"Wir leben schon lange mit schleichender Inflation"

Die sozialen Umbrüche in arabischen Ländern oder das Erd beben in Japan zeigen: Ereignisse haben unmittelbare weltweite Folgen, auch für den Konsum und die Politik in weit entfernten Ländern. Rohstoff- und Lieferengpässe führen zu Preisanstiegen, während die Schuldenkrise weiter schwelt. Intervuiew mit dem Experten Hermann Simon.

Auf was müssen sich die Unternehmen und Verbraucher in Deutschland einstellen?

Die Globalisierung ist kein einheitlicher Entwicklungs prozess, sondern sie ver läuft - wie wir sehen - mit vielen Reibungspunkten. Wie können sich hiesige Mittelständler überhaupt auf derart komplexe Zusammenhänge einstellen?

Simon: Tatsächlich nimmt die Interdependenz zu, also der Grad der gegenseitigen Wechselwirkungen. Tritt irgendwo auf der Welt ein kritisches Ereignis ein, wissen die Menschen überall und sofort davon. Darauf zu reagieren ist für kleinere Unternehmen ohne eigene Informations stäbe natürlich schwieriger. Aber letztlich sind auch die mittelständischen Chefs immer erreichbar, selbst auf dem Mount Everest hat man Handy-Empfang. Es ist allerdings wichtig, sich von all den schnellen Infor mationen nicht antreiben zu lassen, sondern den Umgang damit zu gestalten. Dazu gehört es, delegieren zu können und eine ange messene Methode zu finden, wann man worauf antwortet.

Das betrifft die Ebene der internen Management kompetenz, mit der ein Unternehmen auf die "beschleunigte Globali sierung", wie Sie die Ent wicklung nennen, reagiert. Aber ist diese ungemein schnelle weltweite Ver flechtung angesichts kritischer Ereignisse nicht ein ganz objektives Risiko?

Simon: Die Firmen müssen das Risiko diversifizieren, das heißt: Sie müssen beispielsweise dafür sorgen, nie nur von einem Lieferanten abhängig zu sein, sondern mehrere Quellen zur Verfügung zu halten. Generell zeigt der Konflikt in Libyen oder auch das Thema Seltene Erden, dass der Markt recht effizient funktioniert und die entsprechenden Roh stoffe zugänglich bleiben. Sie werden nur teurer - für alle Markt teilnehmer. Das größere Problem der beschleunigten Globali sierung ist eher etwas, das mit "Qual der Wahl" beschrieben werden kann. An so vielen Punkten der Erde tun sich neue Markt chancen und Gelegenheiten auf, die man eigentlich nutzen müsste und für die man vor Ort eigene Tochter firmen gründen müsste. Mittelständler tun sich schwer, dafür die geeigneten und inter national erfahrenen Manager bereitzustellen. Aber da müssen sie durch!

Risiken für die Wirtschaft sind - über einzelne Kon flikte und Katastrophen mit weltweiter Wirkung hinaus - die Schuldenkrise und die Inflation. Worauf müssen sich Unternehmer und Konsumenten einstellen?

Simon: Die Inflation ist sehr konkret. Verbraucher werden mit weiteren Preis steigerungen rechnen müs sen. Nicht nur, weil Roh stoffe wie etwa Kaffee in den Schwellenländern nun stark nachgefragt werden, sondern auch wegen des generellen Inflationseffekts durch die steigende Geld menge. Alle Konsumgüter bereiche sind betroffen. Bislang verläuft die Infla tion jedes Jahr relativ schleichend, doch das wird massiver. Rück blickend ist deutlich, dass wir in den letzten 20 Jahren bereits eine kumulierte Preis steigerung von 40 Prozent zu verzeichnen haben. Die Verbraucher sind gut be raten, nicht leichtfertig Geld auszu geben, sondern sich etwas zurückzulegen. Immobilien in Gegenden, die nicht vom Bevöl ke rungs schwund be troffen sind, eignen sich als Anlage. Die Unter neh men wie derum müssen früh zei tig und mit kleinen Schrit ten beginnen, die Preise an zu passen - ver säumte Er höhun gen sind nur schwer nachzuholen.

Wie wird nach Ihrer Ein schätzung sich die Schul den krise im Euroraum entwickeln?

Simon: Ob es da zu einem Kollaps kommt, vermag ich derzeit nicht einzuschätzen. Aber ich sehe große Ge fah ren. Wir machen uns die Dimension gar nicht klar: Der Nottopf der EU gibt jedem Iren 20 000 Euro und jedem Portu giesen 7500 Euro - wie soll das von denen jemals zurück gezahlt werden? Ich habe den Ein druck, dass alles auf ge schoben wird, weil die Wirt schaftslage derzeit noch als zu labil gilt. Ir gend wann wird man einen Schnitt machen müssen, die In haber der Schuld ver schrei bungen werden dann auf einen Teil ihres Gelds ver zichten müssen. Aber da die Verzinsung derzeit at traktiv erscheint, sind sie selbst dafür verantwortlich, wenn sie sich in solch spe ku lativen Anlagen enga gieren.

Sie fordern in Ihrem neuen Buch mehr Lobbyismus der Wirtschaft in Richtung Politik. Das aktuelle gesell schaftliche Klima hat aber genau die gegenteilige Tendenz, wie wir am Erfolg der Grünen und am Miss erfolg der FDP sehen.

Wie löst sich dieser Wider spruch?

Simon: Es stimmt, die öf fent liche Meinung ist gegen Lobbyismus ein ge stellt. Aber die Politik nimmt immer stärker Ein fluss auf ökonomisch wich tige Be reiche wie Finanzen, Daten schutz, Verkehr und vieles mehr ... und trifft dabei oft Entscheidungen, die sach lich nicht sinnvoll sind. Nun können sich Unternehmer keine anderen Politiker "schnit zen" als die, die gewählt wurden. Ich plä diere dafür, dass die Unter nehmer keine konfrontative Position einnehmen, son dern das Gespräch mit den Abgeord neten suchen. Ver ant wortung macht ver nünf tig. Von daher bin ich si cher, dass es bei den Grü nen einen starken Realitäts schub auch auf Länder ebene gibt, sobald sie re gieren. Der Pragmatismus ist bereits an den Ergeb nissen der Koalitions verhandlungen in Rhein land-Pfalz und Baden- Württemberg erkennbar.

Zur Person

Hermann Simon stammt aus Hasborn im Landkreis Bernkastel-Wittlich. Er studierte Volks- und Betriebswirtschaftslehre in Köln und Bonn und lehrte unter anderem in Bielefeld, Mainz, Wien, Tokio, Stanford und London. Er publizierte in wissenschaftlichen Zeitschriften, unter anderem in der Harvard Business Review, seit mehr als 20 Jahren ist er Kolumnist im Manager-Magazin. Simon wurde international bekannt mit seinem Werk "Hidden Champions" über mittelständische Weltmarktführer. 1985 gründete er die weltweit agierende und auf Marketing sowie Preisgestaltung spezialisierte Unternehmensberatung Simon-Kucher & Partners mit Hauptsitz in Bonn. Von 1995 bis 2009 war er Chairman des Unternehmens. 2009 bekam er den Erich-Gutenberg-Preis, im März dieses Jahres den Georg-Bergler-Preis für Absatzwirtschaft.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort