Literaturkolumne Glücklich sein bis zum Umfallen

Job, Freund, Facebook, Fitnessstudio: Kathrin Weßling erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die ihrem eigenen Optimierungswahn nicht mehr standhalten kann.

Literaturkolumne Aufgeschlagen Kathrin Weßling "Super, und dir?"
Foto: Ullstein Verlag

Marlene Beckmann ist 31 Jahre alt. Nach außen wirkt ihr Leben perfekt. Nach der Scheidung ihrer Eltern gerät ihr Leben zunächst aus den Fugen. Doch sie hat sich schnell wieder im Griff. Als Beste ihres Jahrgangs macht sie Abi­tur. Ihr Studium absolviert sie in der Regelstudienzeit. Danach tritt sie ihre erste Stelle als Community Managerin an. Wenn sie gefragt wird, wie es ihr geht, antwortet sie reflexartig: „Super, und dir?“

Doch das Gegenteil ist der Fall. Ihr Leben ist eine von ihr mühsam aufrechterhaltene Fassade. In Wirklichkeit ist sie am Ende ihrer Kräfte. Der Prozess beginnt schleichend. „Ich war das, was man einen ‚Partyraucher‘ nannte – in der letzten Zeit hatte ich jedoch zu viel Erfolg mit der ‚Rauchen statt essen’-Methode gehabt, was in Zeiten von nicht enden wollenden Hausarbeiten und langen Nächten effektiv und nützlich war.“ Sie gibt am Tag mehr Geld für Zigaretten und „Coffee to go“ aus als für Lebensmittel.

Doch die stressigen Phasen hören nicht auf. Als sie ihren Job antritt, gerät sie in eine Abwärtsspirale. Die 70-Stunden-Woche ist normal, ihr Büro, das sie sich mit einer Kollegin teilt, ist ein „Schlauch“ mit einem kleinen Guckloch. Nach außen wirkt sie fröhlich und glücklich. Auf Facebook postet sie Selfies von einer lustigen, motivierten Marlene im neuen Job. Doch in Wirklichkeit fühlt sie sich überfordert, ausgelaugt und „sehr, sehr müde“. Um die Arbeit zu bewältigen, nimmt sie heimlich Ritalin.  Als der Effekt nachlässt, kommen Speed, Kokain und andere Drogen dazu. Bald gelingt ihr nichts mehr ohne Auf­putschmittel.

Sie verliert die Kontrolle über den Drogenkonsum. Doch niemand merkt etwas. Zwar wird sie immer dünner und immer gereizter; es gibt Streit mit ihrem Freund. Und obwohl Marlene erkennt, dass sie ein Junkie ist, kann sie nicht aufhören. Stattdessen tut sie, was sie am besten kann: lächeln, nicken – und zur Arbeit gehen. „Menschen wie ich tauchen nicht in den Statistiken auf. Wir sind die, denen es nicht passiert. Wir werden nicht süchtig. Wir sind zu klug, zu reich, zu gebildet, zu sozial integriert (…).“ Doch irgendwann hält sie den Druck nicht mehr aus.

Die Autorin Kathrin Weßling, selbst 33 Jahre alt, arbeitet als Journalistin und Social-Media-Redakteurin unter anderem für Spiegel Online und stern.de

Sie zeigt, wie eine junge Frau erdrückt wird von ihren eigenen Ansprüchen. Sie steht stellvertretend für all diejenigen, die cool, beliebt und erfolgreich sein wollen. Die einen möglichst optimierten, fitten und gesunden Körper haben und ein aufregendes Privatleben führen möchten. Und das trifft nicht unbedingt nur auf die Generation der Mittzwanziger bis Enddreißiger zu.

Kathrin Weßling schreibt schonungslos ehrlich und formuliert angenehm schnörkellos. Am Schluss nervt Marlenes Hang zur Selbstzerstörung allerdings etwas. Am liebsten möchte man ihr zurufen: Sei ehrlich zu dir selbst, stell dein Selbstmitleid ein und sag doch auch mal „Nein“. Insgesamt ist es aber ein äußerst gelungenes Porträt einer Frau Anfang dreißig, die ihren Weg noch finden muss.

Kathrin Weßling, „Super, und dir?“, Ullstein Verlag, 256 Seiten, 16 Euro.

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