Chefs haben ihren Beruf nicht immer gründlich gelernt

Als Harald Behr (43) befördert wurde, war niemand überraschter als er: gestern noch Starverkäufer, heute schon Vertriebsleiter. „Ich fühle mich dem neuen Job nicht gewachsen“, gab er bei mir in der Beratung zu. Diese Überforderung ist typisch; Psychologen haben dafür sogar ein Wort erfunden: „Hochstapler-Syndrom“.

 TV-Kolumnist Martin Wehrle.

TV-Kolumnist Martin Wehrle.

Foto: privat

Die meisten Chefs kommen in ihr Amt wie die Jungfrau zum Kind - ohne jede Vorbereitung, als ungelernte Führungskräfte. Das soll nicht heißen, dass sie völlig ungelernt wären: Der eine hat BWL studiert und kann mit Bilanzen, der andere hat Jura studiert und kann mit Paragrafen umgehen. Und Harald Behr war als gelernter Einzelhandelskaufmann ein Profi für Kundengespräche.

Aber worin besteht die eigentliche Aufgabe eines Chefs? Nicht mit Bilanzen, Paragrafen oder Kunden, sondern mit Mitarbeitern muss er können. Diese Kunst wird im Studium oder in der Lehre kaum gestreift. Bis heute mangelt es in Deutschland an einer geregelten Ausbildung für Führungskräfte; Wochenend-Seminare können diesen Mangel nicht ausgleichen.

Es fehlt nicht nur an Wissen, wie man führt, sondern auch an Bewusstsein, dass man professionell führen muss. Etliche Chefs sehen sich in erster Linie als Fachleute und räumen selbst ein: "Nebenbei führe ich auch noch meine Mitarbeiter."

Die DGB-Studie "gute Arbeit" stellte den Chefs ein schlechtes Zeugnis aus: Nur 22 Prozent der befragten Mitarbeiter bezeichneten die Führungs- und Unternehmenskultur ihrer Firma als umfassend gut.

Dass Vorgesetzte mit Anerkennung geizen und die Arbeit schlecht einteilen, stört die Mitarbeiter am meisten. Man darf annehmen: Die Bilanzen fühlen sich in Deutschland besser geführt als die Mitarbeiter.

Unser Kolumnist Martin Wehrle (geboren 1970) gehört zu den erfolgreichsten Karriereberatern in Deutschland. Sein aktuelles Buch: der Bestseller "Ich arbeite (immer noch) in einem Irrenhaus" (Econ, 14,99 Euro)

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