Appelle und ihre Alltagstauglichkeit

,,Herzlich willkommen in Winnenden." Wer im Internet nach der Kleinstadt bei Stuttgart googelt, erfährt in einem Grußwort des Oberbürgermeisters etwas über die Verbindung von Tradition und Moderne, von reizvoller Landschaft am Rande des Schwäbischen Waldes und von weltberühmten Firmen, die hier ihren Sitz haben.



Das klingt ein bisschen stereotyp nach Werbeprospekt und bleibt nicht wirklich haften. Und doch gehört Winnenden seit genau einem Jahr zu den bekanntesten Städten im Land. Der Name wird dauerhaft verbunden sein mit dem entsetzlichen Amoklauf eines Schülers, der 15 Menschen erschoss und sich dann selber richtete. Die Waffe stammte von seinem Vater, einem Sportschützen. Sie war nicht ordnungsgemäß eingeschlossen.

In seiner damaligen Trauerrede forderte Bundespräsident Horst Köhler eine Kultur der Achtsamkeit, bei der Gedenkfeier am letzten Donnerstag rief er dazu auf, sich gegen die drohende Verrohung unserer Gesellschaft zur Wehr zu setzen.

Politik und Polizei haben seit den Amokläufen in Erfurt im Jahre 2002 und Winnenden manches an Krisenintervention geleistet. Es wurden mehr Schulsozialarbeiter eingestellt, Schulen besser gesichert, Notfallpläne erarbeitet. Zudem landeten bundesweit Tausende Waffen aus illegalem Besitz bei den Behörden. Sie waren zur Vernichtung bestimmt.

Aber dann gab es auch das: Prävention hin, Moral her, einige Gemeinden verkauften die Waffen weiter, um ihre klammen Kassen ein wenig aufzupolstern.

Auch das Aktionsbündnis Amoklauf Winnenden, gegen Gewalt an Schulen, das von Opferfamilien ins Leben gerufen wurde, erfuhr nicht nur Anteilnahme und Verständnis. Es wurde wegen seines entschiedenen Eintretens für eine noch deutlichere Verschärfung der Waffengesetze und ein Verbot von Killerspielen auch Zielscheibe von Hass-Kampagnen. Focus online zitierte diese Woche aus E-Mails, die hundertfach beim Aktionsbündnis gelandet sein sollen und roher und widerlicher nicht sein könnten. Da wurden Opferfamilien mit Neonazis verglichen, weil sie zur ,,Verbrennung von Kulturgut" - gemeint sind gewaltverherrlichende Videospiele - aufriefen. Ein anderer schrieb wörtlich: ,,Es mag ja irgendwo traurig sein, wenn jemand getötet wird, aber haltet mal den Ball flach. Was gehen mich Eure Kinder an? Eure abartige Verzweiflung und Hilflosigkeit widern mich an. Viel Spaß am Grab Eurer Blagen."

Die Appelle des Bundespräsidenten sind sicher schön und richtig. Ihre Alltagstauglichkeit erweist sich aber erst durch gelebtes Vorbild: im Elternhaus, an Schulen, Arbeitsplätzen, in der Politik, den Medien, der Wirtschaft, den Kirchen.

Wann waren Sie zuletzt ein Vorbild?

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