KOLUMNE AUSLESE Köpfchen hoch und Mut genug
Was ist bloß mit den Menschen los? Bei einer Weinwanderung im pfälzischen Freinsheim sind am vergangenen Wochenende zwei Gruppen (insgesamt etwa 15 Männer) aneinandergeraten. Bei der Schlägerei wurden zwei Beteiligte so schwer verletzt, dass sie im Krankenhaus behandelt werden mussten.
Sechs weitere Beteiligte wurden nach Angaben der Polizei leicht verletzt. Ursache war wohl übermäßiger Alkoholgenuss und – man höre und staune – der unterschiedliche Musikgeschmack der beiden Gruppen. Die Polizei nahm mehrere Strafanzeigen wegen gefährlicher Körperverletzung auf.
Die Organisatoren der beliebten kulinarischen Weinwanderung überlegen – auch nach weiteren Vorfällen am Abend – wie es mit dem Fest weitergeht. Wahrscheinlich wird auch so eine Veranstaltung nur noch möglich sein, wenn Security-Leute mitlaufen und bestimmen, welche Musik gespielt oder welche Lieder gesungen werden. Ich mag mir so etwas gar nicht erst vorstellen.
Die Menschen werden, ich muss es so schreiben, offenbar immer bekloppter. Nicht alle natürlich, aber immer mehr. Bei der kleinsten Störung ihrer vorgefassten Haltung oder Meinung geraten sie aus der Fassung. Was früher mit einer abwinkenden Handbewegung oder einer verbalen Attacke abgetan war, endet immer öfter mit Schlägen und Tritten – und im schlimmsten Fall mit Krieg.
Ich habe mal gedacht, Weingenuss würde die Geselligkeit fördern. Und der Spruch „wo man singt, da lass Dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder“, habe seine Berechtigung. Offenbar ist das aber Quatsch.
Ich habe den Begriff „Weinkultur“ gegoogelt. Bei Wikipedia heißt es da: „Wein zählt zu den ältesten Kulturgütern der Menschheit. Sowohl die Kunst der Weinbereitung, als auch die Kultur des Weingenusses ist über Jahrtausende hinweg bis heute immer fortentwickelt worden. Die Weinkultur wird sowohl auf öffentlichen Festveranstaltungen als auch in privaten Weinproben gepflegt und ist auch der Zweck von Zusammenschlüssen unter Weingenießern. In Deutschland wird die kreative Beschäftigung von Künstlern mit dem Kulturgut Wein in der Vergabe des Deutschen Weinkulturpreises gewürdigt.“
Den Hinweis auf private Weinproben kann ich bestätigen. Eine solche habe ich vor ein paar Wochen erlebt – in entspannter Atmosphäre mit etwa so vielen Männern, wie in Freinsheim aneinandergeraten sind. Wir waren fröhlich, haben allerdings auch nicht gesungen. Ich bin aber sicher: Wir hätten auch da einen Konsens gefunden.
Ich frage mich: Warum werden die Menschen immer dünnhäutiger? Warum rasten viele aus, beleidigen andere und schlagen lieber gleich zu, statt sich sachlich aneinander abzuarbeiten? Ich kann es nicht schlüssig erklären, aber ich vermute, dass es Nachwirkungen von Corona sind.
Gibt es da ein Gegenmittel? Bis ich nicht vom Gegenteil überzeugt bin, was hoffentlich auch nie passiert, werde ich behaupten, was Willy Schneider vor zig Jahren gesungen hat: „Schütt‘ die Sorgen in ein Gläschen Wein, deinen Kummer tu‘ auch mit hinein. Und mit Köpfchen hoch und Mut genug, leer das volle Glas in einem Zug! Das ist klug! Schließ die Augen einen Augenblick, denk an gar nichts mehr als nur an Glück. Und auf eins, zwei, drei wirst du gleich seh‘n, wird das Leben wieder wunderschön!“