Chefs als Lazarett-Vorsteher

Die Firma profitiert, wenn Kranke zur Arbeit kommen. Ihre Nase lief. Na und? Der Hals kratzte. Halb so wild! Reisekauffrau Sabine (26) schleppte sich mit fieberndem Kopf ins Büro, denn sie wusste: Ihr Chef sah jede Krankheit, die nicht so lebensgefährlich wie Krebs und nicht so ansteckend wie die Pest war, als Vorwand zum Blaumachen, als „Zipperlein“.

 TV-Kolumnist Martin Wehrle.

TV-Kolumnist Martin Wehrle.

Foto: privat

Zuletzt war (kaum zufällig!) der Arbeitsplatz einer Kollegin gestrichen worden, die drei- oder viermal im Jahr mit Migräne gefehlt hatte. Das Ende vom Lied: Nach drei Tagen lag nicht nur Sabine mit einer schweren Mandelentzündung flach, sondern auch zwei Kolleginnen, die sich angesteckt hatten.

Kein Einzelfall, wie das Journal of the American Medical Association berichtet: Wenn Kranke sich zur Arbeit schleppen, kostet das die Firmen dreimal mehr Geld, als wenn sie Fehltage nehmen und sich auskurieren. Weil sie Fehler machen. Weil sie andere anstecken. Weil das, was als kleine Krankheit beginnt, chronisch und dramatisch enden kann: Das Hüsteln wächst zur Lungenentzündung, die Niedergeschlagenheit zur Depression.

Ein Chef, der es fördert oder gar fordert, dass Kranke zur Arbeit kommen, macht sich zum Lazarett-Vorsteher. Grippeviren sind eben doch ansteckender als übertriebener Arbeitseifer, das wird er bald merken. Spätestens im Krankenbett.

Unser Kolumnist Martin Wehrle (geboren 1970) gehört zu den erfolgreichsten Karriereberatern in Deutschland. Sein aktuelles Buch: "Bin ich hier der Depp?: Wie Sie dem Arbeitswahn nicht länger zur Verfügung stehen", Mosaik, 14,99 Euro.

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