Aufgeschlagen - Neue Bücher Unterwegs auf Odysseus' Spuren

Die Welt vom Wasser aus zu erkunden, hat einen Reiz, den immer mehr Reisende für sich entdecken. Wo heutzutage Tausende in riesigen Dampfern die Ozeane durchkreuzen, brachen im Sommer 1967 der 15-jährige Hanns-Josef Ortheil und sein Vater als einzige Passagiere neben der Besatzung an Bord des Frachtschiffs Albireo zur Mittelmeerreise auf.

 Die Mittelmeerreise von Hanns-Josef Ortheil

Die Mittelmeerreise von Hanns-Josef Ortheil

Foto: Luchterhand Literaturverlag

Dass sie sich zwischen Antwerpen und Istanbul nicht langweilten, lag nicht nur an dem schweren Atlantiksturm, bei dem auch Ladung über Bord ging und der Junge seekrank wurde, sondern es liegt an der Art ihres Reisens. Touristenführer interessieren sie nicht. Sie beobachten genau, gehen offen auf Menschen und Orte zu, reflektieren gemeinsam und halten das, zeichnend und malend der Vater, schreibend der Sohn, fest. Sie lesen Homer und Hemingway aus der Bordbibliothek, philosophieren in der illustren Runde der Besatzung über frühere Seefahrer oder antike Götter. Und als sie in Patras zum ersten Mal an Land gehen, da bricht unter dem Sound der Beatles über das große Kind (“wie ein alternder Säugling”) der innere Sturm des ersten Verliebtseins in eine junge Griechin los.

Der junge Ortheil schreibt und schreibt – Tag für Tag, auf der Albireo manchmal im halbstündigen Abstand. Es ist der Versuch des sehr disziplinierten Jungen, der Pianist werden möchte, das Erlebte zu begreifen und zu bewältigen. Neben dem Tagebuch schreibt er kleine Geschichten – Erzählungen über Weltnachrichten, deren trockene Form ihm nicht gefällt – fantastische Fingerübungen des späteren Schriftstellers. Aus den Aufzeichnungen von damals, dazu den Notizen seines Vaters, hat Ortheil nun den Roman “Die Mittelmeerreise” collagiert, der die Reihe der Vater-Sohn-Reisen komplettiert (nach Mosel-, Berlin- und Parisreise).

Entstanden ist ein sehr authentisches Bild über ein wahrhaftes Abenteuer. Mit dem Ortheil nebenbei auch seinem Vater ein Denkmal setzt, dessen cooler und respektvoller Umgang mit dem spätpubertierenden Sohnemann Größe offenbart. Das i-Tüpfelchen wäre die Mitveröffentlichung einiger seiner leidenschaftlich gearbeiteten Zeichnungen gewesen.

Anne Heucher

Hanns-Josef Ortheil, Die Mittelmeerreise, Luchterhand Literaturverlag 2018, 636 Seiten, 24 Euro.

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