Dammbruch

Diese Woche schaute die ganze Republik auf Trier. Das Medieninteresse war übermächtig, als Bischof Stephan Ackermann die bundesweite Opfer-Hotline für Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche startete. Keine Zeitung, kein Sender, keine Nachrichtenwebsite, die dieses Ereignis nicht aufgegriffen hätten.

Bereits einen Tag später meldet das Bistum 160 Beratungsgespräche bei 1000 Anrufern. Tendenz steigend.

Zeitgleich werden Prügel-Vorwürfe gegen den Augsburger Bischof Walter Mixa laut, die sich auf seine Amtszeit als Stadtpfarrer von Schrobenhausen in den 70er und 80er Jahren beziehen. Sechs eidesstattliche Erklärungen soll es nach Medieninformationen dazu geben. Mixas Pressestelle dementiert und droht juristische Schritte an. Erst unter dem Druck der Öffentlichkeit lässt der Bischof sich zu einer persönlichen Erklärung bewegen und signalisiert Gesprächsbereitschaft.

Der Mainzer Kardinal Karl Lehmann wiederum schreibt in einem Zeitungsbeitrag, die Kirche dürfe sich nicht wundern, wenn sie an jenen Kriterien gemessen werde, mit denen sie sonst ihre sittlichen Überzeugungen vertrete. Damit trifft er den Kern der Sache.

Und doch dürfte das Thema eine noch viel größere Dimension haben. Sie zielt auf das Jahrhunderte alte Menschenbild einer Gesellschaft, in der bis in die 1970er Jahre Willkür gegenüber Kindern und Schutzbefohlenen nicht hinterfragt wurde.

Ob der Trierer Bischof Ackermann wohl geahnt hat, welche Herculesaufgabe als Missbrauchsbeauftragter seiner Kirche auf ihn zukommen würde?

Die Dämme sind gebrochen. Der öffentliche Chor ist ebenso vielstimmig, wie es mittlerweile die Einlassungen katholischer Würdenträger und Einrichtungen selbst sind. Schmerz, Wut und Enttäuschung auf der einen, aber auch Fassungslosigkeit, Erschrecken oder gelegentliche Abwehrversuche auf der anderen Seite haben sich zu einer gewaltigen Welle aufgebaut.

Bei so viel Emotion ist der Grat zur Hysterie schnell überschritten.

Ackermanns Mission ist auch deshalb so heikel, weil er aufklären, sich den Opfern zuwenden will, dabei aber womöglich prominenten Kirchenvertretern auf die Füße treten muss. Denn die Hotline allein ist nur ein erster Schritt, nur die Auffangstelle. Daraus wächst die Notwendigkeit, Täter zu benennen und Konsequenzen einzuleiten. Ob er auch dann noch die volle Unterstützung der Amtskirche hat, wird sich erweisen.

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