Meinung Das System Putin lebt von der Konfrontation

Fast 77 Prozent Zustimmung konnte Präsident Wladimir Putin bei der Wiederwahl in den Kreml im letzten März verbuchen. Ganz sauber mögen die Wahlen nicht gewesen sein und auch nicht ganz frei von Druck und Nötigung vonseiten der staatlichen Wahlgaranten.

Doch es hilft nichts: Auch ohne Manipulationen wäre der Kremlchef zum vierten Mal wiedergewählt worden. Weitere sechs Jahre kann der Präsident nun bis 2024 regieren.

Wladimir Putin wurde indes nicht im Kreml belassen, weil er dem Volk ein brauchbares  Wirtschaftsprogramm präsentiert hätte. Dies wurde zwar vor der Wahl versprochen, bislang hat es jedoch noch niemand gesehen. Kaum jemand fordert es auch ein. Putin ist längst zu einem Symbol geworden. Er steht für Russland oder – um es mit den Worten eines Putin-Getreuen zu sagen: „Ohne Putin kein Russland.“ Dagegen ist nur schwer anzukommen. Der 65-Jährige ist ein Symbol, das sich in den Niederungen der Politik keine Schrammen holen muss: Modernisierung, Unabhängigkeit vom Energiesektor, Industriepolitik und neue Bildungsansätze sind Dinge, um die sich bestenfalls andere kümmern sollen. Sie tun es nicht, da die Wähler keinen Ausblick auf eine bewältigbare Zukunft verlangen.

Wladimir Putins Stärke liegt in der Produktion von Stolz. Da ist ihm in den letzten Jahren Bemerkenswertes gelungen. Die Annexion der Krim, die Verwüstung der Ostukraine, die Einmischung als entscheidende Macht in Syrien und die Eroberungen im Cyberspace zwischen Washington, Berlin und Paris. Putin produziert auf der einen Seite Stolz, auf der anderen Verunsicherung und Schwäche.

Diese Schwäche des Westens macht aus ihm einen Pantokrator, einen Alles-Beherrscher. Dabei ist Russlands Bruttoinlandsprodukt nicht größer als das Italiens. Fraglich ist überdies, ob es Moskau gelingt, wieder nennenswertes Wachstum zu generieren. Die letzten US-Sanktionen drohen der Wirtschaft schwereren Schaden zuzufügen als jene nach der Krimbesetzung. Den Menschen geht es zwar wirtschaftlich schlechter, sie begehren aber nicht auf, da sie fürchten, es könnte noch schlechter werden, und sie könnten womöglich auch das verlieren, was sie bereits erreicht haben.

Putin wird sich auch außenpolitisch nicht bewegen. Ob in Salisbury, der Ukraine, in Syrien oder gar einem neuen Konfliktfeld. Innenpolitisch sind es diese Konflikte, die von der bescheidenen sozio-ökonomischen Leistung ablenken. Die Darstellung des Westens als Feind unterstützt den althergebrachten Reflex: das Vaterland ist in Gefahr, unsere Interessen sind unwichtig.

Das bedeutet: Auch in der nächsten Amtsperiode wird sich kein Tauwetter abzeichnen. Das System Putin hängt von dieser intakten Konfrontation ab. Über die Jahre wird es neue Konflikte unterschiedlicher Hitzegrade geben. Gutes Zureden und Kompromisse wertet der Kreml als Schwäche und wird diese nur nutzen, um den Westen weiter unter Druck zu setzen.

Putin ist nur aufzuhalten, wenn er eine rote Linie erkennt und deren Überschreiten auch umgehend geahndet wird. Moskau und Putin bewegen sich in vielem noch im 19. Jahrhundert. Gespräche schließt das jedoch nicht aus.

Die Kontakte zu allen staatlichen Agenturen müssen aufrechterhalten und die Verbindungen zur Zivilgesellschaft sollten möglichst noch verstärkt werden. Von außen lässt sich das russische System jedoch nicht reformieren.

Eine friedensfördernde Maßnahme wäre daher, Russland und Putin als das zu würdigen, was sie sind: eine gefährliche Herausforderung für unseren Teil der Welt.

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