in meiner letzten Firma gelernt hatte, sah ich, wie er die Augen verdrehte.

Mir war, als würde er mich für komplett unfähig und dieses Gespräch für eine einzige Zeitverschwendung halten. Wie richtig ich damit lag, wurde nach einer Viertelstunde deutlich: Ich war gerade dabei, von meiner Erfahrung im Export zu berichten - etwas stammelnd, da verunsichert - als der Inhaber aufsprang, seinen Kopf wie eine Löwenmähne schüttelte und zu dem Personaler fauchte: "Das reicht jetzt! Das wird nichts!" Mit diesen Worten verließ er den Raum. Peinliches Schweigen. Der Personaler rutschte verlegen auf seinem Stuhl. "Wir können das Gespräch gerne zu Ende führen", bot er hilflos an, "Sie hatten ja eine weite Anreise". Aber warum sollte ich einen Gerichtsprozess zu Ende führen, dessen Urteil schon gegen mich gefallen war? Beim Abschied sagte der Personaler noch: "Unser Chef ist halt ein sehr direkter Mensch." Wenn Sie mich fragen: Er war nicht direkt, sondern der größte Stoffel des Jahrhunderts.

Brigitte Fehrenbach, Analystin

Betr.: Wie aus meiner Gehaltserhöhung eine -kürzung wurde



Seit Jahren lag ich meinem Chef in den Ohren: Ich wollte einen Dienstwagen. Als Key-Account-Manager legte ich jedes Jahr 30 000 Kilometer für die Firma zurück. Im Sommer kam mein Chef überraschend auf mich zu: "Also gut, über Ihren Dienstwagen können wir reden. Aber ich bekomme das nur durchgesetzt, wenn Sie in Vorleistung gehen." "Was soll ich tun?", fragte ich. "Der Wagen hat für Sie einen geldwerten Vorteil von rund 5000 Euro im Jahr. Eine solche Gehaltserhöhung bekomme ich von meinem Chef nicht bewilligt." "Aber ich warte ja auch schon ein paar Jahre", erinnerte ich ihn. "Aber so denkt unsere Geschäftsführung nicht. Das beste Signal wäre, wenn Sie auf einen kleinen Teil Ihres Monatsgehalts verzichten würden."

Mir fiel die Kinnlade runter. "Ich soll einer Gehaltskürzung zustimmen?" "So sollten Sie das nicht nennen; unterm Strich bekommen Sie ja mehr. Aber wenn Sie auf, sagen wir, 200 Euro pro Monat verzichten würden, hätten Sie am Jahresende mit Dienstwagen ja immer noch rund 2500 Euro mehr." Diese Rechnung erschien mir windig. Aber ich versprach, die Sache mit meinem Steuerberater zu besprechen. Tatsächlich bestätigte er mir, dass ich unterm Strich mehr Geld am Jahresende hätte, denn ich durfte das Fahrzeug auch für Privatfahrten nutzen. Also signalisierte ich meinem Chef grünes Licht.

"Prima", sagte er, "ich werde die Angelegenheit schnell vorantreiben."

Das war nicht übertrieben: Schon auf meiner nächsten Lohnabrechnung fehlten 200 Euro. Ich stand sofort bei ihm auf der Matte: "Ich dachte, mein Gehalt wird erst gekürzt, wenn ich den Dienstwagen habe?" "Es geht doch um die Signalwirkung nach oben. Erst zeigen Sie Ihren guten Willen, indem Sie verzichten - und dann die Geschäftsleitung, indem sie Ihren Dienstwagen bewilligt."

Ein weiterer Monat verging. Und noch einer. Ich wurde nervös. Allmählich kam er mir vor wie ein Anlagebetrüger, der das ihm anvertraute Kapital längst verjubelt hatte. Mit windigen Ausreden hielt er mich hin. Mal fehlte nur noch eine Unterschrift. Dann konnte das Autohaus gerade nicht liefern. Und dann war noch eine Grundsatzentscheidung im Hintergrund nötig. Am Jahresende stand ich als der Gelackmeierte da: Ich hatte auf 2000 Euro Gehalt verzichtet. Sogar mein Weihnachtsgehalt war um 200 Euro gekürzt worden.

Jetzt platzte mir der Kragen: "Also gut, wenn das mit dem Dienstwagen nicht klappt, möchte ich wieder mein altes Gehalt. Natürlich rückwirkend." Doch er machte plötzlich auf begriffsstutzig. "Aber Sie haben der Gehaltskürzung doch zugestimmt. Ich habe das so an die Personalabteilung weitergegeben." "Zugestimmt unter einer Bedingung", korrigierte ich, "nämlich der, dass ich einen Dienstwagen bekomme." "Da habe ich keine unmittelbare Verbindung gesehen", log er. Anstelle der Gehaltserhöhung, die ich über einen Dienstwagen hätte bekommen sollen, hatte man mir eine Gehaltskürzung untergejubelt. Natürlich war ich stinksauer auf die Firma. Aber genauso auf mich: Mit Gaunern macht man keine mündlichen Geschäfte!

Holger Neuner, Key-Account-Manager

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